Freitag, 29. März 2024

16. Mai 2023
Die internationale Presseschau

Thema ist der Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj in mehreren europäischen Ländern. Doch die überwältigende Mehrheit der Kommentatoren befasst sich mit der Wahl in der Türkei.

16.05.2023
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine winken zu Anhängern nach der Präsidentschaftswahl in der Parteizentrale in Ankara zu.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Frau Emine winken zu Anhängern nach der Präsidentschaftswahl in der Parteizentrale in Ankara zu. (AP / dpa / Ali Unal)
Der GUARDIAN aus London notiert: "Umfragen sahen den Oppositionskandidaten Kilicdaroglu knapp vorne. Kilicdaroglus Bestreben war es laut eigenen Angaben, die Wahl 'in der ersten Runde klarzumachen' und mehr als 50 Prozent der Stimmen zu holen. Dieser Optimismus war, wie sich jetzt herausstellt, unangebracht. Am Ende war es Amtsinhaber Erdogan, der in der ersten Runde fast siegte, mit 49 Prozent der Stimmen im Vergleich zu Kilicdaroglus 45 Prozent. Die AKP-Partei des Präsidenten hat auch überraschend die Parlamentswahl für sich entschieden. Dieses Ergebnis wird die Versuche der Opposition untergraben, die parlamentarische Demokratie in der Türkei wiederherzustellen, unabhängig vom Ergebnis der Stichwahl um das Amt des Präsidenten", ist der britische GUARDIAN überzeugt.
VERDENS GANG aus Oslo erklärt: "Das Wahlergebnis zeigt, dass die Opposition kein Kapital aus der wirtschaftlichen Krise und der hohen Inflation schlagen konnte. Kilicdaroglus große Herausforderung wird in den nächsten Tagen darin bestehen, die Wähler von seiner Vision für die Türkei zu überzeugen. Immerhin hat er es auch geschafft, dass Erdogan im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit erzielt hat, und das ist zum ersten Mal der Fall. Aber auch wenn Erdogan geschwächt sein mag, so ist er doch ein routinierter Politiker, der weiß, was man für einen Sieg benötigt", stellt die norwegische Zeitung VERDENS GANG heraus.
Die regierungsnahe türkische Zeitung TAKVIM schreibt über den Präsidenten: "Auch wenn er in die Stichwahl muss: Erdogan kommt bei den Wählern gut an. Allerdings verzeichnet die AKP Stimmverluste. Wenn das eine Botschaft an die Regierungspartei sein soll, muss diese gut analysiert werden. Es geht um Ruhe, Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit. Der Herausforderer Kilicdaroglu konnte mit seinen Getreuen nicht mehr herausholen. Seine Partei CHP sollte sich fragen, warum sie die Stimmen der rund fünf Millionen Jungwähler nicht für sich verbuchen konnte. Kilicdaroglu sollte sich schon vor der Stichwahl aus der Politik verabschieden", befindet TAKVIM aus Istanbul.
T24, ebenfalls aus Istanbul, führt aus: "Bei der Stichwahl ist Erdogan der Favorit. Die Märkte reagieren darauf ablehnend. Wenn die bisherige Wirtschaftspolitik weitergeführt wird, steht zu befürchten, dass eine sehr schwierige Zeit auf die Türkei wartet."
Die französische Zeitung LE FIGARO aus Paris vermerkt: "Die demokratische Opposition kann sich nicht auf die fünf Prozent des drittplatzierten rechtsextremen Kandidaten Sinan Ogan verlassen, der seinen Stimmanteil am liebsten gegen die Abkehr von einem Dialog mit den Kurden und gegen die Abschiebung syrischer Flüchtlinge eintauschen würde. Es müsste also schon ein Paukenschlag her, um den Quasi-Sultan Erdogan daran zu hindern, ein drittes Jahrzehnt an der Spitze des Landes zu beginnen."
LA VANGUARDIA aus Barcelona bemerkt: "Erdogans Herausforderer Kilicdaroglu hat in den großen kosmopolitischen und mehrheitlich laizistischen Städten gewonnen, aber die ländliche Türkei ist weiterhin konservativ und islamisch geprägt. Bemerkenswert ist außerdem, dass sich die AKP auch in den Regionen durchsetzen konnte, die besonders stark von dem Erdbeben im Februar betroffen waren. Hier hat das Versprechen von einem raschen Wiederaufbau Wirkung gezeigt. Auch die hohe Inflation und die Abwertung der Landeswährung Lira waren für die Wähler kein Grund, Erdogan abzustrafen. Der zweite Wahldurchgang wird entscheidend für die Zukunft der Türkei. Europa, die USA, Russland und die Länder der Region werden die Entwicklung aufmerksam verfolgen", unterstreicht die spanische Zeitung LA VANGUARDIA.
NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio hebt hervor: "Dass die Türkei politisch und wirtschaftlich konkurrenzfähig geworden ist, hat sie der Innenpolitik von Präsident Erdogan zu verdanken. Andererseits hat Erdogan mit seinem Stil die aktuelle wirtschaftliche Krise verursacht, und deshalb ist seine Wiederwahl in Gefahr. Aber auch der Zusammenhalt des Oppositionsbündnisses um Kilicdaroglu wackelt, denn die unterschiedlichen Parteien sind sich nur in einem Punkt einig: Sie sind Anti-Erdogan. Egal welcher der beiden Kandidaten bei der Stichwahl in zwei Wochen gewinnt: Es ist zu befürchten, dass die Innenpolitik der Türkei an Stabilität verliert", heißt es in der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN.
Die chinesische Staatszeitung HUANQIU SHIBAO ergänzt: "Erdogans außenpolitischer Kurs hat ihm sowohl viel Beifall als auch herbe Kritik in der türkischen Bevölkerung eingebracht, die immer stärker polarisiert ist. Allein die Tatsache, dass er nun in die Stichwahl muss, ist ein klares Zeichen dafür, dass sich viele seiner früheren Wähler nun von ihm abgewandt haben. Das Image seines Herausforderers als gemäßigter und zurückhaltend auftretender Politiker könnte Kilicdaroglu am Ende zugutekommen - zumal acht Prozent der Stimmberechtigten Erstwähler sind, die mit der bisherigen stark religiös geprägten Politik des Amtsinhabers nur wenig anfangen können." Das war die Einschätzung von HUANQIU SHIBAO aus Peking.
Die RZECZPOSPOLITA aus Warschau erläutert: "Erdogan hat das Ziel, die Türkei gleichzuschalten und alle wichtigen Positionen im Land mit seinen eigenen Leuten zu besetzen – in allen wichtigen Bereichen. Auf kommunaler Ebene gelingt ihm dies bislang nicht – die Bürgermeister großer Städte gehören der Opposition an. Vielleicht ist das aber auch nur ein vorübergehender Zustand. Doch möglicherweise sollten wir einem demokratiefreundlicheren Szenario eine Chance geben: Erdogan, überwältigt von wirtschaftlichen Schwierigkeiten und bewegt von der Tatsache, dass etwa die Hälfte der Nation ihn nicht will, könnte den autoritären Weg auch wieder verlassen." Sie hörten die polnische RZECZPOSPOLITA.
Abschließend zum Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj in mehreren europäischen Ländern. Der STANDARD aus Österreich stellt heraus: "Der Präsident wirkt bei seinen Blitzvisiten aufgeräumt, dankbar-bescheiden, optimistisch. Ein Präsident im Krieg, der nicht müde wird, für Freiheit und Frieden zu werben. Der derzeit meistgefährdete Mensch der Welt macht dem ängstlichen Westen Mut, so scheint es. Wladimir Putin würde ihn wohl am liebsten tot sehen, damit er die Ukraine brechen kann. Aber Putin sitzt im Bunker. Selenskyj erobert indes die freie Welt mit einem Lächeln, konzentriert auf das Wesentliche. Das besteht einerseits im ständigen Erinnern daran, dass Putins Aggression nicht nur die Ukraine, sondern die Demokratien in Europa bedroht. Er macht andererseits auch klar, dass es Freiheit und Demokratie nur gibt, wenn man um sie kämpft – politisch und militärisch", betont DER STANDARD aus Wien.
SVENSKA DAGBLADET aus Stockholm ist folgender Überzeugung: "Selenskyjs diplomatische Rundreise durch Europa hat sich gelohnt. Der Besuch in Berlin und das Treffen mit Bundeskanzler Scholz bedeutet eine deutliche Verbesserung der zuvor frostigen Beziehungen. Selenskyjs dankbare Worte im Gästebuch des Kanzlers haben vor menschlicher Wärme gestrotzt, die er gefühlt haben muss, als Deutschland schließlich seine vollumfängliche Unterstützung für die Ukraine unter Beweis stellte. Das neue Hilfspaket für die Ukraine beinhaltet fast eine Verdopplung der bisherigen Unterstützung aus Deutschland. Zweifel und Angst vor einer russischen Eskalation scheinen wie weggeblasen. Jetzt geht es nicht mehr um die Lieferung von 5.000 Helmen, sondern um Panzer, Flugabwehrsysteme und Drohnen in einem Umfang, der Deutschland an die Spitze der Großzügigkeitsliga in Europa katapultiert. Selenskyj hat die europäischen Großmächte dazu gebracht, die selbe Tonart einzuschlagen."