28. Juni 2023
Die internationale Presseschau

Es geht um die Sicherheitslage in Osteuropa und den Erfolg der AfD bei einer Landratswahl in Thüringen. Nach wie vor sind auch die Entwicklungen nach dem gescheiterten Aufstand in Russland Thema vieler Zeitungskommentare weltweit.

Putin spricht an einem Rednerpult. Hinter ihm stehen vor einer Treppe drei Soldaten in schwarzen Paradeuniformen. Rechts neben Putin eine russische Flagge.
Die Reaktion von Russlands Präsident Putin auf den gescheiterten Aufstand der Wagner-Truppe ist eines der Themen in der Internationalen Presseschau. (Sergei Guneyev / Pool Sputnik Krem / dpa)
Die polnische RZECZPOSPOLITA befasst sich mit der gestrigen Rede von Russlands Staatschef Putin zu den Ereignissen: "Wladimir Putin versus Realität", titelt das Blatt und führt aus: "Der russische Präsident versucht seine Bürger – und wahrscheinlich auch sich selbst – davon zu überzeugen, dass Prigoschins Putsch an der 'Einheit der Gesellschaft' gescheitert sei. Putin tut so, als wüsste er nichts von der Existenz des Internets, über das sich Aufnahmen von Bewohnern von Rostow am Don verbreiteten, die den rebellischen Söldnern applaudierten. Die Menschen in Putins eigenem Umfeld verstanden die Situation besser und erkannten den Zerfall staatlicher Institutionen. Deshalb floh man aus der Hauptstadt, hauptsächlich ins Ausland. Einige sind bis heute nicht zurückgekehrt", hält RZECZPOSPOLITA aus Warschau fest.
Die türkische Zeitung KARAR meint: "Vor allem ist deutlich geworden, dass dieses Riesenland, vor dessen Macht sich jahrelang alle gefürchtet haben, in Wirklichkeit ein Papiertiger ist. Russland scheint nicht in der Lage, aus eigener Kraft eine halborganisierte Rebellenarmee zu stoppen, sondern ist auf die Hilfe der Nachbarn angewiesen. Das geht so weit, dass sogar die Gegner Russlands über dessen Zukunft besorgt sind. Denn sollte das Land auseinanderfallen oder ein Bürgerkrieg ausbrechen, was wird dann aus den Atombomben im Land?", fragt KARAR aus Istanbul.
Dass der Kreml dem Chef der Wagner-Truppe Straffreiheit gewährt, findet die französische Zeitung DERNIERES NOUVELLES D’ALSACE bezeichnend: "Ein russischer Präsident, der in den letzten zwanzig Jahren unerbittlich alle seine Gegner aufgespürt und beseitigt hat, hatte in diesem Fall nicht den Mut oder den Spielraum, Prigoschin zu bestrafen. Und das, obwohl dieser sich des Hochverrats schuldig gemacht und Putin auf nie dagewesene Weise gedemütigt hat. Prigoschin hat mit diesem rebellischen Aufstand gezeigt, wie nackt der russische Machthaber ist. Es bestärkt zudem die Vermutung, dass bei militärischem Druck der Ukrainer die Front und das System innerhalb weniger Tage zusammenbrechen könnten. Wie die Sowjetunion zu ihrer Zeit." Das war LES DERNIERES NOUVELLES D’ALSACE aus Straßburg.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG glaubt nicht, dass die russische Regierung nun einfach zur Tagesordnung übergeht: "Dem steht auch der von Putin unterstrichene präzedenzlose Charakter der Ereignisse entgegen. Zu den Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre würde es deshalb passen, wenn Putin sich gewissermassen ein Vorbild an seinem türkischen Amtskollegen Erdogan nähme und dessen harter Reaktion auf den Putschversuch 2016. Es wäre grundsätzlich nicht verwunderlich, wenn Putin gelegentlich personelle Änderungen in den Sicherheitsstrukturen vornähme. Bedroht dürften sich auch die Wagner-Angehörigen und ihre Familien fühlen. Eines scheint klar: Freiwillig aufgeben wird Putin nicht", stellt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz klar.
Die norwegische Zeitung DAGBLADET ist überzeugt, dass der belarussische Präsidenten Lukaschenko von seinen Vermittlungsbemühungen profitiert hat: "Lukaschenko spielte eine zentrale Rolle, als Prigoschins rund 4.000 Soldaten auf dem Weg nach Moskau umkehrten. Daraus entsteht ein Bild von zwei Verlierern und einem Gewinner. Die Verlierer sind Putin und Prigoschin. Der Gewinner ist Lukaschenko. Aber was bekommt Lukaschenko dafür, dass er Putin geholfen hat? Putin hat den belarussischen Präsidenten wohl in der Tasche. Aber wenn eine Sache am vergangenen Wochenende klar geworden ist, dann dass Lukaschenko in seinem Verhältnis zu Putin kräftig gestärkt wurde und er möglicherweise ein wenig aus dessen Tasche herauskriechen konnte", vermutet DAGBLADET aus Oslo.
"Ein Chaos in Russland hätte auch Lukaschenkos Macht in Belarus gefährdet", ergänzt die lettische Zeitung DIENA: "Der Kompromiss sieht nicht nur vor, dass sich Prigoschin nach Belarus begibt, sondern dass dies auch die Wagner-Söldner dürfen, die sich nicht in die russische Armee eingliedern lassen wollen. Diese neue Situation bietet reichlich Anlass zur Sorge in Lettland und den anderen Nachbarstaaten von Belarus. Schließlich bedeutet das nichts anderes, als dass sich Prigoschins Aktivitäten zumindest teilweise nach Belarus verlagern und von dort aus fortgesetzt werden. Für Lukaschenko heißt das, dass eine kampferprobte Profiarmee in sein Land kommt, die seine Armee trainieren kann und die er auch gegen seine Gegner einsetzen kann", notiert DIENA aus Riga.
Die schwedische Zeitung EXPRESSEN betont, das Chaos in Russland dürfe NATO und EU nicht vom Wesentlichen ablenken: "Die Priorität muss weiter sein, die Ukraine zu unterstützen. Kiew braucht mehr Waffen und Transportfahrzeuge, Gerätschaft zum Minenräumen, Medizin, Pflegebedarf, die Ausbildung von Soldaten – und Geld, viel Geld, erst recht, wenn man das Land nach all den Zerstörungen wiederaufbauen will. Dass die Ukraine ihren Verteidigungskrieg gewinnt ist notwendig für die Sicherheit in ganz Europa. Geiz können wir uns da nicht leisten", unterstreicht EXPRESSEN aus Stockholm.
DER STANDARD aus Österreich greift das geplante verstärkte Engagement der Bundeswehr in Litauen auf: "Das kleine Litauen ist zwischen der russischen Exklave Kaliningrad und dem mit Moskau verbündeten Belarus eingeklemmt. Mit den beiden anderen baltischen Staaten teilt das EU- und Nato-Land das Schicksal, an der osteuropäischen Nato-Flanke zu liegen, die als eine der Schwachstellen des Verteidigungsbündnisses gilt. Die Ankündigung des deutschen Verteidigungsministers Boris Pistorius, nun 'dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren', ist die im Baltikum lange und ungeduldig ersehnte Zusage, die Sorgen und Befürchtungen dort endlich ernster zu nehmen. Damit kann Deutschland noch einmal deutlich den Paradigmenwechsel seiner Verteidigungspolitik hin zur einsatznahen Bündnisverteidigung unterstreichen. Und die Nato-Russland-Grundakte, wonach die Nato in Osteuropa 'eher' keine 'substanziellen Kampftruppen dauerhaft stationiert', landet spätestens jetzt auf dem Misthaufen der Geschichte. Putin hat sie ohnehin schon am 24. Februar 2022 dorthin befördert", heißt es im STANDARD aus Wien.
Zu einem weiteren Thema. Die chinesische Staatszeitung JIEFANG RIBAO kommentiert den Sieg des AfD-Kandidaten bei einer Landratswahl in Thüringen: "Dieser historische Wahlsieg der rechtsextremen AfD kann als politisches Erdbeben in Deutschland gewertet werden. Die Entwicklung steht im Zusammenhang mit der anhaltenden Krise in der Ukraine und den westlichen Sanktionen, deren Folgen die Deutschen in der Form hoher Energiepreise und Inflation immer stärker zu spüren bekommen. Die von den etablierten Parteien ausgegrenzte AfD konnte vor allem mit ihrer Anti-Zuwanderungs-Haltung und ihrer euroskeptischen Haltung bei den Wählern punkten. Ähnliche Entwicklungen sind seit geraumer Zeit auch in anderen EU-Staaten wie Italien, Schweden und Frankreich zu beobachten. Insofern sollten die Regierungen dieser Länder darüber nachdenken, wie sie einen konstruktiven Beitrag zur Beendigung der Krise in der Ukraine leisten können", empfiehlt JIEFANG RIBAO aus Schanghai.
Die dänische Zeitung JYLLANDS-POSTEN beobachtet: "Der Rechtsruck in Thüringen lässt deutsche Politiker anderer Parteien darum ringen, nicht auf AfD-Rhetorik zurückzugreifen, um Wähler zurückzugewinnen. Die politischen Parteien stehen unter Druck. Nicht einmal die stark negative Berichterstattung der Medien über die AfD hat die Wähler dazu veranlasst, sich von der rechten Partei abzuwenden, die noch dazu intern völlig zerstritten ist. Es gibt also allen Grund, um Olaf Scholz, Freidrich Merz und Robert Habeck zu zittern - ganz zu schweigen von FDP-Chef Christian Lindner. Die Zeit wird zeigen, was sie aus dem Hut zaubern." Mit diesem Kommentar aus JYLLANDS-POSTEN aus Århus endet die Internationale Presseschau.