10. Mai 2023
Die internationale Presseschau

Neben dem Urteil gegen den ehemaligen US-Präsidenten Trump und der politischen Lage in Chile ist die Rede von Russlands Präsident Putin zum Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland Thema in vielen Kommentarspalten weltweit.

Russland, Moskau: Der russische Präsident Wladimir Putin hält eine Rede während der Militärparade zum Tag des Sieges anlässlich des 78. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges auf dem Roten Platz in Moskau.
Die Gedenk-Feierlichkeiten zum "Tag des Sieges" über den Nationalsozialismus in Moskau werden auch in vielen internationalen Zeitungen kommentiert. (Gavriil Grigorov/Pool Sputnik Krenlin/AP/dpa)
DER STANDARD aus Österreich meint, Putin habe das Gedenken der Opfer im Kampf gegen den Faschismus – Zitat "obszön missbraucht": "Indem er seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit dem Abwehrkampf gegen die Wehrmacht vor 80 Jahren gleichsetzt, verhöhnt Putin die Millionen Toten, die ihr Leben gegen Hitler gelassen haben. Um sein Volk auf einen langen Krieg gegen die angeblichen 'Faschisten' in Kiew einzuschwören, griff Putin wieder einmal tief in die Trickkiste der Kreml-Propaganda: Russland, erklärte er auf der Festtribüne auf dem Roten Platz, sei damals wie heute Opfer sinistrer Mächte; die 'globalistischen Eliten', wie Putin die westlichen Unterstützer der Ukraine nennt, seien die neuen Nazis, die Russland zerstören wollten. Dass Putin am Tag des Sieges über Hitler verschweigt, dass ein großer Teil der sowjetischen Opfer der Nazis Ukrainerinnen und Ukrainer waren, passt in dieses Bild“, notiert DER STANDARD aus Wien.
Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN beobachtet: "Zu den Feierlichkeiten, an denen einst nicht nur die Alliierten wie die USA oder Frankreich, sondern auch Deutschland oder Japan teilnahmen, kamen dieses Jahr nur einige Staatschefs aus der ehemaligen Sowjetunion. Putin hat die Bühne, auf der man sich früher gemeinsam auf Frieden und Versöhnung eingeschworen hat, in einen Ort verwandelt, der nun für Isolation und Rechthaberei steht. Selbstverständlich ist die ukrainische Bevölkerung das größte Opfer der russischen Invasion. Andererseits sind bislang auch etwa 70.000 Russen durch die Kämpfe ums Leben gekommen - ein weiterer Beweis für die Unmenschlichkeit des Regimes in Moskau, für das Soldaten lediglich den Wert von Einweg-Produkten haben", stellt ASAHI SHIMBUN aus Tokio fest.
PRAVO aus Tschechiens Hauptstadt Prag bemerkt: "Der Moskauer Militärparade gingen massive Angriffe auf ukrainische Ziele mit Drohnen und Artilleriegeschützen voraus. Genau wie vor einem Jahr hat dies Putin nichts eingebracht, womit er sich brüsten könnte, sondern nur weitere zivile Opfer verursacht. Russland ist wie ein trotziges Kind, das mit dem Kopf gegen die Wand rennt und umso wütender wird, je mehr es wehtut."
Anders als bei den Gedenkfeiern der letzten Jahre präsentierte die russische Armee bei der Parade gestern keine Kampfpanzer und Flugzeuge. LA REPUBBLICA aus Italien wertet das als Zeichen, dass Russland nur noch leere Drohungen zu bieten habe: "Putin will Normalität demonstrieren, aber er lässt keine Kampfjets fliegen, weil er Angriffe aus der Luft fürchtet. Auch kann er keine modernen Panzer vorführen, weil sie alle an der Front auf die gefürchtete 'ukrainische Gegenoffensive' warten. Ein einziger Panzer, das sowjetische Modell T-34 eröffnete die Parade aus Fahrzeugen und Raketen. Es gibt wenig zu feiern."
Das sieht die chinesische Staatszeitung JIEFANG RIBAO ganz anders: "Im Vergleich zum vergangenen Jahr war die Siegesparade zwar abgespeckt und kürzer, dennoch war sie eine Demonstration militärischer Stärke und ungebrochener Kampfmoral. Zudem sollten damit die patriotischen Kräfte in der Bevölkerung gestärkt und Versuchen entgegengetreten werden, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs umzuschreiben", unterstreicht JIEFANG RIBAO, die in Schanghai erscheint.
Die türkische Zeitung BIRGÜN verweist auf die historischen Verdienste Russlands und betont, dass einige der Vorwürfe Putins gegenüber dem Westen durchaus berechtigt seien: "Den größten Preis im Kampf gegen den Faschismus haben zweifellos die Völker der Sowjetunion gezahlt, Millionen haben dabei ihr Leben verloren. Aber aktuell macht sich eine antirussische Hysterie breit. Das hat bereits vor dem Ukraine-Krieg angefangen. In den baltischen Ländern sind alle Sowjetsymbole verboten worden. In Berlin dürfen seit vergangenem Jahr keine Sowjetflaggen getragen werden. Gestern sagte der russische Präsident Wladimir Putin bei den Feierlichkeiten auf dem Roten Platz, dass sich überall im Westen Russophobie breitmache. Er hat recht. Allerdings vergisst Putin, dass er mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine auch Öl ins Feuer gießt", hält BIRGÜN aus Istanbul fest.
Der ehemalige US-Präsident Trump muss wegen eines sexuellen Übergriffs und Verleumdung eine Millionen-Entschädigung an die Autorin E. Jean Carroll zahlen. Zu dem Urteil schreibt die norwegische Zeitung DAGBLADET aus Oslo: "Trumps Verurteilung in dem Zivilprozess schlug in den USA ein wie eine Bombe. Die Amerikaner haben sich daran gewöhnt, dass Trump mit allem durchkommt. Das Urteil könnte somit also eher als Warnung gedeutet werden, dass auch Trump nicht einfach lügen oder Menschen verleumden kann. Die Frage ist allerdings wie üblich, welche Folgen das haben wird. 'Keine', lautet die reflexartige Antwort seit den Wahlen 2016. Aber das Urteil ist Teil einer langen Serie ähnlicher Vorfälle und alles andere als schmeichelhaft für einen Präsidentschaftskandidaten", hält DAGBLADET aus Oslo fest.
Ähnlicher Ansicht ist die WASHINGTON POST aus den USA: "Das Urteil wird die öffentliche Meinung nicht umstimmen. Dennoch ist es ein unauslöschlicher Teil des Protokolls, und vielleicht nur der Anfang eines Prozesses, in dem unser Rechtssystem Trump für seine Handlungen verantwortlich macht, wenn auch mit Verspätung. Die Höhe des Schadenersatzes - fünf Millionen Dollar - unterstreicht zudem für wie schwerwiegend die Jury Trumps Verhalten hält."
In den Augen der australischen Zeitung THE AGE gelten für Trump scheinbar andere Regeln: "Kein Chef eines börsennotierten Unternehmens in den Vereinigten Staaten könnte seinen Job behalten, wenn auch nur ein Verdacht des sexuellen Fehlverhaltens bestünde. Gegen Trump wurde dagegen schon zweimal ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet und es sind Strafverfahren wegen Korruption politischer und wahlpolitischer Prozesse anhängig. Trotzdem ist er als republikanischer Präsidentschaftsanwärter immer noch im Rennen - und er führt die Umfragen sogar an. Die amerikanische Politik ist so sehr von widerlicher Parteinahme durchdrungen, dass republikanische Wähler selbst zutiefst beschädigten Kongress-Kandidaten einen Platz auf dem Stimmzettel einräumen, selbst wenn sie Lügen über ihre Karriere verbreiten oder der sexuellen Nötigung beschuldigt werden", moniert THE AGE aus Melbourne.
In Chile haben die von der Regierung unterstützten Linksparteien bei der Abstimmung über einen Verfassungsrat deutliche Verluste erlitten. EL MOSTRADOR aus Santiago de Chile bemerkt dazu: "Nachdem im ersten Rat noch die Linke den Ton angab, kommt jetzt die Rechte auf genug Stimmen, um eine neue Verfassung auszuarbeiten. Was aber soll jetzt die Regierungskoalition von Präsident Boric tun? Es ist für sie eine herbe Niederlage, denn es ging den Wählern auch darum, ihre Regierung abzustrafen. Nun müssen die gewählten Volksvertreter ihrer Aufgabe nachgehen. Und das bedeutet: den Verfassungsprozess vorantreiben, unnötige Reformen kassieren und sich für Sicherheit und Wohlstand der Bevölkerung einsetzen.“
Die kolumbianische Zeitung EL TIEMPO gibt zu bedenken: „Der Ausgang der Wahl beschäftigt den ganzen Kontinent – und das nicht ohne Grund. Der erste Entwurf für eine neue Verfassung wurde im vergangenen September zurückgewiesen, woraufhin die politischen Parteien die Gründung eines neuen verfassungsgebenden Rates beschlossen. Die meisten Stimmen bekamen bei der Wahl ausgerechnet die rechten Republikaner, die sich für die alte Verfassung einsetzen. Gelingt es den Republikanern jetzt auch noch, sich mit einer weiteren rechten Gruppierung zu einigen, kämen sie zusammen auf eine Mehrheit der Sitze und könnten einen Text nach ihrem Gusto erstellen. Reformen ja – aber ohne Abenteuer. So könnte die Botschaft der Wähler verstanden werden. Und die chilenische Regierung täte gut daran, sie nicht einfach zu ignorieren.“ Das war zum Ende der Internationalen Presseschau EL TIEMPO aus Bogotá.