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Die Intelligenz steckt in den Beinen

Robotik. - Die klassische mechanische Robotik ist gescheitert. Zumindest, wenn es darum geht, Maschinen menschliche Bewegungen wie Laufen oder Rennen beizubringen, bei denen Roboter aktiv auf ihre Umwelt reagieren sollen. Das behauptet eine wachsende Gruppe von Ingenieuren, Biologen und Hirnforschern. Sie wollen eine neue Generation von Robotern entwickeln, die wie ihre Vorbilder in der Natur funktionieren. Auf dem "AMAM-Symposium für adaptive Bewegung von Tieren und Maschinen" in Ilmenau haben Forscher aus aller Welt diese Woche einen ganzen Zoo solcher "bionischer Roboter" zusammengetragen.

Von Björn Schwentker | 30.09.2005
    Der Händedruck fühlt sich kühl an, als die Metallfinger des Roboters beherzt zugreifen. Er heißt ZAR und sieht aus wie ein halber Mensch: Ein Oberkörper mit Armen und Händen, aber ohne Kopf und Beine. Gesteuert wird die feingliedrige Kunsthand zwar noch von einem Menschen, mit einem Sensor-Handschuh. Trotzdem ist ZAR etwas besonderes. Denn er hat Muskeln.

    " Es ist ein Gummi, wenn man ihn mit Luft befüllt, dehnt er sich aus und verkürzt sich um etwa 25 Prozent. Diese Zugkraft wird dann über Sehnen und Baudenzüge direkt in die Fingerglieder übertragen und krümmen dann die Finger."

    Ivo Boblan von der Technischen Universität Berlin glaubt, dass Roboter, wenn sie Menschen ähneln sollen, so etwas wie Muskeln haben müssen. Bei den meisten humanoiden Maschinen aber bewegen Elektromotoren die Gliedmaßen.

    " Der Vorteil dieser Muskeln gegenüber einem Elektromotor ist, dass sie ein sehr hohes Leistungsgewicht haben, das heißt, sie ziehen viel mehr, als sie selber wiegen."

    Ein Elektromotor kann bis zum 16-fachen seines Eigengewichts heben. Doch die Muskeln in ZAR bringen es auf das 400-fache ihrer Masse. Sie lassen sich im Roboter viel natürlicher anordnen als Motoren, die wie schwere Klumpen in den einzelnen Gelenken sitzen und dort die Bewegungen staksig und eckig machen. Zudem fressen sie Unmengen von Energie. Kein Wunder also, dass die Evolution keinen Elektromotor in Mensch oder Tier eingebaut hat, sagt Ivo Boblan. Er glaubt, wie alle hier auf der Konferenz für bionische Robotik an der Technischen Universität Ilmenau: Roboterbauer müssen mehr bei der Natur abschauen.

    " Keine Eins-zu-eins-Kopie, sondern wir machen im Prinzip Bionik. Wir schauen in der Natur nach, wie funktioniert es dort, was liegt dahinter, welche Verfahren und Methoden, wie kann man es für die Technik nutzen."

    Was die Forscher überwinden wollen, ist die klassische "Ingenieursrobotik": Maschinen mit starren Gliedmaßen, bewegt von vielen schweren Elektromotoren, deren Position von einem mächtigen Zentralrechner ständig millimetergenau kontrolliert wird. Die bionischen Maschinen der nächsten Generation funktionieren viel einfacher -weil sie elastisch sind.

    Auf einem Förderband laufen zwei Beine. Ihre Hüfte ist fest aufgehängt an einer Halterung. Die sonst üblichen vielen Motoren sucht man vergeblich.

    " Wir haben hier nur einen Motor im Hüftgelenk, alles andere, die restliche Mechanik, folgt der gewünschten Bewegung."

    Andreas Karguth zeigt auf die gehenden Beine, die im Lauflabor der Universität Jena entstanden sind:

    " Die anderen Gelenke sind alle passiv, sind über Federelemente verkoppelt, diese Federelemente sind an sinnvollen Punkten angekoppelt, die sich auch aus den biologischen Vorbildern ableiten, aus dem menschlichen Vorbild, und dann ergibt sich diese natürliche Bewegung."


    Die Gummifedern funktionieren wie Muskeln: Werden sie gespannt, nehmen sie Energie auf, die sie dann wieder an die Bewegung abgeben. So läuft der Roboter Kraft sparend und natürlich. Er stößt die Füße ab und bringt sie wieder nach vorne wie ein Mensch. Die Forscher nennen das eine "ungesteuerte Flugphase" des Fußes.

    " Für einen Ingenieur, der Maschinen baut, die in der Fertigung tausend Mal das Gleiche tun sollen, ist diese Konstruktion ein Graus. Weil hier alles elastisch ist. Man kann das nie genau vorherbestimmen."

    Doch gerade das ist der Trick: Schaut man sich die Federkraft der Muskeln, die Verhältnisse von Beinlängen und Winkeln bei der Biologie ab, dann braucht man weder umständliche Antriebe und Sensoren, noch einen Supercomputer zur Echtzeitsteuerung.

    " Die Bewegung ist in der Mechanik integriert. Wir haben die Intelligenz in die Mechanik rein gesteckt."

    Für einige Jahre, glaubt Andreas Karguth, werden Ingenieure noch von Biologen und Medizinern lernen müssen, und einfache Modelle bauen, wie die Beine auf dem Förderband. Doch nur so könnten Maschinen erstmals richtig laufen lernen und sogar rennen. Mit eleganten Bewegungen, wie beim Vorbild Natur.