Donnerstag, 28. März 2024

24. März 2023
Die internationale Presseschau

Kommentiert werden die andauernden Proteste in Frankreich gegen die Rentenreform, die Demonstrationen in Israel gegen die Justizreform und die Anhebung der Leitzinsen in den USA.

24.03.2023
Feuerwehrleute ziehen aus Protest gegen den Staat mit Fahnen und Rauchwolken durch die Straßen von Paris.
In Frankreich haben sich Feuerwehrleute den Protesten gegen die Rentenreform der Regierung angeschlossen. (picture alliance / AA / Firas Abdullah)
Frankreich sei in einer schweren politischen Krise, notiert der Wiener STANDARD: "Der Verfassungskniff, mit dem Emmanuel Macron seine Pensionsreform gegen den Willen des Parlaments durchdrücken will, brachte die schwelende Wut über den Eigensinn des Präsidenten vor einer Woche offen zum Ausbruch. Am Mittwoch versuchte Macron erstmals überhaupt, das umstrittene Vorhaben der Nation offiziell zu erklären. Zu spät: Die gefährlich aufrührerische Stimmung in Frankreich hat sich längst festgesetzt. Ob das Land das Pensionsalter jemals von 62 auf 64 Jahre erhöhen wird, ist unsicher: Das Verfassungsgericht könnte das Unterfangen noch vereiteln, auch wenn das unwahrscheinlich scheint. Politisch ist der Scherbenhaufen perfekt", unterstreicht der österreichische STANDARD.
Die Demonstrationen machten die ganze Misere in Frankreich deutlich, meint der Pariser FIGARO. "Eine bescheidene Reform, die auf einer unerbittlichen demografischen Feststellung beruhte, hat Frankreich in eine existenzielle Krise gestürzt, in der alles ins Wanken gerät: die Regierung, das Parlament, die Straße. Dieses Missverhältnis kann nicht allein der Unbeliebtheit des Präsidenten, den Ungeschicklichkeiten seiner Minister, dem 'widerspenstigen' Geist der Gallier oder der revolutionären Wut von 'La France insoumise' zugeschrieben werden. Es ist ein viel tieferes Unbehagen, das an die Oberfläche drängt. Das eines Landes, das von seinem wirtschaftlichen Niedergang, seiner kulturellen Fragmentierung und seiner Überalterung geplagt wird", analysiert LE FIGARO.
Nach Ansicht der brasilianischen Zeitung O GLOBO war Macrons Entscheidung alternativlos: "Er musste das Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre anheben und deshalb zu einem Verfassungsartikel greifen, um die Reform ohne Abstimmung durch das Parlament zu bringen. Es ist die Aufgabe jeder verantwortungsvollen Regierung, bei Bedarf auch unpopuläre Maßnahmen zu treffen. Die Demografie zwingt dazu, vorausschauend zu denken. Durch diese Entscheidung können Milliardenkosten eingespart werden. Dies trägt zu einem ausgeglichenen Haushalt bei. Vermutlich werden eines Tages weitere Anpassungen nötig sein – genau wie in Brasilien auch", hebt O GLOBO aus Rio de Janeiro hervor.
Die französische Zeitung LE MONDE kritisiert Staatschef Macron: "Überraschend ist, dass der Präsident der Republik so tut, als ob die Krise bereits hinter ihm läge, indem er den Sozialpartnern die Hand reicht. Diese sollen sich der Themen annehmen, die durch den Konflikt aufgedeckt wurden: beruflicher Verschleiß, Karriereende, niedrige Löhne. In den Augen der Gewerkschaften ist das vielleicht die Provokation zu viel: Macron hat dazu beigetragen, dass der Dialog seit sechs Jahren so schwierig ist. Um das Land voranzubringen, muss ein Präsident der Republik in der Lage sein, einen Konsens herzustellen", empfiehlt LE MONDE aus Paris.
Hören Sie nun Kommentare zu den Protesten in Israel gegen die geplante Justizreform. Die mexikanische Zeitung LA RAZON erklärt: "Sicherheitsminister Galant von Netanjahus Likud-Partei hat inzwischen erklärt, dass er gegen die Reform ist, während ultrarechte Likud-Abgeordnete mit einem Bruch der Koalition drohen, wenn die Reform nicht in der nächsten Woche beschlossen wird. Ministerpräsident Netanjahu sitzt damit zwischen den Stühlen. Er hat die Kontrolle über die Lage verloren. Die Antwort der Straße wird nicht lange auf sich warten lassen – schon bald wird mit den größten Demonstrationen in der Geschichte Israels gerechnet. Für die Teilnehmenden steht fest: Es geht um nicht weniger als die Entscheidung zwischen Demokratie und Diktatur", meint LA RAZON aus Mexiko-Stadt.
Israel erlebe seine größte politische Krise in der Geschichte des Landes, findet die türkische Zeitung HÜRRIYET. "Die Linken und Liberalen, die den Standpunkt vertreten, dass die Demokratie in Gefahr ist, und die Rechtsradikalen, die Ministerpräsident Netanjahu unterstützen, stehen sich feindselig gegenüber. Das geht so weit, dass sogar Staatspräsident Herzog und Ex-Verteidigungsminister Gantz von einem möglichen 'Bürgerkrieg' reden. Gestern kam auch noch die Nachricht, dass die Knesset, ein Gesetz verabschiedet hat, mit dem eine Absetzung des Regierungschefs erschwert werden soll", führt HÜRRIYET aus Istanbul aus.
In einem Gast-Kommentar der JERUSALEM POST heißt es: "Die gefährliche und beispiellose Gesetzesinitiative der Netanjahu-Regierung wird nicht nur den Menschenrechten schaden. Israel steuert auf einen Wendepunkt zu, von dem es kein zurück mehr gibt. Das demokratische Israel, das auf der Grundlage der zionistischen Vision gegründet wurde, ist in Gefahr zusammenzubrechen. Die Zeit ist reif für einen Ausweg, der bei der Gründung Israel vorhanden war, der aber ignoriert wurde: Nämlich die Ausarbeitung einer Verfassung. Durch diese würden Spielregeln festgelegt. Israels erster Premierminister, David Ben-Gurion, sah die Probleme voraus. In der Unabhängigkeitserklärung Israels hieß es, dass innerhalb von fünf Monaten eine Verfassung von der Volksversammlung beschlossen werden sollte. In der Praxis ist dies jedoch nie geschehen und 75 Jahre später gibt es noch immer keine Verfassung", ist in der JERUSALEM POST zu lesen.
Nun in die USA. Dort hat die Notenbank Federal Reserve die Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte erhöht. Die in Taiwan herausgegebene Zeitung JINGJI RIBAO notiert: "Dieser Schritt sendet ein Signal: Es gibt keinen Grund zur Beunruhigung, bloß einige wenige kleine und mittlere amerikanischen Banken haben ein kurzfristiges Versorgungsproblem mit Liquidität. In der Tat wäre die Auswirkung risikoreicher, sollte die Fed abrupt den Kampf gegen die weiterhin sehr hohen Verbraucherpreise stoppen. Das Vertrauen in den Bankensektor stünde auf dem Spiel, man könnte größere Probleme vermuten, die nicht existieren. Die Fed hat mit der moderaten Leitzinserhöhung rational und ausgewogen gehandelt", betont die Zeitung JINGJI RIBAO aus Taipeh.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN ist skeptisch: "Angesichts der hartnäckigen Inflationen und der guten Arbeitsmarktsituation in den USA kann man diese Entscheidung für 0,25 Prozent als angemessen betrachten. Allerdings wird die Kritik an Fed-Chef Powell lauter, der die Krise der Silicon Valley Bank übersehen hat. Nach vielen Maßnahmen, auch nach dem Fall der Credit Suisse, haben sich die Märkte zwar erstmals beruhigt. Dennoch herrscht weiter Verunsicherung. Sollte die Inflation hoch bleiben, was weitere Zinserhöhungen nach sich ziehen würde, könnten die Märkte wieder wackeln", befürchtet die NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Die Gefahr für die Banken sei noch längst nicht gebannt, hebt die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO hervor. "Mit den steigenden Zinsen sinken die Werte der US-Staatsanleihen. Vor allem die amerikanischen kleineren und regionalen Banken können gezwungen sein, ihre Anlagen in Staatsanleihen zu verkaufen, was zu ihrer Insolvenz führen kann. Die Währungshüter mit ihren beschränkten Mitteln haben eine fast unerfüllbare Aufgabe zu leisten: Während sie die Interessen der Verbraucher schützen, müssen sie auf der anderen Seite Bankenpleiten verhindern und gleichzeitig aufpassen, dass die Wirtschaft weiter wächst. Ob es ihnen das gelingt, bleibt abzuwarten", gibt JIEFANG RIBAO aus Shanghai zu bedenken.
Abschließend noch ein Kommentar aus der russischen Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA zum EU-Gipfel: "Von neuen drastischen Sanktions-Maßnahmen gegen Russland war keine Rede. Aber einige EU-Mitglieder wollen den Druck, der auf den Kreml ausgeübt wird, auf ein neues juristisches Niveau heben. Die estnische Ministerpräsidentin Kallas forderte die Schaffung eines Tribunals nach dem Vorbild des Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. Allerdings wurde dieses Tribunal von der UNO und nicht der EU geschaffen. In der UNO hat Russland jedoch ein Vetorecht." Mit diesem Zitat der Moskauer NESAWISSIMAJA GASETA endet die internationale Presseschau.