27. Mai 2023
Die internationale Presseschau

Viele ausländische Zeitungen kommentieren die morgige Stichwahl um das türkische Präsidentenamt. Auch der heutige 100. Geburtstag des ehemaligen US-Außenpolitikers Henry Kissinger ist Thema. Doch zunächst geht es um den Ukraine-Krieg.

27.05.2023
Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger am 04.05.2010 im Rathaus in Fürth (Mittelfranken)
Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger am 04.05.2010 im Rathaus in Fürth (Mittelfranken) (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
Die dänische Zeitung POLITIKEN aus Kopenhagen beobachtet: "Die russische Armee hat sich in zahlreichen Schützengräben verschanzt, die die Ukrainer erst einmal überwinden müssen. Videos der ukrainischen Armee zeigen, wie sich Kampfpanzer den Weg durch das Gelände bahnen, Autowracks zur Seite schieben und Gräben zuschaufeln. Es handelt sich dabei um britische Kampfpanzer vom Typ Challenger und damit einen von vielen westlichen Panzern, die die Ukraine erhalten hat, um besetzte Gebiete zu befreien. Die Botschaft ist klar: Russland kann unsere Gegenoffensive nicht aufhalten. Ein nicht unwesentlicher Teil der westlichen Hilfe besteht aus Material, mit dem Wege durch Minenfelder gebahnt werden können. Solche Ausrüstungen können kriegsentscheidend werden, und das bedeutet, dass sich die russischen Schützengräben mit westlicher Hilfe überwinden lassen", erwartet POLITIKEN.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz spekuliert in einem Gastkommentar über Wege zur Beendigung des Ukraine-Krieges: "Es wird nicht möglich sein, einen Waffenstillstand und eine stabile Lage ohne NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu erreichen. Jeder NATO-Partner, der daran zweifelt, ist angehalten, seinerseits darzulegen, wie in den kommenden Jahren ein Friedensschluss möglich wäre, der mehr darstellen würde als einen kurzlebigen Waffenstillstand", mahnt die NZZ.
Die russische Zeitung KOMMERSANT, die einem kremlnahen Oligarchen gehört, geht auf die Atomwaffenvereinbarung von Moskau und Minsk ein: "Der Antrag Weißrusslands, auf seinem Territorium Atomwaffen zu stationieren, und die Entscheidung Russlands, diesem nachzukommen, widersprechen in keiner Weise dem Atomwaffensperrvertrag und den sich daraus ergebenden Verpflichtungen. Der Vertrag enthält keine Bestimmungen, die den Einsatz von Atomwaffen auf dem Territorium anderer Länder verbieten würden. Die USA stationieren ihre Atomwaffen ja auch in anderen Ländern und betonen dabei stets, hierbei könne nicht von einer Übertragung der Kontrolle über Atomwaffen an Nicht-Atomwaffenstaaten die Rede sein und die Entscheidung über den Einsatz werde weiterhin von Washington getroffen“, notiert der KOMMERSANT aus Moskau.
Themenwechsel. Die ungarische Zeitung NEPSZAVA äußert sich zur morgigen Stichwahl um das Präsidentenamt in der Türkei: "Mit einer Hetzkampagne gegen syrische Flüchtlinge versucht Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu das Blatt zu wenden - in der Hoffnung, damit noch genügend nationalistische Stimmen einzusammeln. Die Chancen dafür sind aber gering, der verzweifelte Versuch in diese Richtung sogar schädlich. In kompetitiven Autokratien sind die Wahlen ein Spiel, bei dem am Ende stets der Tyrann gewinnt, unabhängig davon, wer und wie viele sich gegen ihn zusammenschließen. Nach zwei oder drei Legislaturperioden hat jeder Autokrat, der etwas auf sich hält, seine Macht dermaßen einbetoniert, dass seine Abwahl nur durch ein Wunder erfolgen kann. Von der türkischen Opposition darf man sich keine Wunder erwarten", meint NEPSZAVA aus Budapest.
Die türkische Zeitung CUMHURIYET aus Istanbul bemerkt zum Amtsinhaber: "In seinem Wahlkampf hat Erdoğan gelogen und betrogen, er hat Fake-Videos über seinen Herausforderer Kılıçdaroğlu erstellen lassen. Das zeigt klar, dass er geschwächt ist, wenn er das Gefühl hat, zu solchen schmutzigen Tricks greifen zu müssen. Selbst wenn er die Stichwahl gewinnen sollte, weiß er, dass eine bankrotte Wirtschaft auf ihn wartet. Und deswegen musste er so viel Lügen. Die Parlamentswahlen sind beendet, die Wahlbehörde hat die Urnenprotokolle jedoch immer noch nicht veröffentlicht. Denn es gibt Vorwürfe von Wahlbetrug. Die Mitglieder der Wahlbehörde wurden von Erdoğan eingesetzt. Für die morgige Stichwahl gibt es eine Million Wähler zu viel. Niemand kann sich das erklären. In der ersten Runde hat die Mehrheit der Wähler Erdoğan nicht gewählt. Morgen muss sich das wiederholen", verlangt CUMHURIYET.
Das LUXEMBURGER WORT beleuchtet das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei: "Die Türkei hat sich nicht sehr verändert, außer in einem Punkt: ihrer Beziehung zu Europa. Früher war es ein Objekt der Begierde, heute ist es ein Objekt der Abscheu. Dieses Europa, das seit mehr als dreißig Jahren ein falsches Spiel spielt: Einen Beitritt, den Brüssel in Aussicht gestellt hat, ohne jemals daran zu glauben. Die Täuschung hat zu tiefen Ressentiments geführt. Und genau dieses Europa glaubt seit Monaten, dass es befugt ist, den Türken eine Wahlanweisung zu geben." So weit das LUXEMBURGER WORT und so viel zu diesem Thema.
Zur Bewerbung von Ron DeSantis um die Präsidentschaftskandidatur der US-Republikaner heißt es in der britischen Zeitung THE TELEGRAPH: "Als Gouverneur von Florida hat DeSantis für ein massives Wachstum in seinem Staat gesorgt. Florida ist in Amerika zum Ziel Nummer eins für Menschen geworden, die aus den von Demokraten regierten von Kriminalität geprägten Städten fliehen. Als DeSantis zu Trumps jüngsten Attacken auf ihn befragt wurde, konnte er darauf hinweisen, dass es seltsam ist, durch Trump von links angegriffen zu werden. In einer offenen Debatte zwischen Trump und DeSantis könnte ersterer auf seine Rüpel-Taktik zurückgreifen, aber letzterer kann auf echte Erfolge verweisen. In jedem Fall bedeutet all dies, dass die Vorwahlen der Republikaner interessant geworden sind", findet der TELEGRAPH aus London.
Die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER ausStockholm analysiert die Rolle der Konservativen in der Weltpolitik: "Anders als die Linke verfügt die Rechte offenbar über keinen internen Kontrollmechanismus. So haben sich die britischen Konservativen vor einigen Jahren fröhlich auf diesen Abstieg begeben. Obwohl nur 9 Prozent der Wähler beim Brexit mehr Vor- als Nachteile sehen, wird nicht darüber gesprochen. Stattdessen werden Sündenböcke gesucht. Ähnliches gilt für die USA. Es sieht alles danach aus, als würden die Republikaner erneut Trump ins Rennen um das Weiße Haus schicken. Sein einziger ernsthafter Herausforderer heißt derzeit Ron DeSantis. Er greift Trump von rechts an. Dass sich der Streit zwischen DeSantis und Trump abspielt, ist ein Beleg für den Zustand der Rechten in den USA, und dass beide Präsident werden könnten, sagt eine Menge über die Lage der Demokratie", urteilt DAGENS NYHETER.
Abschließend noch Stimmen zum früheren US-Außenpolitiker Henry Kissinger. Die lettische Zeitung NEATKARĪGĀ RĪTA AVĪZE führt aus: "Es kommt nicht oft vor, dass eine weltbekannte Persönlichkeit ihren 100. Geburtstag feiern kann und nicht nur am Leben ist, sondern immer noch aktiv Prozesse mitgestaltet. Kurz vor seinem Geburtstag gab Henry Kissinger noch ein stundenlanges Interview. So äußerte er sich dazu, wie sich ein Dritter Weltkrieg verhindern lasse und dass sich die USA und China innerhalb der nächsten Jahre miteinander arrangieren müssten. Der russische Angriff auf die Ukraine sei ungerecht und nicht zu rechtfertigen, aber man müsse nach realen Zielen streben. Kissinger ist ein Politiker, der mit allen reden kann, wenn er es für nötig hält – selbst wenn dazu leider Leute wie Putin gehören", befindet NEATKARĪGĀ RĪTA AVĪZE aus Riga.
Auch die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO aus Peking würdigt Kissingers Verdienste für die Weltpolitik: "Er ist bereits eine Legende geworden. Besonders in diesen Zeiten vermisst man einen Politiker dieser Größe in den USA. Erwähnt sei Kissingers Beitrag zur Aufnahme der diplomatischen Beziehung der Vereinigten Staaten mit der Volksrepublik China 1972. Schon damals konnte er über die ideologischen Differenzen hinaus kritische Stimmen im Inland überzeugen und eine pragmatische Diplomatie etablieren, ohne dabei die Interessen seines Landes aus den Augen zu verlieren. Für seine Weisheit, Weitsicht und Rationalität verehrt man ihn in China." Das war zum Ende der internationalen Presseschau ein Auszug ausHUANQIU SHIBAO.