11. April 2023
Die internationale Presseschau

In vielen Zeitungen geht es um den Vorstoß des französischen Präsidenten Macron für eine eigenständige Taiwan-Politik der Europäischen Union. Auch die geleakten mutmaßlichen US-Geheimdokumente sind Thema in den Kommentarspalten.

Der chinesische Staats- und Parteichef Xi und Frankreichs Präsident Macron in Peking
Der chinesische Staats- und Parteichef Xi und Frankreichs Präsident Macron in Peking (AFP / LUDOVIC MARIN)
Zunächst aber zu den Äußerungen Macrons. Die Zeitung THE TIMES aus London kann diese nicht nachvollziehen. "Frankreichs Präsident hat Europa davor gewarnt, sich in Krisen verwickeln zu lassen, 'die nicht unsere sind'. Die Europäer sollten nicht zu 'Amerikas Mitläufern' werden. Doch Macron irrt sich, wenn er behauptet, Taiwan sei das Problem von jemand anderem. Selbst aus rein wirtschaftlicher Sicht ist Taiwan wichtig. Die globale Wertschöpfungskette ist bei der Herstellung von Halbleitern stark von dem Land abhängig. Außerdem ist Taiwan für die internationale Sicherheit von Bedeutung. In der indo-pazifischen Region leben etwa 60 Prozent der Weltbevölkerung. Eine unangefochtene chinesische Aggression in Taiwan würde diversen Ländern signalisieren, dass China bei künftigen Menschenrechtsverletzungen, Cyberangriffen, beim Diebstahl geistigen Eigentums oder gar bei militärischer Aggression nicht zur Rechenschaft gezogen wird", befürchtet die britische Zeitung THE TIMES.
Die australische Zeitung THE AGE hält die Äußerungen Macrons für - Zitat - "ungeschickt, unpassend und naiv", und führt aus: "Er mag der einflussreichste Staatschef in Europa sein, aber wie schon seine Fehleinschätzung im vergangenen Jahr hinsichtlich der russischen Absicht, in die Ukraine einzumarschieren, zeigte, verfehlt seine Außenpolitik manchmal das Ziel. Oft wird er vom französischen Geheimdienst überrumpelt, der in der Vergangenheit einen miserablen Ruf hatte. Da China seine Rhetorik verschärft und Drohgebärden folgen lässt, hat Macron mit dem Timing seiner Äußerungen Pekings Handeln gebilligt. Er hat jedoch auch unbeabsichtigt die große Frage aufgeworfen, die niemand stellt: Was sollte man tun, wenn China in Taiwan einmarschiert? Die Antwort auf diese Frage ist alles andere als klar", bemerkt die Zeitung THE AGE, die in Melbourne erscheint.
Die chinesische Haltung ist der Zeitung HUANQIU SHIBAO aus Peking zu entnehmen. "Macrons Äußerungen haben in den USA und im Westen große Irritationen ausgelöst, dabei ist nichts daran auszusetzen, wenn ein europäischer Staatschef für die Wahrung der europäischen Interessen eintritt. Mit den abfälligen Bemerkungen über Macron soll der Erfolg seines Chinabesuch heruntergespielt werden. Aus Washington sind gar Stimmen zu hören, wonach sich Europa künftig alleine um die Ukraine kümmern müsse, wenn es nicht weiter für Taiwan Partei ergreift. Dies ist nicht mehr bloße Kritik, sondern muss bereits als Nötigung betrachtet werden."
Die taiwanesische Zeitung ZHONGGUO SHIBAO aus Taipeh empfiehlt einen genaueren Blick. "Während die staatlichen Medien in China lediglich die harsche Kritik westlicher Medien an Macron veröffentlicht haben, sollte man doch aufmerksamer hinschauen. Denn viel wichtiger ist, welche Resonanz seine Aussagen in Frankreich selbst und im Nachbarland Deutschland auslösen werden. Während Paris immer unverblümter für eine strategische Autonomie eintritt, scheint Berlin noch hin und her gerissen, welchen Kurs es gegenüber Peking einschlagen soll."
"Den Zeitpunkt, in den Medien zu diesem Thema zu kommunizieren, wählte Macron nicht zufällig", vermutet die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA. "Die Beziehungen zwischen den USA und China haben sich mit Blick auf Taiwan erneut verschärft. Dieser Umstand wird auch die Themen der bevorstehenden Visite von Josep Borrell in Peking beeinflussen. Der EU-Außenbeauftragte wird ab übermorgen in China sein. Macrons jüngste Aussagen wirken hier wie eine bewusste Reisebotschaft an den EU-Chefdiplomaten. Der französische Präsident glaubt, dass die Europäische Union zum Zeitpunkt des Beginns des russisch-ukrainischen Konflikts bereits 'Elemente strategischer Autonomie' gegenüber den USA geschaffen hatte. Jetzt habe die EU in einer Art Panikreaktion begonnen, der amerikanischen Politik zu folgen. Dies in Zukunft aber immer und überall zu tun, könne die EU teuer zu stehen kommen. Diese Meinung Macrons steht in starkem Kontrast zu dem, was viele andere europäische Staatsmänner über die Situation um Taiwan sagen", bemerkt die NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau.
Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN befasst sich mit dem Militärmanöver Chinas vor Taiwan und ruft Peking auf, seine Drohungen zu beenden. "Die dreitägige Übung war eine Reaktion auf das Treffen der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen mit dem Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, in den USA. Es ist äußerst anormal, wie extrem China darauf reagiert hat. Die Gefahr eines unverhofften Zusammenstoßes wächst, die Angst in der Region ebenso. Pekings Drohgebärden schaden der Volksrepublik, weil sie damit internationales Vetrauen verspielt. China sollte sich zurückhalten. Über 70 Jahren nach der Trennung von China hat Taiwan seine Demokratisierung erfolgreich vollzogen, und die Identität der Menschen als 'Taiwaner' hat sich längst etabliert. Wie bedeutungslos daher eine militärische Drohung ist, sollte die Führung in Peking endlich erkennen." Sie hörten einen Auszug aus der Zeitung ASAHI SHIMBUN, die in Tokio erscheint.
Die spanische Zeitung EL MUNDO aus Madrid blickt auf die China-Reisen ausländischer Politiker und warnt vor den Motiven Pekings. "Aus Europa kamen der Deutsche Olaf Scholz, aus Spanien Pedro Sánchez und vergangene Woche Emmanuel Macron mit EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Alle flehen Xi an, Russlands Präsidenten Putin zu einem Ende der Invasion der Ukraine zu bewegen. Jetzt ist auch der brasilianische Präsident Lula da Silva an der Reihe. Xi lächelt ausdruckslos. China und Russland sind zwei Seiten derselben Medaille und haben sich gegenseitig die Treue geschworen. Wie Putin hat Xi ein Einparteienregime in ein autokratisches Regime verwandelt. Und wie Putin steht er liberalen Demokratien zutiefst feindlich gegenüber. Sie streben keine multipolare Ordnung an, sondern die Wiederherstellung der Machtblöcke, wie sie bis zum Fall der Sowjetunion existierten", lautet die Analyse des Kommentators von EL MUNDO.
Zum nächsten Thema. Die niederländische Zeitung DE TELEGRAAF kommentiert die Veröffentlichung geheimer US-Dokumente zum Krieg in der Ukraine. "In der Schattenwelt der Spionage ist es immer schwierig, die Wahrheit herauszufinden, aber die panische Reaktion sowohl Washingtons als auch Kiews deutet darauf hin, dass doch mehr dahintersteckt. Dass es in der Ukraine an Flugabwehrgeschützen und allen möglichen anderen Ausrüstungen wie Panzern mangelt, war bereits bekannt. Aber die Dokumente enthüllen auch recht detailliert, wie die USA an die Informationen gelangt sind, anscheinend hauptsächlich durch elektronische Spionage. Die Ukraine reagierte vorerst gelassen auf die Berichte, dass Washington auch Selenskyj ausspioniert und abgehört hat. Bei Geheimdiensten wird zwar stets davon ausgegangen, dass sie niemandem trauen. Dennoch ist es peinlich, wenn man, wie die USA, gegenüber Putin eine geschlossene Front zeigen will. Irritationen zwischen Partnern, die so eng zusammenarbeiten, sind immer schlecht", meint DE TELEGRAAF aus Amsterdam.
"Der Krieg der geheimen Informationen schlägt ein neues Kapitel in dem globalen Duell zwischen Demokratien und autoritären Regimen auf", glaubt die italienische Zeitung LA REPUBBLICA aus Rom. "Die Tatsache, dass die Leaks mit der geplanten Frühjahrs-Gegenoffensive der Truppen von Kiew zusammenfallen, stellt eine potenzielle Gefahr für diese entscheidende Phase des Konflikts dar. Moskau kennt die Schwächen der ukrainischen Streitkräfte und weiß, wie und in welchem Umfang die US-Geheimdienste die russische Offensive ausspionieren."