31. Mai 2023
Die internationale Presseschau

Themen sind die Ausschreitungen im Kosovo und die Auswirkungen des Wahlsiegs von Präsident Erdogan in der Türkei. Doch zunächst zum Drohnenangriff auf Moskau.

Moskau: Ein Wohnhaus, das Berichten zufolge durch eine ukrainische Drohne beschädigt wurde.
Moskau meldet Angriffe durch ukrainische Drohnen. (Uncredited / AP / Uncredited)
Die GAZETA WYBORCZA aus Warschau ist folgender Ansicht: "Drei Drohnen mit Sprengstoff stürzten gestern im Südwesten der russischen Hauptstadt ab – in einer guten Gegend von Moskau. Aber es wird wohl keine radikalen Reaktionen geben. Denn die Regierung ist an einer Beruhigung der Lage interessiert. Die Medien erhielten bereits die Anweisung zu betonen, dass die 'beste Flugabwehr' perfekt funktioniere, der Feind seine Ziele nicht erreicht habe, es im Grunde keine Verluste gebe, die Stadt ruhig schlafen könne. Es wurde angeordnet, all jene Quellen, die darauf hinweisen, dass große Drohnen über 500 Kilometer unbemerkt über russisches Territorium flogen und mehrere Kilo Sprengstoff trugen, nicht zu zitieren. Daher ist es unwahrscheinlich, dass Putin die Drohnenangriffe auf Moskau nutzt, um eine patriotische Militärhysterie auszulösen, wie er es bei den Terroranschlägen auf Moskauer Wohnblöcke im Herbst 1999 tat", meint die polnische GAZETA WYBORCZA.
Im DAILY TELEGRAPH aus London ist zu lesen: "Der Gedanke, dass ukrainische Angriffe auf Moskau illegitim seien, ist bizarr. Kiew ist täglich infamer Barbarei ausgesetzt. Viele in Moskau werden sich nun fragen, wie stark Putin ist, wenn er nicht einmal die Hauptstadt vor Drohnenangriffen schützen kann. Die Elite überlegt nun vielleicht zum ersten Mal, wie viel Krieg sie in Kauf nehmen will. Tyrannen halten sich selten lange, wenn ihre Flamme des Erfolgs langsam erlischt. Es gibt kein größeres Symbol für Putins Scheitern als der Rauch im Himmel über Moskau", unterstreicht der britische DAILY TELEGRAPH.
In der japanischen Zeitung ASAHI SHIMBUN heißt es: "Seit Beginn der sogenannten russischen 'Spezialoperation' in der Ukraine war es Putins Plan gewesen, dass die Bevölkerung von Großstädten wie Moskau so wenig wie möglich vom Krieg mitbekommt. Die meisten Menschen in Russland dürften den Krieg bislang immer noch nicht als persönliches Problem empfunden haben. Doch ein Drohnenangriff auf Moskau selbst wird sich in der Gefühlswelt der Bürger niederschlagen. In welcher Hinsicht ist allerdings noch unklar: Ob die Menschen sagen, 'wir sollten diesen dummen Krieg stoppen!' Oder: 'Diese freche Ukraine sollte man konsequenter zerstören', erläutert ASAHI SHIMBUN aus Tokio.
Die Zeitung TAKUNGPAO, die in Hongkong erscheint, hebt hervor: "Nach Ansicht von US-Nachrichtendiensten steckt eine Spezialeinheit oder ein Geheimdienst der Ukraine dahinter. Sollte sich dies bewahrheiten, wäre dies der schwerste Schlag der Ukraine gegen Russland seit dem Ausbruch des Krieges im Februar vergangenen Jahres. Außerdem ist es bereits der zweite Drohnenangriff auf Moskau in jüngster Zeit. Beteuerungen der NATO, die Unterstützung für Kiew werde nicht dazu führen, dass die ukrainischen Streitkräfte tief in russisches Hoheitsgebiet eindringen, wären dann widerlegt. Bislang spielte sich der Krieg fern vom Alltag der russischen Bevölkerung ab, aber es gibt bereits warnende Stimmen russischer Politiker, dass sich die Bürger auf eine neue Realität einstellen müssten." Sie hörten TAKUNGPAO aus Hongkong.
Nun in die Türkei. DIENA aus Riga bemerkt: "Erdogans Sieg bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl war vorhersehbar. Aber wird es ihm wirklich gelingen, sich bis zum Ende der Amtszeit auf diesem Posten zu halten? Das Ergebnis zeigt, dass seine Beliebtheitswerte sinken, was sich mit den wirtschaftlichen Problemen der Türkei erklären lässt. Solange Erdogans geopolitische Projekte keine Auswirkungen auf die Wirtschaft hatten, genoss er viel Rückhalt bei den Wählern, aber das ändert sich jetzt zusehends. Es ist also durchaus denkbar, dass die Türkei vor den nächsten Wahlen von Massenprotesten erschüttert wird und es zu einem Machtwechsel kommt", notiert die lettische Zeitung DIENA.
Die dominikanische Zeitung EL CARIBE aus Santo Domingo betont: "Der Wiederaufbau in der Erdbebenregion steht an, und die Wirtschaft lahmt. Auch widersetzt sich Erdogan einer Anhebung des Leitzinses, was den Preisauftrieb und den Verfall der Landeswährung Lira bremsen würde. Außerdem hat Erdogan zwar eine Anhebung der Mindestlöhne und der Renten angekündigt, um seine Wahlchancen zu verbessern - aber Experten sind der Ansicht, dass sich solche höheren Ausgaben nicht lange durchhalten lassen."
POLITIKEN aus Kopenhagen fragt nach Erdogans Wahlsieg: "Was wird jetzt aus dem schwedischen NATO-Beitrittsantrag? Die Antwort lautet, dass Erdogan sein Spiel fortsetzt und Schweden weiter auf die Folter spannt. Offiziell erklärt Erdogan seine Verweigerungshaltung damit, dass Schweden Personen Zuflucht gewährt, die er als kurdische Terroristen bezeichnet. In mehreren Punkten hat Stockholm versucht, der Türkei entgegenzukommen. Aber Erdogan geht es auch um den Kauf neuer F16-Kampfjets aus den USA, was der Kongress bislang ablehnt. Erdogan ist unberechenbar. Es kann also ebenso gut passieren, dass er den Preis weiter in die Höhe treibt, wenn er merkt, wie dringend die anderen NATO-Länder eine Mitgliedschaft Schwedens wollen", befürchtet die dänische Zeitung POLITIKEN.
"Die Wahl in der Türkei ist eine Warnung vor Trump", titelt die NEW YORK TIMES und führt aus: "Die Trump-Bewegung basiert nicht auf der Erwartung zu gewinnen. Sie basiert auf einem Zusammenhörigkeitsgefühl, darauf, gehört und gesehen zu werden. Darauf ein Dorn im Auge derjenigen zu sein, von denen man verabscheut wird und die man verabscheut. Der ganze Rest - Sieg oder Niederlage, Wohlstand oder Misere, sind Details. Erdogan hat den Erwartungen getrotzt, weil er all das verstanden hat. Er wird nicht der letzte populistische Anführer sein, dem das gelingt", ist die NEW YORK TIMES überzeugt.
Abschließend zu den Ausschreitungen im Kosovo. DER STANDARD aus Wien erklärt: "Der Gewaltausbruch militanter serbischer Aktivisten gegen die NATO-Schutztruppe im Kosovo ist für den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic eine willkommene Gelegenheit, davon abzulenken, dass im eigenen Land Zehntausende seinen Rücktritt fordern und ihm vorwerfen, mit seiner autokratischen Politik, der Hetze in seinen Medien und den Unterstützern in der organisierten Kriminalität ein Klima der Gewalt zu fördern. Vucic weiß den Westen gut zu instrumentalisieren, weil er jederzeit mit Gewalt im Kosovo drohen kann. Deshalb wird er auch mithilfe seines Freundes Viktor Orban in Ungarn von der EU mit viel Geld und freundlichen Worten beschwichtigt, nach dem balkanischen Motto: Füttere vor allem den stärksten Hund im Rudel, denn damit garantierst du, dass er die anderen kontrolliert. Doch die Appeasement-Politik war bisher völlig erfolglos", notiert der österreichische STANDARD.
Die ungarische Zeitung NEPSZAVA aus Budapest sieht die Schuld sowohl beim serbischen Präsidenten Vucic als auch beim kosovarischen Regierungschef Kurti: "Kurti hat es sich mit dem Westen mehrfach verscherzt: So ist er nicht bereit, den Kosovo-Serben mehr Rechte zu geben. Die beiden großen Egos haben wieder einmal nicht nur dem Balkan, sondern auch ihren eigenen Nationen schweren Schaden zugefügt. Sie sind nicht zur Einsicht bereit, dass der Weg, den sie beschreiten, in die komplette Katastrophe führt."
Die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER hebt hervor: "Die EU hat in dem Konflikt einen Trumpf in der Hand: Sowohl der Kosovo als auch Serbien wollen Mitglieder der Europäischen Union werden. Aber keiner von beiden wird aufgenommen, solange er sich weigert, zivilisiert mit dem anderen umzugehen. Kosovo hat keine anderen Anknüpfungspunkte als die EU. Und selbst wenn viele Serben eine slawische Verbundenheit mit Russland verspüren, hat Belgrad keine ökonomischen oder politischen Vorteile davon, sich mit Moskau zu verbünden. Die EU muss beharrlich bleiben. Eines Tages könnten selbst ewige Gegner von der Realität eingeholt werden", konstatiert DAGENS NYHETER aus Stockholm.