Mittwoch, 24. April 2024

05. Mai 2023
Die internationale Presseschau

Themen sind die EZB-Zinserhöhung sowie die Deutung angeblicher Drohnenangriffe auf den Kreml. Doch zunächst geht es um die Reise des ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag forderte er ein Sondertribunal zum russischen Ukrainekrieg. Die französische Zeitung LES DERNIERES NOUVELLES D´ ALSACE schreibt dazu:

05.05.2023
Der ukrainische Präsident Selenskyj steht bei seiner Rede auf dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag hinter einem Rednerpult. Darauf steht: No Peace without Justice for Ukraine.
Der ukrainische Präsident Selenskyj spricht auf dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. (IMAGO / ANP / IMAGO / Remko de Waal)
"Es ist gut, sich daran zu erinnern, dass Rechtsstaatlichkeit und die Achtung der Menschenwürde uns von der Barbarei trennen. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verjähren nicht. Man darf nie aufhören, die Täter zur Verantwortung zu ziehen."
Die belgische Zeitung DE STANDAARD kritisiert Premierminister De Croo. "Er machte einen schwachen Eindruck, als er in Den Haag nach Selenskyj und dem niederländischen Premier Rutte sprach. So tat De Croo, als leiste Belgien einen wesentlichen Beitrag im Kampf gegen Russland, obwohl wir in Wahrheit auf einem der hinteren Plätze landen. Wir unterstützen Selenskyj – aber es darf bloß nicht zu viel kosten. Die niederländische Hilfe für die Ukraine liegt sechsmal so hoch wie unsere. Für Belgien ist das kein Ruhmesblatt", moniert DE STANDAARD aus Brüssel.
Die Zeitung POLITIKEN aus Kopenhagen fordert weitere Unterstützung für die Ukraine. "Gerade kleine Länder wie Dänemark haben ein vitales Interesse an einer Weltordnung, in der keine Diktatoren auf das Recht des Stärkeren pochen. Aus diesem Grund müssen wir die Ukrainer bei ihrem Kampf unterstützen. Gestern waren es Patronen, heute sind es Raketen und morgen im Bedarfsfall auch Kampfflugzeuge. Es geht nicht nur darum, den Krieg zu gewinnen, sondern darum, dem Bösen Grenzen zu setzen, eine Grundlage für den Frieden zu schaffen, der eines Tages kommen wird."
Zum angeblichen Drohnenangriff auf den Kreml schreibt die chinesische Staats-Zeitung JIEFANG RIBAO: "Keiner will es gewesen sein oder etwas damit zu tun haben. Sowohl Washington als auch Kiew weisen jegliche Verantwortung und Vorwürfe aus Moskau zurück. In den westlichen Medien macht sich die These der russischen Selbstinszenierung breit. Die symbolische Bedeutung des Vorfalls ist jedenfalls bemerkenswert: Gibt es auch in Russland keinen sicheren Platz mehr? Die Reaktion aus Moskau, man wolle nun die 'physische Eliminierung' des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, wirft die Frage auf: Wird der militärische Konflikt zwischen Russland und Ukraine noch einmal eskaliert? Die Sorge ist begründet", meint JIEFANG RIBAO aus Schanghai.
Die türkische Zeitung MILLIYET bezeichnet die These eines ukrainischen Attentatsversuchs auf Staatschef Putin als absurd. "Es könnte jedoch sein, dass die Russen einen Vorwand suchen, um den Präsidentenpalast in Kiew oder Selenskyj auf seinen Reisen anzugreifen. Die Explosionen über dem Kreml, ob inszeniert oder real, verheißen nichts Gutes."
Die estnische Zeitung POSTIMEES aus Tallinn kommt zu dieser Einschätzung: "Egal, wer hinter dem Angriff steckt: Wieder einmal zeigt sich die Schwäche der Diktatur. Entweder ist sie unfähig, ihr eigenes Machtzentrum zu schützen, oder aber sie versucht, mit solchen Scheinangriffen ihr Handeln zu rechtfertigen."
Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA verweist darauf, dass alle bisherigen Erklärungen für die Explosionen über dem Kreml Spekulationen sind: "Was wirklich zählt, ist etwas anderes: In wenigen Tagen, am 9. Mai, feiert Moskau den wichtigsten Feiertag des modernen, militanten Russlands. Offenbar sollen Ereignisse im Vorfeld dafür sorgen, dass die kriegsmüde und instabile Nation wieder zusammenrückt. Vielleicht sucht man Gründe für eine weitere Eskalation, eine weitere Brutalisierung des Krieges. Oder man will nach neuen Waffen greifen. Wir sollten vorsichtig sein: Der zunehmend in die Enge getriebene Kreml ist so unberechenbar, dass alle Szenarien möglich sind", notiert die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
In Budapest findet derzeit ein Treffen konservativer Politiker statt. An der "Conservative Political Action Conference" nimmt unter anderem Ministerpräsident Orban teil. Dazu schreibt der österreichische STANDARD: "In der ungarischen Hauptstadt kam zusammen, was nicht wirklich zusammengehört. Die Idee des internationalen Nationalismus hat sich aber schon allzu oft als Fata Morgana erwiesen. Mit gutem Grund: Das vaterländische Hemd ist ihren Anhängern im Zweifelsfall näher als der gemeinsame ideologische Rock. Wie etwa Osterreichs FPÖ-Chef Herbert Kickl und Tschechiens Ex-Premier Andrej Babiš bei patriotisch aufgeladenen Themen wie der Kernenergie an einem Strang ziehen, würde man sich gerne ansehen. Abgesehen davon, dass Babiš als weitgehend ideologiefreier Populist auf der Konferenz ohnehin recht unpassend erscheint. Er wolle eben alle Wähler ansprechen, so seine Erklärung. Also bekenne er sich 'logischerweise auch zu konservativen Werten'. Der russische Angriff auf die Ukraine hat einen weiteren wunden Punkt der Möchtegern-Allianz offengelegt, in der Putin-Fans ebenso vertreten sind wie in der Wolle gefärbte Kreml-Kritiker. Echte Gemeinsamkeiten beschränken sich auf ein Nein zur Migration und ein mangelndes Bewusstsein für Frauen- und Minderheitenrechte. Der Rest ist Krawall", analysiert DER STANDARD aus Wien.
Nach der amerikanischen Notenbank hat auch die EZB erneut ihren Leitzins angehoben, auf nun 3,75 Prozent. Die FINANCIAL TIMES lobt den Kurs der Zentralbank: "Die Inflation ist im letzten Monat wieder auf sieben Prozent angestiegen und der Arbeitsmarkt bleibt überhitzt. Weitere Zinserhöhungen sind hier notwendig. Die jüngsten Daten deuten darauf hin, dass eine Verlangsamung des Zinserhöhungstempos klug war. Untersuchungen der EZB zeigen einen Rückgang der Kreditvergabe der Banken und der Nachfrage nach Krediten. Es gibt Hinweise darauf, dass frühere Zinserhöhungen mittlerweile Wirkung zeigen. Eine kräftigere Anhebung des Zinssatzes wäre deshalb gewagt gewesen. Darüber hinaus bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich des Streits in den USA über die Schuldenobergrenze und der Turbulenzen im Bankensektor", bemerkt die FINANCIAL TIMES aus London.
Die spanische Zeitung EL PAIS führt aus: "Alles deutet darauf hin, dass der Höhepunkt der Zinsen in der Eurozone bald erreicht sein könnte. Die Folgen steigender Kreditkosten für private Haushalte und Unternehmen werden in diesem und auch im nächsten Jahr noch zu spüren sein. Man wird deshalb wachsam bleiben müssen, um zu verhindern, dass die Zinserhöhungen vor allem die schwächsten und am meisten gefährdeten Familien nicht noch weiter in Mitleidenschaft ziehen." Das war EL PAIS aus Madrid.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN ist skeptisch: "Was die EZB vor allem beschäftigt, sind Lohnerhöhungen. Die groß angelegten Streiks, die sich in diesem Frühjahr in Deutschland und Europa häufen, spiegeln die Realität wider, dass die Kaufkraft schwindet. Bei der Europäischen Zentralbank ist man alarmiert, dass mit höheren Abschlüssen auch die Verbraucherpreise weiter steigen. Zudem ist die Gefahr, dass mit einer zu restriktiven Geldpolitik die Geschäftsbanken destabilisiert werden könnten, nicht gebannt", konstatiert NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Zum Schluss ein Blick auf die morgige Krönung von König Charles III. Das WALL STREET JOURNAL hat sich die Gästeliste näher angeschaut: "Sie werden nie erraten, wen China zu dem Anlass schickt: Vizepräsident Han Zheng. Er ist der Mann der Kommunistischen Partei, der auf chinesischer Seite die Aufkündigung des Vertrages mit dem Vereinigten Königreich über dessen frühere Kronkolonie in Hongkong anführte. Das Vereinigte Königreich befürchtet womöglich einen diplomatischen Zwischenfall, falls es hohe chinesische Beamte von der Krönung ausschließt. Aber Premierminister Rishi Sunak oder der Palast könnten zumindest einige der Hongkonger einladen, die in Großbritannien Zuflucht gesucht haben. Das würde Han in der gleichen Weise in Verlegenheit bringen, wie seine Anwesenheit König Charles in Verlegenheit bringt."