15. Mai 2023
Die internationale Presseschau

Mit Stimmen zum Berlin-Besuch von Ukraines Präsident Selenskyj und zur Lage im russischen Angriffskrieg. Zunächst aber geht es um die Präsidentenwahl in der Türkei.

Unterstützer des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan halten Tranzparent mit einem Foto von ihm hoch und schwenken türkische Fahnen.
Die Präsidentenwahl in der Türkei ist Thema in den Zeitungen. (IMAGO / Depo Photos / IMAGO)
CUMHURIYET aus Istanbul meint: "Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu hat massiv versucht, zu manipulieren. Das macht deutlich, wie wichtig es ist, dass alle Medien frei sind. Und das geht nur mit der Abwahl dieser Regierung. Zu dieser Stunde ist es schwer zu sagen, dass Kilicdaroglu gewonnen hat. Alles deutet auf eine Stichwahl hin. Doch der Wille des Wählers ist da, das Ein-Mann-Regime abzuwählen. Das ist das wichtigste Ergebnis dieser Wahl", stellt CUMHURIYET fest.
KARAR aus Istanbul konstatiert: "Trotz der vergangenen wenig erfolgreichen Jahre ist Erdogan wegen seines persönlichen Stils nicht nur zahlenmäßig, sondern auch politisch der Gewinner. Er hat es geschafft, die Opposition trotz seiner schlechten Leistung in den vergangenen fünf Jahre und seines Scheiterns bei der Hilfe für die Erdbebenopfer in das Lager der PKK und der Terrororganisationen zu drängen", meint die türkische Zeitung KARAR.
Die österreichische Zeitung DIE PRESSE blickt auf ein mögliches Bündnis der Oppositionsparteien: "Die sechs Parteien sind ideologisch unterschiedlich, gemeinsamer Nenner ist die Gegnerschaft zu Erdogan. Für den Fall eines Sieges hat sich die Allianz zwar vorbereitet und Zuständigkeiten geklärt. Doch damit die Zusammenarbeit weiter funktioniert, muss der Schulterschluss beibehalten werden. Und das ist nicht das Einzige: Die prokurdische HDP ist kein Teil der Allianz, die meisten Parteien behandeln die HDP und somit auch ihre Wähler als Anormalität. Ein würdiger Umgang mit ihr muss gefunden werden. Das ist bisher weder der Regierung noch der Opposition gelungen", mahnt DIE PRESSE aus Österreich.
Die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA stellt fest: "Das verheerende Erdbeben vom 6. Februar, bei dem mehr als 50.000 Menschen ums Leben kamen, hat den Verlauf des Wahlkampfs letztlich wohl nur unwesentlich beeinflusst. Andere Entwicklungen im Land könnten Erdogan viel eher einen Schlag versetzen. Viele Kurden, insbesondere Mitglieder und Anhänger der HDP, sind aufgrund der Verfolgung in den letzten Jahren gegen Erdogan. Einst war Erdogan in den kurdischen Gebieten recht beliebt – heute ist er das nicht mehr. Unterdessen könnte der Ausgang der Präsidentschaftswahl von den kurdischen Wählern abhängen. Ihre Zahl im Land ist groß – die Kurden sind die größte nationale Minderheit und machen 22 Prozent der Bevölkerung aus", notiert die NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau.
Die italienische Zeitung CORRIERE DELLA SERA aus Mailand kommentiert: "Es ist kein Geheimnis, wen die Europäer und die USA als Sieger bevorzugen: Sie alle wären froh, wenn Erdogan an den Urnen verlöre. Dafür gibt es viele Gründe. Man würde es begrüßen, in der Türkei einen NATO-Partner zu haben, der die Aufnahme Schwedens nicht länger blockiert, sich nicht in militärische Abenteuer in Syrien stürzt und die Sanktionen gegen Russland mitträgt; wenn die Türkei ein Land wäre, in dem Oppositionelle nicht verfolgt werden, in dem die Meinungsfreiheit respektiert wird und das endlich zu einer vollständigen Demokratie wird. Eine Niederlage Erdogans wäre außerdem ein Schlag für den Populismus und den Mythos vom starken Mann. Kilicdaroglu hat versprochen, dass er die Beziehungen zum Westen und vor allem zu Europa verbessern will. Aber der Teufel steckt im Detail. Auch Kilicdaroglu hat nicht vor, die Politik gegenüber Griechenland und Zypern zu ändern, und er will das Flüchtlingsabkommen von 2016 auf den Prüfstand stellen", mahnt der CORRIERE DELLA SERA aus Italien.
Die griechische Zeitung EKATHIMERINI argumentiert: "Erdogan oder Kilicdaroglu? Wenn wir rein im griechischen Interesse denken, ist Erdogan besser, und sei es nur aus einem Grund: So zynisch es auch für diejenigen von uns klingen mag, die die Qualen vieler ihrer türkischen Freunde miterleben - wenn Kilicdaroglu gewählt wird, werden die Amerikaner und die Europäer gegenüber allem, was die neue türkische Regierung tut, sehr tolerant sein. Sie tun es jetzt sogar schon mit Erdogan, wenn er sie mit Russland oder anderen entscheidenden Themen provoziert. Man stelle sich vor, wie sie mit der Türkei umgehen werden, wenn Erdogan verliert," warnt die griechische EKATHIMERINI.
Die GAZETA WYBORCZA aus Warschau widmet sich dem Berlin-Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj: "Noch vor einem Jahr waren die deutsch-ukrainischen Beziehungen schlecht. Der Grund dafür war der deutsche Widerstand gegen die Aufrüstung der Ukraine. Die regierenden Sozialdemokraten wollten nichts davon hören - mit Blick auf den angeborenen deutschen Pazifismus und aus dem naiven Glauben heraus, dass Konflikte diplomatisch und nicht auf dem Schlachtfeld gelöst werden sollten. Von diesen Irritationen gibt es keine Spur mehr. Denn Deutschland ist schnell zu einem der wichtigsten Geber geworden - sowohl in Bezug auf Geld als auch auf militärische Ausrüstung. Nach seinem Treffen mit Bundespräsident Steinmeier brach Selenskyj ein weiteres Tabu für Waffenlieferungen an die Ukraine - er sprach mit Bundeskanzler Scholz über die Lieferung moderner Kampfflugzeuge", notiert die GAZETA WYBORCZA aus Polen.
Die mexikanische Zeitung LA RAZON schreibt: "Selenskyj traf sich mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, und das war wichtig für ihn: Immerhin hat Deutschland mittlerweile militärische Hilfe in Milliardenhöhe geleistet und kommt damit auf Platz zwei nach den USA. Scholz sicherte der Ukraine weiter seine volle Unterstützung zu, woraufhin Selenskyj seine Forderung nach der Lieferung von Kampfflugzeugen erneuerte. Es ist bemerkenswert, dass bei all diesen Besuchen in Europa ständig von der Suche nach einem Frieden die Rede war, denn vielmehr sieht es gerade so aus, als könnte sich der Konflikt verschärfen – und weiter in die Länge ziehen", warnt LA RAZON aus Mexiko-Stadt.
Zu einer möglichen Vermittlung durch China und Frankreich bemerkt LIDOVE NOVINY aus Tschechien: "Viele werden sich von vornherein denken, dass man so einen Vorschlag nicht ernst zu nehmen braucht. Sie sehen in einem Sieg der Ukraine und einer Rückkehr zu ihren Grenzen von 1991 die einzige Chance, um die internationale Ordnung wiederzuherstellen. Das ist eine logische Überlegung, doch nur unter der Voraussetzung, dass sich auf dem Schlachtfeld auch tatsächlich ein Sieg durchsetzen lässt. Sollte man nicht im Stillen oder in der Diplomatie abseits der Öffentlichkeit über einen Plan B nachdenken? Lässt sich denn ausschließen, dass der Ukrainekrieg ähnlich ausgeht wie der Koreakrieg oder der Zypernkonflikt? Es ist gut zu wissen, dass jemand laut über einen Kompromiss nachdenkt, auch wenn es unschön klingen mag", ist in LIDOVE NOVINY aus Tschechien zu lesen.
Die JERUSALEM POST aus Israel meint: "Es ist sinnvoll, dass ein wichtiger Akteur wie China und eine einflussreiche europäische Macht wie Frankreich versuchen, über diplomatische Kanäle relevant zu bleiben. Allerdings ist der Westen wohl nicht besonders daran interessiert, China die Führung bei der Vermittlung zu überlassen. Angesichts der Spannungen zwischen Washington und Peking und der Beschuldigung Chinas durch die USA, Russland im Krieg zu unterstützen, wäre es für den Westen schwer sein, diese Pille zu schlucken. Außerdem wollen die USA China – ihrem wichtigsten strategischen Konkurrenten und Rivalen um globalen Einfluss – vermutlich keinen politischen Vorteil verschaffen."