24. Februar 2023
Die internationale Presseschau

Heute vor einem Jahr fielen russische Truppen in die Ukraine ein. Zahlreiche Zeitungen in aller Welt kommentieren den Jahrestag.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj steht inmitten von Militärs und Begleitpersonen in zivil zwischen rostigen Trümmern.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj macht sich im April 2022 ein Bild von der Lage in Butscha. (imago / ZUMA Press)
Die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA schreibt: "Niemand hatte geglaubt, dass die Ukraine sich erfolgreich verteidigen würde. Putin dachte, er würde in drei Tagen in Kiew sein. Niemand hätte es für möglich gehalten, dass ein Schauspieler aus Fernseh-Sitcoms, mit Unterstützung eines Oligarchen zum Präsidenten gewählt, zu einem Nationalhelden werden würde. Niemand hatte damit gerechnet, dass die von Korruption geplagte Ukraine eine Armee von 700.000 Mann mobilisieren würde und dass sich ihre Soldaten auf dem Schlachtfeld als so tapfer erweisen würden. Niemand hatte geglaubt, dass in dem gespaltenen, zerrissenen Land ein Gründungsmythos einer neuen Ukraine geboren werden würde. Wladimir Putin hat einiges erreicht. Aber dieser Krieg hat einen schrecklichen Preis, der von Zivilisten gezahlt werden muss. Die Jugend und die Zukunft der Ukraine sterben an der Front", notiert die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.
Die kolumbianische Zeitung EL TIEMPO warnt: "Je länge dieser brutale Krieg dauert, desto mehr wächst die Gefahr, dass ein Gewohnheitseffekt eintritt und die Umstände vergessen werden, die zu seinem Ausbruch geführt haben. Es muss stets daran erinnert werden, dass Moskau diesen Krieg begonnen hat und dass es keine Rechtfertigung für die russische Aggression gibt. Der Westen steht auf der richtigen Seite der Geschichte. Aber er muss sich auch stets bewusst sein, dass eine weitere Eskalation fatale Folgen für die gesamte Menschheit haben könnte, die es um jeden Preis zu verhindern gilt", betont EL TIEMPO aus Bogotá.
Die schwedische Zeitung AFTONBLADET erinnert an die Gräueltaten in Butscha: "Manche Leichen waren einfach auf der Straße liegen geblieben, andere lagen in ihren Häusern oder in improvisierten Massengräbern. Die genaue Zahl der Opfer ließ sich nicht ermitteln. Aber eines wissen wir mit Sicherheit: So sieht die russische Kriegsführung aus. Die Bilder erinnern an Grosnyj in Tschetschenien oder Aleppo in Syrien, ebenso die Berichte von russischen Massenmorden, Folter und Vergewaltigungen. Warum darf Putin immer noch weitermachen? Die Antwort ist leider, dass der Widerstand bislang zu schwach und unentschlossen war und der Westen zu passiv und zu naiv war. Wäre Putin schon bei seiner Invasion 2008 in Georgien oder 2014 in der Ukraine auf ausreichenden Widerstand gestoßen, wäre uns ein Butscha vermutlich erspart geblieben", mutmaßt AFTONBLADET aus Stockholm.
ASAHI SHIMBUN aus der japanischen Hauptstadt Tokio befürchtet: "Russland hat nicht nur seine Beziehungen zu seinem Nachbarn verloren. Russland hat auch zahlreiche junge Menschen mit Zukunft sowie sein Prestige und seine Glaubwürdigkeit als Großmacht verloren, die für die Aufrechterhaltung der internationalen Ordnung verantwortlich ist. Kurz gesagt, Russland hat seine Zukunft verloren."
Die TIMES OF INDIA aus Mumbai dringt auf schnelle Friedensgespräche: "Ein realistischer Anfang wäre die Wiederherstellung eines Großteils des Status quo ante. Putin müsste seine Truppen östlich der sogenannten 'Kontaktlinie' zurückziehen, während Kiew seinen Drang zu militärischen Operationen auf der Krim zügeln müsste. Aber wer wird diese Katze aus dem Sack lassen? Amerika ist nicht daran interessiert. China versucht, sich einen Vorteil zu verschaffen. Warum nicht Indien?"
Die Zeitung CHINA DAILY aus Peking kommentiert: "Die extreme politische Korrektheit der NATO-Staaten und ihrer Verbündeten haben ihre Regierungschefs daran gehindert, den Konflikt mit diplomatischen Mitteln zu lösen. Aber entgegen der Behauptung einiger kann es keine Lösung auf dem Schlachtfeld geben. Die Bedingungen, die die verschiedenen Seiten zur Lösung der Ukraine-Krise schaffen wollen, unterscheiden sich stark voneinander. Aber genau deshalb sollten sie Gespräche führen - denn so können sie einander besser verstehen und die Differenzen kleiner werden lassen." So weit CHINA DAILY.
Die Zeitung TAIPEI TIMES aus Taiwan erläutert: "Als der Krieg ausbrach, waren Politiker und Militärexperten in aller Welt besorgt, dass China seine seit langem bestehende Drohung wahr machen könnte, Taiwan zu annektieren. Aber Taiwan ist nicht die Ukraine. Da der Krieg nun in ein zweites Jahr geht, ist es wichtig, dass Taiwan die Ukraine als eine unschätzbare Lektion betrachtet. Es muss seine militärische Stärke weiter ausbauen und zwischen Verbündeten und Feinden unterscheiden", ist in der TAIPEI TIMES aus Taipeh zu lesen.
Im MALTA INDEPENDENT heißt es: "Malta hat derzeit den Vorsitz im UNO-Sicherheitsrat inne. Das ist eine Rolle, die das Land nicht auf die leichte Schulter nimmt. Zwar muss Malta Frieden und ein Ende des Krieges fordern, aber es ist klar, dass der einzige Weg zum Frieden darin besteht, dass Russland sich aus der Ukraine zurückzieht. Die internationale Gemeinschaft muss den Druck aufrechterhalten. In einer Welt, in der sich die Menschen so viel näher sind als in der Vergangenheit, sollte Krieg keinen Platz haben", unterstreicht der MALTA INDEPENDENT aus St. Julian's.
Die kanadische Zeitung LE DEVOIR analysiert: "Natürlich ist es offensichtlich, dass dieser Krieg den USA in ihrer Rivalität mit Russland die Gelegenheit bietet, ihren Status als globale Supermacht aufzupolieren. Anders lässt sich das Zögern des 'globalen Südens', angefangen bei Ländern wie Indien und Südafrika, nicht erklären, sich ohne Murren der 'freien Welt' anzuschließen. Ganz konkret gibt es keine andere Wahl, als die Ukraine so schnell wie möglich ausreichend mit schweren Panzern und Munition zu bewaffnen, um zu verhindern, dass die erwartete russische Frühjahrsoffensive den Sieg davonträgt. Danach wäre ein Kriegsende vielleicht möglich. Dies würde voraussetzen, dass Moskau, eher ohne als mit Putin, resigniert und Kiew, ganz realistisch, unter amerikanischem Druck auf Gebiete verzichtet", meint LE DEVOIR aus Montréal.
"Warum verurteilen manche afrikanischen Staaten immer noch nicht Russland?", fragt der BOTSWANA GUARDIAN: "Die meisten afrikanischen Länder, die sich bei den UNO-Anträgen zur Verurteilung der russischen Aggression enthielten, haben argumentiert, es sei 'simpel und infantil' zu glauben, dass eine internationale Verurteilung oder Aufrufe zum Rückzug Russlands Putin umstimmen würden. Das trifft nicht den Kern der Sache. Der russische Staatschef hat sich bisher kaum verhandlungsbereit gezeigt. Es ist nach wie vor so, dass die afrikanischen Länder, die am ehesten auf eine Verurteilung Moskaus verzichten werden, diejenigen sind, die im Verhältnis zu den gesamten Rüstungsimporten die größten Mengen an Waffen aus Russland einführen. Das scheint die führenden Politiker unfähig zu machen, strategische außenpolitische Fehler zu erkennen", kritisiert der BOTSWANA GUARDIAN aus Gaborone.
"Ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine hat die arabische Welt, wie der gesamte globale Süden, die strategische Bedeutung dieses Konflikts noch immer nicht erkannt", urteilt die libanesische Zeitung L'ORIENT-LE JOUR: "Die Golfstaaten spielen die russische Karte gegen die USA aus und profitieren nebenbei davon, ihre Kassen mit der Explosion des Barrelpreises seit Kriegsbeginn zu füllen. Langfristig gesehen begehen sie jedoch einen strategischen Fehler. Entweder gewinnen die Ukraine und der Westen, dann werden sie nicht auf der Seite der Sieger stehen. Oder Russland siegt, und die gesamte internationale Ordnung wird zutiefst erschüttert, mit allen damit verbundenen Risiken. Es gibt tausend Gründe, die strukturell westlich dominierte internationale Ordnung in Frage stellen zu wollen. Aber eine Welt, die von Putins Russland und Xi Jinpings China beherrscht wird, ist noch besorgniserregender", mahnt L'ORIENT-LE JOUR aus Beirut und damit endet die internationale Presseschau.