15. April 2023
Die internationale Presseschau

Themen sind die Unterzeichnung der umstrittenen Rentenreform in Frankreich durch Präsident Macron, das Ende der Atomkraft in Deutschland sowie die Geheimdienst-Leaks in den USA. Zunächst aber zum Besuch von Außenministerin Baerbock in China.

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) wartet im Staatsgästehaus Diaoyutai während einer gemeinsame Pressekonferenz mit dem chinesischen Außenminister Gang.
Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) wartet im Staatsgästehaus Diaoyutai während einer gemeinsame Pressekonferenz mit dem chinesischen Außenminister Gang. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
Die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO kommentiert: "Nach der Forderung von Frankreichs Präsident Macron nach mehr politischer Selbständigkeit Europas haben viele westliche Medien im Vorfeld des China-Besuchs von Frau Baerbock auf eine Gegenrede gehofft. Das aber ist nicht passiert. Bekannt als scharfe China-Kritikerin gab die deutsche Außenministerin zwar ein paar kritische Worte von sich, stärker aber wurde die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit betont. In der Tat hat innerhalb Europas bereits ein Umdenken zu einem europäischen China-Kurs begonnen. Entscheidend dafür ist nicht die Wertevorstellung politischer Eliten. Denn Werte hin oder her: Man darf vor allem die nationalen Interessen nie aus den Augen verlieren. Und Dialog ist ohnehin besser als Konfrontation. Durch einen ständigen Austausch kann erreicht werden, dass ideologisch gefärbte Positionen abgelegt werden. Ein gutes Beispiel dafür war die ehemalige Bundeskanzlerin Merkel", meint HUANQIU SHIBAO aus Peking.
Die polnische RZECZPOSPOLITA schreibt: "Die Reise der deutschen Außenministerin stieß auf großes Interesse – insbesondere nach dem China-Besuch von Macron. Die Äußerungen des französischen Präsidenten haben Baerbocks Visite um einiges komplizierter gemacht. Die deutsche Kritik an Macron ist durchaus nachvollziehbar. Denn es ist schwer zu verstehen, worum es dem französischen Präsidenten wirklich geht. Deutschland ist außerdem wirtschaftlich viel stärker von China abhängig als Frankreich, was sich natürlich auf die Politik auswirkt. Merkels China-Politik basierte im Wesentlichen auf gegenseitigem Handel. Unter Olaf Scholz weicht Deutschland nun von diesem Kurs ab. China bleibt zwar Deutschlands wichtigster Handelspartner. Aber die Bundesregierung konzentriert sich darauf, Abhängigkeiten zu verringern", notiert die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Der britische GUARDIAN geht auf Macrons Äußerungen ein. "Natürlich sind die europäische und die US-amerikanische Außenpolitik nicht gleichzusetzen. Auch wird es Peking nicht überraschen, dass Taiwan auf der europäischen Agenda weiter unten steht als auf der amerikanischen. Aber diese Dinge so unverblümt auszusprechen, als er aus Peking zurückkehrte und China Militärübungen in der Nähe von Taiwan durchführte, war ein Fehler. Deutsche Beamte haben die Reise von Bundesaußenministerin Baerbock nach Peking als Schadensbegrenzung bezeichnet. Sie warnte, eine Eskalation in der Straße von Taiwan wäre ein 'Horrorszenario für die ganze Welt'. Auch die EU wehrt sich. Schon rein wirtschaftlich gesehen kann Europa aufgrund der Chipindustrie und des Handels, der durch den Staat fließt, nicht gleichgültig gegenüber Taiwans Zukunft sein", unterstreicht der GUARDIAN aus London.
Auch beim Treffen der G7-Außenminister in Japan wird China Thema sein, nimmt die taiwanesische Zeitung LIANHE BAO an. "Dabei wird es vor allem um eine gemeinsame Strategie gegen China gehen. Denn das Land versteht die Wirtschaft oft als Sanktionsmittel gegen unliebsame politische Gegner. Als große Wirtschaftsmacht kann China mit Handelsmaßnahmen Länder schlimmstenfalls ökonomisch ruinieren. Ob es den G7-Staaten gelingt, dagegen ein strategisches Papier zu verabschieden, bleibt abzuwarten", schreibt LIANHE BAO aus Taipeh.
Nun ein Blick nach Frankreich, wo der der Verfassungsrat die Kernpunkte der umstrittenen Rentenreform gebilligt hat. Präsident Macron hat das Gesetz inzwischen unterschrieben. Die KLEINE ZEITUNG aus Österreich spricht von einem... "Sieg für Macron - allerdings mit einem Schönheitsfehler. Obwohl nun festgestellt wurde, dass Macron bei der Umsetzung des Gesetzes nicht über den rechtlichen Rahmen hinausging, bleibt die Kritik daran, dass die Reform ohne große Mitbestimmung des Parlaments durchgedrückt wurde. Und auch wenn die Entscheidung des Verfassungsrats von Gewerkschaften und Opposition größtenteils respektiert werden dürfte, heißt das nicht, dass die Proteste mit dem Urteil vorbei sind. Im Gegenteil: Es ist ein Sieg, der Macron in der Gunst des Volkes zum Verlierer machen könnte." So weit die KLEINE ZEITUNG aus Wien.
Die italienische Zeitung CORRIERE DELLA SERA sieht es so: "Der Präsident hat gewonnen, seine Reform hat den gesamten legislativen und demokratischen Prozess durchlaufen und wird am 1. September in Kraft treten. Für die zahlreichen Gegner stellt sich nun die Frage, was aus dem Protest wird. Die Mobilisierung begann mit den Renten und richtet sich mittlerweile gegen das gesamte Regierungshandeln und vor allem gegen die Person des Präsidenten. Macron war noch nie so unbeliebt", vermerkt der CORRIERE DELLA SERA aus Mailand.
"Das Misstrauen wird nicht plötzlich wie durch Zauberei verschwinden", konstatiert die französische Zeitung LE FIGARO und zeigt sich verblüfft: "Wie kann man glauben, dass man allein, weil man gewählt wurde, einfach gegen zwei Drittel der Bevölkerung regieren kann? Ein Teil unserer Eliten legt eine Selbstgefälligkeit an den Tag, die im Kontrast zum beklagenswerten Zustand des Landes steht. Der Hochmut des Besserwissers, der einem etwas 'rückständigen' Volk unausweichliche Reformen schmackhaft machen will, ist den meisten unserer Mitbürger inzwischen zuwider. Die Franzosen sehen sehr wohl, dass der Niedergang des Landes weniger auf ihrem vermeintlichen Widerwillen gegen 'Reformen' beruht, sondern auf kraftlosen staatlichen Leistungen. Schule, Gesundheit, Sicherheit: Überall gibt es Steuern, nirgends gibt es Dienstleistungen", kritisiert LE FIGARO aus Paris.
Themenwechsel. In den USA ist der mutmaßliche Verantwortliche für die illegale Veröffentlichung von US-Geheimdienstinformationen im Internet verhaftet worden. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG glaubt: "Die Affäre ist trotzdem längst nicht ausgestanden. Der Schaden ist noch immer nicht richtig überblickbar. Geheime Details über die Ausrüstung der Kampfverbände für die geplante ukrainische Gegenoffensive gelangten an die Öffentlichkeit. Ebenso weiß Russland nun, in welchen Teilen seines Sicherheitsapparates die amerikanische Spionage mithört. Die Ukraine wiederum sieht sich mit dem Dilemma konfrontiert, dass sie auf eine enge Zusammenarbeit mit Amerika angewiesen ist, aber kein Vertrauen in die Diskretion ihrer Schutzmacht jenseits des Atlantiks haben kann. All dies wird Auswirkungen haben, die sich erst mit der Zeit besser erkennen lassen", prognostiziert die N.Z.Z.
Die britische TIMES ist verwundert: "Es ist kaum nachvollziehbar, dass in der weltweit führenden Demokratie ein unterer Angestellter des Militärs, der gerade mal das Erwachsenenalter erreicht hat, Zugang zu einigen der sensibelsten Geheiminformationen hatte. Schon jetzt ist klar, dass die US-Sicherheitsdienste ihr System zum Schutz wichtiger Informationen überarbeiten müssen. Und wer unerlaubt Geheiminformationen weitergibt, muss selbstverständlich hart bestraft werden."
Zum Schluss zu diesem Thema: Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland werden heute vom Netz genommen. Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN schreibt: "Trotz der Sorgen um Energieengpässe zieht Deutschland seinen Atomausstieg durch. Nicht nur, weil die Versorgung durch alternative Energie gut funktioniert und auch nicht allein wegen der problematischen Suche nach einem Endlager. Hinter dem Ausstieg steht auch der starke Wille der Deutschen, Anführer Europas zu sein. Und auch die politische Botschaft, wonach sich Deutschland nicht von Russland in die Knie zwingen lässt. Es mag dogmatisch klingen: Aber eine Idee hochzuhalten und nach ihrer Verwirklichung zu streben, das ist Deutschland." Mit dieser Stimme aus NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio endet die internationale Presseschau.