01. Juli 2023
Die internationale Presseschau

Heute mit Stimmen zur Lage in Russland und der Ukraine nach dem Wagner-Aufstand vom vergangenen Wochenende, zu den Krawallen in Frankreich sowie zu einer erneuten Koranverbrennung in Schweden. Zunächst geht es aber um den in Brüssel zu Ende gegangenen EU-Gipfel.

Polens Premier Mateusz Morawiecki und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban.
Ungarns Ministerpräsident Orbán und der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki torpedierten wichtige Beschlüsse des EU-Gipfels. (imago-images / NurPhoto / Mateusz Wlodarczyk)
"Kein EU-Geld für Orban!", titelt die österreichische Zeitung DER STANDARD und führt aus: "Der ungarische Ministerpräsident hat es schon wieder getan. Im Paarlauf mit seinem polnischen Kollegen blockierte Orban beim jüngsten EU-Gipfel stundenlang jeden Beschluss zur Migrationspolitik. Orban ging es um Obstruktion. Er will wegen prinzipieller Verweigerung einer gemeinsamen geordneten Asyl- und Migrationspolitik rechtsgültige EU-Ratsbeschlüsse aushebeln. Der polnische Premier ist dabei nicht viel besser. Man kennt diese Methode des gezielten Brechens von EU-Regeln und Konventionen seit Jahren. Aber so unverschämt, unsauber und brutal wie diesmal hat es vor allem der Rechtspopulist aus Budapest selten getrieben – ganz unverblümt", unterstreicht DER STANDARD aus Wien.
Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA schreibt: "Der EU-Gipfel hat gezeigt, dass die polnische Europapolitik in einer Sackgasse steckt. Mit der Androhung eines Vetos können wir nichts gewinnen. Und wir sitzen vereinsamt auf derselben Bank wie Ungarns Orban, einem treuen Verbündeten von Russlands Präsident Putin. Es ist lange her, dass auf einem EU-Gipfel jemand versucht hat, ein Veto gegen die Abschlusserklärung der Staats- und Regierungschefs einzulegen, und zwar nicht aufgrund dessen, was dort enthalten ist, sondern aufgrund von Entscheidungen, die einige Wochen zuvor getroffen wurden. Die Positionierung auf dem EU-Gipfel war vielleicht der größte politische Fehler, den der polnische Ministerpräsident Morawiecki in seiner Karriere jemals gemacht hat. Die Schande für das Bündnis mit Orban wird auf ihn zurückfallen“, vermutet die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Nun zum russischen Krieg gegen die Ukraine. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG sieht Russlands Präsidenten Putin nach dem Wagner-Aufstand geschwächt und gedemütigt. Aber abschreiben sollte man ihn noch lange nicht. Der Kremlchef behalte wichtige Trümpfe in der Hand, denn...: "...Putins Chancen auf weitere Jahre an der Macht sind intakt, da er die verschiedenen Kräfte in seinem Regime geschickt ausbalanciert, kein ernstzunehmender Rivale in Sicht ist und die selbstzerstörerische Ukraine-Politik noch immer Rückhalt geniesst. Im Innern des Regimes dürfte der Überdruss mit Putin geringer wiegen als die Angst vor einem riskanten Neuanfang. Denn mit einem Wechsel an der Staatsspitze drohen interne Abrechnungen und der Verlust von Privilegien. Für die Ukraine bedeutet dies eine Fortsetzung ihrer Leidenszeit. Prigoschins kurzlebige Revolte bringt Kiew zwar Vorteile, weil der Kreml nun durch interne Machtfragen abgelenkt ist und die Gruppe Wagner als Akteur auf dem Schlachtfeld ausscheidet. Aber das Ende von Putins verbrecherischem Krieg ist noch lange nicht nahe", ist sich die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz sicher.
Der ebenfalls in Zürich erscheinende TAGES-ANZEIGER ist folgender Meinung: "Natürlich wird Putin Russland nicht mehr ewig anführen. Das Durchschnittsalter in seinem Politbüro liegt um die 70 Jahre. Ein Generationenwechsel lässt sich kaum länger aufschieben. Die neuen Machthaber dürften keine demokratischen Superhelden sein. Doch ein geordneter Machtwechsel ist wohl die beste Chance, die der Westen die nächsten Jahre bekommen wird. Die große Frage ist jedoch, wie weit Europäer und Amerikaner für diesen Machtwechsel gerüstet sind. Scharfe Sanktionen gegen die Rädelsführer des Krieges gegen die Ukraine sind unerlässlich, nur schon, um ein klares Zeichen zu setzen. Doch auf jeder Ebene, von der Diplomatie über den Studentenaustausch und die Kultur bis zur Wissenschaft, jeden Dialog abzubrechen und Russinnen und Russen faktisch zu unseren Feinden zu machen - das ist keine clevere Strategie", merkt der TAGES-ANZEIGER aus der Schweiz an.
Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN aus Tokio notiert: "Der Aufstand von Prigoschin mit seiner Wagner-Gruppe hat eine besorgniserregende Situation bloßgelegt: Das diktatorische Regime der Atommacht Russland ist hauchdünn von einem Zusammenbruch entfernt. Das ist gefährlich für die ganze Welt. Der russische Präsident Putin verschleiert ganz bewusst, wer die Atomwaffen seines Landes kontrolliert. Das ist kein ordentlicher Staat mehr."
Die spanische Zeitung EL MUNDO aus Madrid analysiert: „Während der ukrainische Präsident Selenskyj an Größe und Legitimität gewinnt, erweist sich Russlands Putin als geschwächt durch seine chaotische Kriegsführung. Während Selenskyj immer mehr internationale Hilfszusagen erhält, ist Russland unter Putin zum Paria der Weltgemeinschaft geworden."
Blicken wir auf die Unruhen in Frankreich. Die britische Zeitung THE TIMES erläutert: "Die Verwüstungen in nur drei Tagen und Nächten haben Frankreich schockiert und Fragen hinsichtlich der Stabilität eines wichtigen Mitglieds der Europäischen Union sowie der Zukunft von Präsident Macron aufgeworfen. Er steht vor der härtesten Prüfung seiner Präsidentschaft. Er hat sich nicht gerade einen Gefallen getan, indem er zauderte, schwach wirkte, seine Meinung änderte und ein Elton-John-Konzert besuchte, während Brandstifter eine zweite Nacht lang Chaos anrichteten. Die Franzosen sind jederzeit bereit, auf die Straße zu gehen, wenn der Volkszorn hochkocht", beobachtet die Londoner TIMES.
"Die Gründe für die Unruhen in Frankreich sind unterschiedlich", heißt es in der aserbaidschanischen Zeitung MÜSAVAT aus Baku: "Es scheint, als ob zwei Kulturen aufeinanderprallen. Wachsender Nationalismus und Rassismus in Europa haben den Selbsterhaltungstrieb der Migranten in Frankreich geweckt, und selbst wenn die Proteste nachlassen, wird es lange dauern, bis sich alles beruhigt. Ein anderer Grund für das Geschehen ist die Schwächung der Führungspersönlichkeiten in Europa. Macron konnte sich vergangenes Jahr wiederwählen lassen. Doch in seiner bisherigen Amtszeit kam er über bloße Worte nicht hinaus."
In einem Gastkommentar der chinesischen Zeitung HUANQIU SHIBAO aus Peking ist zu lesen: "Gewaltsame Proteste sind für die Franzosen nahezu alltäglich geworden. Die Gelbwesten-Bewegung ist noch in Erinnerung. Vor dem Hintergrund nationaler und internationaler Herausforderungen intensivieren sich die Ausschreitungen jedoch im Umfang und in der Dauer. Für die Verwaltung und die Sicherheitskräfte stellen sie zweifellos große Probleme dar."
Zu einer erneuten Koranverbrennung in Schweden kommentiert EXPRESSEN aus Stockholm: "Schon beim letzten Mal rief Premier Kristersson zur Mäßigung auf und erklärte, nicht alles, was erlaubt sei, sei auch angebracht. Das bedeutete nichts anderes, als dass ein Regierungschef an seine Bürger appellierte, nicht von ihren Grundrechten Gebrauch zu machen. Das hinterließ einen schalen Beigeschmack. Außerdem ist es sinnlos: Erdogan will keinen schwedischen NATO-Beitritt zulassen, solange Koranverbrennungen erlaubt sind. Er will Unterwerfung, keinen Kompromiss. Schweden hat seine Zusagen eingehalten, Gesetze geändert, Terrorverdächtige ausgewiesen und das Waffenembargo gegen die Türkei aufgehoben. Aber es gibt Dinge, die wir nicht tun können. Dazu gehören eine Änderung der Verfassung und eine Aushöhlung des Demonstrationsrechts. Welche Symbole und Fahnen dort gezeigt werden dürfen, geht Erdogan nichts an", stellt die schwedische Zeitung EXPRESSEN klar.
Die norwegische Zeitung DAGBLADET bemerkt: "Wie unangenehm und verantwortungslos eine Koranverbrennung auch ist: Es ist wichtig, die Fahne der Freiheit hochzuhalten. Im Fall von Schweden ist dies jetzt besonders dramatisch wegen des NATO-Beitrittsantrags des Landes. Die Türkei verweigert schon länger ihre Zustimmung, und nun hat Erdogan noch einen weiteren Vorwand gefunden. Für die Schweden ist es ein Unglück, dass sich der türkische Widerstand gegen ihren NATO-Beitritt immer mehr zementiert." Das war zum Ende der internationalen Presseschau das Osloer DAGBLADET.