Dienstag, 23. April 2024

28. März 2023
Die internationale Presseschau

Heute mit Kommentaren zu Ungarns Votum für eine finnische NATO-Mitgliedschaft, zu Russlands Eskalation seiner nuklearen Rhetorik und zur politischen Lage in Kenia. Doch zunächst geht es um die Entscheidung des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu, den umstrittenen Umbau des Justizwesens vorübergehend zu stoppen.

28.03.2023
Das Foto zeigt einen israelischen Demonstranten mit erhobenen Händen. Polizisten auf Pferden bedrängen den Mann.
Proteste in Israel (imago / ZUMA Wire / Eyal Warshavsky)
"Nicht nachlassen", titelt die israelische Zeitung HAARETZ. "Netanjahus Erklärungen über die Notwendigkeit, das Volk zu vereinen, sind hohl. Die Proteste sollten fortgesetzt und sogar ausgeweitet werden. In den nächsten zwei Monaten wird sich zeigen, ob Israel vor dem Abgrund stehen geblieben ist oder ob Netanjahu und seine gefährlichen Freunde darauf bestehen, das Land zu zerstören. Die Gesellschaft muss den Druck aufrechterhalten, solange das Gesetz nicht vom Tisch ist", unterstreicht HAARETZ.
Nach Ansicht der JERUSALEM POST hat Netanjahu der Sicherheit seines Landes geschadet. "Israel hat einen Premierminister, der sich in erster Linie um seine eigene Zukunft kümmert. Es geht ihm weniger um die Zukunft und die Nachhaltigkeit der Nation. Er hat endlich begonnen, richtige Entscheidungen zu treffen, als er gestern ankündigte, die Gesetzgebung nicht voranzutreiben. Besser spät als nie. Israel wird nun eine Zeit der Abrechnung erleben. Das Land ist wie gelähmt. Die Menschen müssen nun überlegen, wie sie da wieder herauskommen. Das wird nicht leicht sein", ist sich die JERUSALEM POST sicher.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG schreibt: "Dass Netanjahu nun die Reform zumindest vorläufig auf Eis gelegt hat, ist richtig. Ein echter und ehrlicher Dialog mit den Gegnern ist überfällig. Es sind keineswegs nur säkulare Linke, die gegen die Reform demonstrieren, wie es das Regierungslager behauptet. Auch viele Religiöse und Rechte sind besorgt, dass die Regierung zu viel Macht erhielte, wenn sie mit einfacher Mehrheit in der Knesset jeden Beschluss des Obersten Gerichts überstimmen könnte", vermerkt die NZZ aus der Schweiz.
Der belgische STANDAARD sieht im Einlenken des israelischen Regierungschefs keine Beruhigung der Lage, denn: "Die Ultranationalisten in Israel knüpfen ihre vorläufige Geduld an die Schaffung einer Nationalgarde, die direkt dem rechtsextremen Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir unterstellt wäre. In der Praxis würde dies auf die offizielle Schaffung einer nationalen Schlägertruppe hinauslaufen, die von Fanatikern vorangetrieben wird, die eine anti-palästinensische und religiöse Gewaltagenda verfolgen", befürchtet DE STANDAARD aus Brüssel.
Die in London erscheinende arabisch-sprachige Zeitung SHARQ AL AWSAT rechnet mit der politischen Führung in Jerusalem ab: "Israel sieht sich seit jeher als säkularer, ziviler, demokratischer Staat. Israel erkennt die Prinzipien wie die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung an und stellt das nationale Interesse über das einzelner Minderheiten. Dann kam aber Netanjahu an die Macht, verbreitete Korruption, Verschwörungstheorien und spaltete die Nation. Die politische Instabilität des Landes zeigt: Die größte Bedrohung für Israel ist die Gesellschaft selbst", urteilt SHARQ AL AWSAT.
Die chinesische Staats-Zeitung XINJINGBAO kommt zu dieser Einschätzung: "Fast wäre der Staat Israel gescheitert. Aber auch nach Netanjahus Rückzieher wird das Misstrauen in der Bevölkerung nicht verschwinden. Die Beziehungen zwischen Netanjahu und US-Präsident Biden, der die Pläne der israelischen Regierung mit großer Beunruhigung verfolgt hat, werden sich dadurch schwerlich reparieren lassen. Somit ist zu befürchten, dass diese Krise noch lange andauern wird", erwartet XINJINGBAO aus Peking.
Ungarn hat dem NATO-Beitritt Finnlands zugestimmt. Nach mehrfachen Verschiebungen ratifizierte das Parlament in Budapest mit breiter Mehrheit das Beitrittsprotokoll. Schweden bleibt weiterhin außen vor, was das AFTONBLADET aus Stockholm verärgert: "Das Ziel ist, uns zu erniedrigen, denn sicherheitspolitische Argumente wurden in Budapest gar nicht erst vorgetragen. Da stehen wir nun. Nachdem wir zweihundert Jahre lang mit unserer Bündnisfreiheit erfolgreich waren, werden wir jetzt von Orbán und Erdogan als Europäer zweiter Klasse behandelt, während der Rest der NATO zusieht. Die Türkei und Ungarn stehen Putins Russland nah, sodass es teilweise wohl auch um ihre Beziehungen zu Moskau geht. Aber vor allem wollen sie uns 'ab ins Körbchen' zurufen, weil wir es gewagt haben, sie für Menschenrechtsverletzungen, Autoritarismus und Unterdrückung der eigenen Bevölkerung zu kritisieren. Rückblickend betrachtet waren wir wohl ein bisschen naiv. Wir sollten den NATO-Gipfel in Vilnius im Sommer abwarten, bevor wir ernsthaft über einen Plan B zur NATO-Mitgliedschaft nachdenken", empfiehlt das schwedische AFTONBLADET.
Die finnische Zeitung HUFVUDSTADSBLADET sorgt sich um Russlands rhetorische Eskalation, wonach Moskau taktische Atomwaffen in Belarus stationieren will: "Viele sehen darin eine Bedrohung für Europas Sicherheit. Putin hat immer wieder mit seinen Atomwaffen gedroht, vor allem wenn es im Krieg schlecht lief. Strategisch hat der Schritt keine große Bedeutung. Weder steigt damit die atomare Kapazität, noch hat Russland etwas von einem Einsatz solcher Waffen zu gewinnen. Es bleibt abzuwarten, ob Putin diesen Beschluss überhaupt umsetzt. Sein Ziel ist, die USA und Europa von einer weiteren Unterstützung der Ukraine abzuschrecken, und das zeigt vor allem seine Schwäche und seine Sorge bezüglich einer ukrainischen Frühjahrsoffensive", ist sich das HUFVUDSTADSBLADET aus Helsinki sicher.
Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA warnt: "Der belarussische Machthaber Lukaschenko wird für Putins Russland so etwas wie Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un für China. So schafft der Kreml ein Nordkorea im Zentrum Europas. Gleichzeitig ist der Einfluss Moskaus auf Minsk viel größer als der Pekings auf Pjöngjang. Nun muss der russische Ex-Präsident Medwedew den Ukrainern, Polen oder Litauern nicht mehr mit Atomwaffen drohen. Lukaschenko wird es tun, weil er einen besonderen Hass auf Nachbarstaaten hegt, die die demokratische Opposition in Belarus unterstützen", vermutet die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Zum Schluss geht es um Kenia. Trotz sozialer Spannungen in dem Land ist Präsident Ruto zu einem Staatsbesuch nach Berlin gereist, um mit Bundeskanzler Scholz über Wirtschaftspolitik zu sprechen. Die kenianische Zeitung NATION wirft ein Schlaglicht auf die Massendemostrationen in dem Land und warnt Ruto vor einer weitere Unterdrückung der Proteste: "Es scheint, als gerate die Regierung, angesichts der Proteste des Oppositionsführers Odinga in Panik. Wir sehen eine Regierung, die nicht weiß, wie sie reagieren soll, und die deshalb zu roher Gewalt und zur Aufhebung grundlegender Rechte greift. Mit Versuchen die Demonstrationen zu verbieten, gießt die Regierung nur Öl ins Feuer. Kluge Führer müssen in der Lage sein, die Zeichen der Zeit zu erkennen und die Initiative zu ergreifen, bevor sie in Ungnade fallen. Präsident Ruto muss den Unruhen zuvorkommen. Das heißt nicht den Forderungen des Oppositionsführers Odinga nachzugeben, sondern die Notwendigkeit eines nationalen Dialogs anzuerkennen und einen Waffenstillstand anzustreben, der diesen ermöglichen kann." Das war NATION aus Nairobi.
Der ebenfalls Kenia erscheindende THE EAST AFRICAN fordert die Konfliktparteien zum Dialog auf. "Der einzig sichere Weg wäre es jetzt, dass die Hardliner von ihrem Kurs ablassen, auf die Stimme der Vernunft hören und die Bevölkerung nicht weiter aufwiegeln. Als Staatsoberhaupt ist es die Aufgabe Rutos, die Initiative zu ergreifen und im Interesse der Stabilität auf die Menschen zuzugehen. Er sollte seine Agenda offen darlegen und klare Bedingungen für einen Dialog nennen. Die Forderung der Bevölkerung an die Regierung, die steigenden Lebenshaltungskosten in den Griff zu bekommen, ist legitim. Es braucht einen Plan zur Bewältigung der Wirtschaftskrise. Hier sollte die Debatte ansetzen. Proteste sollten nur das letzte Mittel sein"; betont THE EAST AFRICAN aus Nairobi.