06. Juni 2023
Die internationale Presseschau

Kommentiert werden heute unter anderem das EuGH-Urteil zur Justizreform in Polen, der russische Angriffskrieg in der Ukraine und die Lage der deutschen Wirtschaft.

Zunächst nach Polen. Der Wiener STANDARD fragt: "Ist Polen also endlich im europäischen Mainstream angekommen? Mitnichten. Wir haben letzthin bloß nicht genau genug hingesehen. Die Bevölkerung des Landes weiß sehr genau, dass sich der innenpolitische Kurs der nationalkonservativen Regierungspartei PiS nicht geändert hat. Das bewies am Wochenende die größte Protestkundgebung seit Jahrzehnten: Es habe sich nichts gebessert, von einem Einschwenken auf den 'europäischen Weg' könne keine Rede sein, hieß es dort. Und auch die Tatsache, dass der Europäische Gerichtshof gestern neuerlich urteilte, dass die Warschauer Justizreform dem Unionsrecht widerspricht, macht klar: Die polnische Demokratie steht noch immer auf dem Prüfstand", meint die österreichische Zeitung DER STANDARD.
Mit der großen Protestkundgebung am Wochenende beschäftigt sich auch die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER: "Die Proteste am Sonntag sind vielleicht die größten, seit der Kommunismus 1989 auf den Müllhaufen der Geschichte verbannt wurde. Der wirkliche Kampf um die polnische Demokratie ist ein nationaler. Vor allem erinnern die Proteste an die Kraft der polnischen Zivilgesellschaft. Die Polen haben eine lange Geschichte der breiten Mobilisierung zur Verteidigung liberaler Werte. Viele der Protestteilnehmer erinnern sich selbst an den Sturz des Kommunismus und die Einführung der Demokratie. Jetzt gehen sie auf die Straßen, um diese zu verteidigen", erläutert DAGENS NYHETER aus Stockholm.
Der Protestmarsch am Sonntag sei ein großer politischer Erfolg gewesen, ist in der polnischen Zeitung RZECZPOSPOLITA zu lesen: "Aber selbst die gelungenste Demonstration entscheidet nicht über den Ausgang einer Wahl. Die Kundgebung hat der liberalkonservativen Oppositionspartei Bürgerplattform den Glauben gegeben, dass ein Sieg möglich ist, und das ist ein in der Politik wichtiges Gefühl."
Die polnische GAZETA WYBORCZA schreibt: "Wird auch dieses Mal die einzige Reaktion der polnischen Führung darin bestehen, verbal aufzutrumpfen, mit der Faust auf den Tisch zu hauen und dabei jene Argumente zu wiederholen, die bereits mehrfach vom Gerichtshof der Europäischen Union geprüft und für unbegründet befunden wurden? Sollte sich ein solches Szenario wiederholen und Polen sich weigern, seine Gesetzgebung an den Inhalt des EuGH-Urteils anzupassen, könnte dies zu weiteren schmerzhaften Finanzsanktionen für unser Land führen und unsere Isolation auf der internationalen Bühne vertiefen. Für Polen wäre das eine sehr schmerzliche Niederlage. Das EuGH-Urteil zeigt, dass wir in einem Land leben, in dem das Justizsystem erheblich von den Standards zivilisierter Länder abweicht", bedauert die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.
Nun zum Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die spanische Zeitung EL MUNDO geht auf die Vermittlungsbemühungen von Papst Franziskus ein: "Offenbar ist Kiew willens und bereit, die militärische Initiative zu übernehmen. Dies wurde vergangene Woche auch von der US-Regierung bestätigt. Man habe der Ukraine das notwendige Kriegsmaterial geliefert, hieß es. Auf der diplomatischen Ebene ist die Lage allerdings festgefahren. Trotz der verschiedenen Vermittlungsbemühungen - wie zum Beispiel der des Papstes. Dessen Sondergesandter Kardinal Zuppi traf gestern in der ukrainischen Hauptstadt ein, um sich für ein Friedensabkommen einzusetzen, das noch in weiter Ferne liegt", beobachtet EL MUNDO aus Madrid.
Zum Nato-Gipfel im nächsten Monat in Litauens Hauptstadt Vilnius meint die britische Zeitung THE FINANCIAL TIMES: "Anders als 2008, als sich die USA dafür einsetzten, die Ukraine in die Nato zu lenken, ist die Regierung Biden zurückhaltend. Einige europäische Diplomaten sind optimistisch, dass ihre Einwände - und etwaige Vorbehalte in Berlin - schwinden könnten, ähnlich wie hinsichtlich der Lieferung tödlicherer Waffen an Kiew. Es bedarf intensiver Diplomatie, um noch vor Vilnius eine Einigung zu erzielen. Dies würde den Kreml zweifelsohne weiter verärgern. Allerdings hat der russische Präsident Putin schon vor längerer Zeit erklärt, die Mitgliedschaft der Ukraine sei ein Fait Accompli. Die Nato sollte unmissverständlich klarstellen, dass Russlands Aggression dieses Ergebnis unvermeidlich gemacht hat", betont die FINANCIAL TIMES aus London.
Die lettische Zeitung DIENA geht der Frage nach, wie groß die Gefahr von Russland für das Baltikum ist: "Estland und Lettland grenzen an Russland, Litauen an das russische Gebiet Kaliningrad – wie sieht hier die militärische Bedrohung aus? Die dürfte eher gering sein, weil alle drei Länder Mitglieder der NATO sind. Dafür geht ein viel größeres Risiko von der russischen Propaganda aus, und dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen. Vor allem über soziale Netzwerke werden Halbwahrheiten oder Falschnachrichten verbreitet. Die Pro-Kreml-Propaganda versucht, die Gesellschaft mit der Botschaft von Lettland als gescheitertem Staat zu infiltrieren. Natürlich kann man unser Parlament und unsere Regierung kritisieren, und natürlich gibt es in Lettland Probleme. Aber umso wichtiger ist es, daran zu erinnern, welche Errungenschaften es gibt – und dazu gehören auch Lettlands Mitgliedschaft in der NATO, in der EU und in der Eurozone", unterstreicht DIENA aus Riga.
Die chinesische Zeitung RENMIN RIBAO beleuchtet die schlechten Wirtschaftsdaten in Deutschland: "Die deutsche Wirtschaft, die als Lokomotive der europäischen Wirtschaft gilt, ist im zweiten Quartal in Folge geschrumpft. Dies bedeutet, dass sich das Land de facto in einer Rezession befindet. Kurzfristig ist auch keine Besserung in Sicht. Die Ursache ist die Ukraine-Krise und die daraus resultierende Energiekrise. Da Deutschland in besonders hohem Maß auf Energieimporte aus Russland angewiesen war, ist der Schock der Kehrtwende der EU für das Land auch besonders schwer zu verkraften. Wenn die tragende Säule der Eurozone nun bröckelt, wird dies auch schwerwiegende negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Erholung der EU insgesamt haben, denn das Vertrauen in diesen Wirtschaftsraum und seine Währung, den Euro, wird zwangsläufig schwinden", prognostiziert die Zeitung RENMIN RIBAO aus Peking.
Der Schweizer TAGES-ANZEIGER befasst sich mit dem Umfragehoch der AfD: "Selbst wenn Ampelparteien und CDU/CSU für den Aufstieg der AfD höchstens mittelbar verantwortlich sind, sollten sie diesen doch als Warnung betrachten: Die Regierung muss mit Streiten aufhören, überzeugender arbeiten und die soziale Frage im Auge behalten - insbesondere die SPD. CDU und CSU wiederum sollten die Finger von Populismus lassen und sich um Sachlichkeit bemühen, wo die AfD Emotionen schürt. Direkte Auswirkungen könnten die Rekordwerte der AfD in der Asylpolitik haben. Angesichts stark steigender Zahlen stellen Teile von CDU/CSU bereits das Asylrecht, ja sogar die Genfer Flüchtlingskonvention infrage", notiert der TAGES-ANZEIGER aus Zürich.
"Die Herausforderungen für die Politik sind monumental", heißt es im LUXEMBURGER WORT. "Und doch hat sie nicht den Luxus, das Feld den Populisten und Nationalisten zu überlassen – die keine Lösungen für die anstehenden, komplexen Probleme haben. Deshalb müssen die traditionellen Parteien mutig und vorausschauend handeln. Sie dürfen sich nicht auf Nebenschauplätzen verlieren, sondern müssen die reellen Probleme der Menschen anpacken. Gleichzeitig sollten sie ihr Handeln klar und verständlich kommunizieren. Nur so kann Politik glaubwürdig sein und verloren gegangenes Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern zurückgewinnen. Die kommenden Jahre werden nicht einfacher. Für die Politik gilt es daher, anstatt auf Umfragewerte oder die nächsten Wahlen zu schielen, langfristig richtige Entscheidungen zu treffen. Die demokratischen Gesellschaften wurden in ihrem Selbstverständnis tief erschüttert", Das war das LUXEMBURGER WORT.