
"Russland und Putin werden in der schönen litauischen Hauptstadt omnipräsent sein", schreibt die norwegische Zeitung DAGBLADET zum NATO-Treffen. "Wie soll man die Sicherheit in dieser für Europa so schweren Zeit gewährleisten? Zu den aktuellen Fragen gehört außerdem, was man der Ukraine anbieten kann. Präsident Selenskyj wird kaum eine konkrete Zusage bekommen, solange die USA und Deutschland Angst haben, Russland damit zu provozieren. Derzeit leuchten alle Alarmglocken – obwohl keine akute Gefahr besteht. Putins fataler Krieg in der Ukraine hat bewirkt, dass Russland lange an einer neuen Verteidigung oder gar Angriffsstärke arbeiten müsste, bevor es eine ernsthafte Bedrohung der NATO darstellen kann", glaubt DAGBLADET aus Oslo.
Die litauische Zeitung VILNIAUS DIENA kritisiert die Haltung der westlichen Länder gegenüber der Ukraine: "Der Krieg in der Ukraine geht die ganze Zeit weiter, und deshalb sind jetzt keine Gesten, sondern wirkliche Schritte angesagt. Seit der ukrainische militärische Oberbefehlshaber Saluschni offen ausgesprochen hat, wer daran schuld ist, dass die Ukraine so langsam vorankommt, herrscht im Westen betretenes Schweigen.Die Frage sollte also nun sein: Wird der Westen in Vilnius Stärke oder Schwäche zeigen – und zwar mit allen Folgen, die sich daraus ergeben?", überlegt die Zeitung VILNIAUS DIENA.
Wie die chinesische Führung über den Gipfel denkt, wird im Kommentar der Zeitung HUANQIU SHIBAO aus Peking deutlich: "Als Gastgeberland freut sich Litauen jetzt schon auf die Gelegenheit, um auf dem Gipfel China als Gegner darzustellen. Damit bedient sich die Regierung in Vilnius durchaus bewusst der Rhetorik der USA. Litauen mit seiner überzogenen Russland-Phobie sieht die NATO womöglich als seine große Rettung im Ernstfall. Dabei wird nicht bedacht, dass solche Abhängigkeiten Litauen zu einer Schachfigur der Mächtigen machen könnten. Auf dem Vilnius-Gipfel dürfte auch das Thema Taiwan eine Rolle spielen. Peking ist jetzt schon auf die gemeinsame Abschlusserklärung gespannt." Das war HUANQIU SHIBAO aus China.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN blickt auf den Besuch des ukrainischen Präsidenten Selenskyj in der Türkei: "Der türkische Präsident Erdogan will bei möglichen Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine eine führende Rolle spielen. Nach einem Gespräch mit Selenskyj sagte er, es gebe keinen Zweifel daran, dass die Ukraine die Mitgliedschaft in der NATO verdiene. Damit wollte Erdogan wohl im Hinblick auf den NATO-Gipfel bei den USA und anderen Mitgliedsstaaten einen starken Eindruck hinterlassen. Was sich die NATO-Staaten aber aktuell von der Türkei erhoffen, ist die Zustimmung für einen Beitritt Schwedens. Man darf also gespannt sein, wie sich Erdogan beim NATO-Gipfel bei diesem Thema bewegt", hebt NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio hervor.
"Die türkische Regierung spielt eine aktive Rolle im Ukraine-Konflikt", betont die türkische Zeitung SABAH. "Ankara war mit seiner Vermittlerrolle zum Getreideabkommen und zum Austausch von Kriegsgefangenen diplomatisch erfolgreich. Jetzt steht zum vierten Mal die Verlängerung des Getreideabkommens an. Das Treffen von Erdogan und Selenskyj ist auch ein Versuch der Türkei, den Krieg in der Ukraine auf diplomatischem Weg zu beenden. Denn Washington liefert Kiew neue Waffen und hofft, dadurch Russland zu schwächen. Und Europa ist nicht in der Lage, bei dieser Krise irgendwelche diplomatischen Initiativen zu ergreifen", fasst SABAH aus Istanbul zusammen.
Die USA wollen der Ukraine Streumunition zur Verfügung stellen. Dazu heißt es in einem Gastkommentar in der WASHINGTON POST: "Die Lieferung von Streumunition an die Ukraine würde nicht nur die jahrzehntelange Politik und Praxis der USA umkehren. Sie würde auch zum Tod von mehr Zivilisten führen. Sie verschärft genau das Problem, das wir mit der Bereitstellung von Millionen von Dollar für die Kampfmittelräumung angehen. Und sie steht im Widerspruch zur Haltung von zwei Dritteln der NATO-Mitglieder, die dem Übereinkommen zur Ächtung von Streumunition beigetreten sind. Das Letzte, was wir brauchen, ist, einen Bruch mit wichtigen Verbündeten - und das wegen einer Waffe, bei deren Verbot die Vereinigten Staaten die weltweiten Bemühungen eigentlich anführen sollten", ist in der WASHINGTON POST zu lesen.
Thema in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG ist der geplante Beitritt der neutralen Staaten Schweiz und Österreich zum europäischen Luftverteidigungssystem Sky Shield: "Der Schutz der kritischen Infrastrukturen im Alpenraum liegt im vitalen Interesse ganz Europas. Eine gemeinsame Beschaffung kompatibler – oder um es im Nato-Neologismus zu sagen: interoperabler – Mittel ist ein erster Schritt, eine klaffende und potenziell gefährliche Lücke zu schließen. Dass Deutschland, Österreich und die Schweiz besonders eng zusammenarbeiten wollen, ist zu begrüßen. Den drei sicherheitspolitischen Sorgenkindern Europas scheint es endlich zu dämmern, dass sie die militärische Basisleistung nicht einfach den USA überlassen können. Die schrille Kritik der SVP nach dem Motto 'Ami, go home' ist deshalb schlicht unqualifiziert. Der Juso-hafte Antiamerikanismus der größten Schweizer Partei erinnert eher an eine Vollversammlung in einer 68er Kommune als an die patriotische Position", unterstreicht die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.
Der österreichische STANDARD schreibt: "Die Sky-Shield-Entscheidung, so sinnvoll sie ist, sollte allen die Sinnlosigkeit unserer Neutralitätspolitik vor Augen führen. De facto rückt Österreich damit ein Stück näher an die NATO heran – die einzige Organisation, die im heutigen Europa für militärische Sicherheit sorgen kann. Die Autonomie, die das Bundesheer unter dem Raketenschild behalten wird, wäre auch bei einem Beitritt zur NATO gegeben. Kein Mitglied kann dazu gezwungen werden, sich an militärischen Operationen oder gar Kriegen zu beteiligen. Zwischen der Sicherheitsdoktrin des neutralen Österreich und jener des NATO-Staats Dänemark gibt es faktisch keinen Unterschied. Wie FPÖ-Politiker ihre strikte Ablehnung von Sky Shield mit ihrem ständigen Ruf nach mehr Sicherheit vereinbaren können, bleibt das Geheimnis der Demagogen", bemerkt DER STANDARD aus Wien.
Die VOLKSKRANT aus Amsterdam befasst sich mit dem Bruch der Regierungskoalition in den Niederlanden im Streit um die Einwanderungspolitik: "Die VVD von Ministerpräsident Rutte fordert zu Recht eine grundlegende Überarbeitung der Dublin-Regeln, gesamteuropäische Absprachen darüber, was sichere und unsichere Herkunftsländer sind, verbindliche Vereinbarungen mit sicheren Herkunftsländern über die Rückführung abgelehnter Asylbewerber und vielleicht auch eine Neuverhandlung der überholten UNO-Flüchtlingskonvention. Die vierte Regierung unter Rutte ist nun also Geschichte. Offenbar glaubt die VVD wirklich, dass nach Neuwahlen eine tragfähige Rechtskoalition zustande kommt. Aber wahrscheinlicher ist es, dass Rutte bald wieder mit denselben Parteien an einem Tisch landet. Dann geht das ganze politische Spiel um die Asylpolitik von vorn los", prophezeit DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden.
Die polnische GAZETA WYBORCZA ergänzt: "Rutte wollte eine härtere Migrationspolitik. Offenbar wollte er Bestimmungen einführen, die den Familiennachzug von Flüchtlingen beschränken sollten, die sich bereits in den Niederlanden aufhalten. Mark Rutte regiert die Niederlande seit 2010 ununterbrochen, nur einige Monate weniger als der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban, der dienstälteste Regierungschef der Europäischen Union. Sein Abschied würde den gravierendsten politischen Wandel in den Niederlanden seit mehr als einem Jahrzehnt markieren – zumal mögliche vorgezogene Neuwahlen die rechtspopulistische Bauern-Bürger-Bewegung an die Macht bringen könnten", erläutert die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.