31. Juli 2023
Die internationale Presseschau

Themen sind heute die anhaltenden Proteste in Israel gegen den Umbau des Justizsystems, der Staatsstreich in Niger und der Bundesparteitag der AfD.

Israel, Tel Aviv: Die Bereitschaftspolizei setzt Wasserwerfer ein, um Demonstranten während einer Demonstration gegen die Justizreform zu vertreiben.
Proteste in Israel. (Ariel Schalit/AP/dpa)
Die Zeitung HAARETZ aus Tel Aviv geht hart mit der israelischen Regierung ins Gericht und beklagt das gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen Demonstrierende. "In einem zivilisierten Land sollte es Aufgabe der Polizei sein, die Bürger zu schützen und die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Doch im Israel von Premierminister Netanjahu und dem Minister für nationale Sicherheit Ben-Gvir ist das Gegenteil der Fall: Die Regierung stört die öffentliche Ordnung und die Bürger dürfen sich nicht einmischen. Wenn die Öffentlichkeit protestiert, wird sie von der Polizei verfolgt. Polizeikommandeur Shabtai will unbedingt, dass seine Amtszeit um ein viertes Jahr verlängert wird, und tut, was der Minister für nationale Sicherheit Ben-Gvir ihm sagt. Dies kann zu einer Katastrophe und noch mehr Blutvergießen auf den Straßen führen", betont die israelische Zeitung HAARETZ.
Die türkische Zeitung EKONOMI erinnert: "Bei der Gründung Israels 1948 wurde auf eine Verfassung verzichtet. Das Oberste Gericht bekam die Zuständigkeit, alle Gesetze zu überprüfen, ob sie den Standards entsprechen. 75 Jahre hat dieses System gut funktioniert. Aber für Regierungschef Netanjahu, der zum sechsten Mal Premier wurde, geriet dies zu einem Problem. Seit dem ersten Tag seiner Regierungsübernahme kündigte er an, dass er die Zuständigkeiten des Gerichts abschaffen will. Denn Netanjahus skandalbehaftete politische Karriere neigt sich dem Ende zu. Das Gericht war dabei, ihm ein lebenslanges Politikverbot aufzuerlegen. Netanjahu will in Israel ein totalitäres System einführen. Damit schadet er nicht nur der israelischen Demokratie: Er zeigt der ganzen Welt, wie ein 'ziviler Putsch' funktioniert", meint die Zeitung EKONOMI aus Istanbul.
Die palästinensische Zeitung AL AYYAM führt aus: "Die Justizreform gilt international vielfach als Beginn einer diktatorischen Phase sowie eines umfassenden Niedergangs des israelischen Staates. International werden Parlamente, Regierungsinstitutionen und Organisationen der Zivilgesellschaft ihre Beziehungen zu Israel überdenken. So wird die Kompetenzbeschneidung des Obersten Gerichtshofs eine beispiellose Boykottbewegung und politisch-kulturelle Blockade einleiten und zudem zahlreiche Aspekte der Zusammenarbeit beeinflussen. Immer mehr westliche Regierungen werden Mühe haben, vor ihrem Parlament und ihrer Zivilgesellschaft ihre bisherige Unterstützung Israels zu rechtfertigen", glaubt AL AYYAM aus der Stadt Ramallah im Westjordanland.
Besorgt äußert sich auch die Zeitung LIANHE ZAOBAO aus Singapur: "Premierminister Netanjahu steckt mit der von ihm vorangetriebenen Justizreform in der Zwickmühle. Die Opposition im Parlament und der höchste Gerichthof sehen in den Plänen der als stockkonservativ geltenden Regierung eine gefährliche Machtkonzentration. Auch in der breiten Bevölkerung fehlt diesem umstrittenen Vorhaben die grundlegende Unterstützung. Selbst das Militär ist gespalten. Das Land leidet unter einer Verfassungskrise. Eine Ende der komplexen Situation ist nicht absehbar", befürchtet LIANHE ZAOBAO aus Singapur.
Themenwechsel. Mit dem schwindenden Einfluss Frankreichs in der Sahelzone nach den Staatsstreichen in Niger, Mali und Burkina Faso befasst sich die spanische Zeitung LA VANGUARDIA: "Die Erosion der französischen Präsenz in den frankophonen Staaten Afrikas hat mit den Fehlern und den gescheiterten Strategien zu tun. Sechs Jahrzehnte lang hat sich Paris für ein neokoloniales System wirtschaftlicher, politischer und militärischer Abhängigkeit entschieden, das als Françafrique bekannt ist. Dieses System hat die politische Entwicklung dieser Länder unterdrückt, dort den Widerstand gegen die ehemalige Kolonialmacht verstärkt und zahlreiche diktatorische Regierungen hervorgebracht. Solange Paris seine Politik auf autokratische und nicht rechenschaftspflichtige Regierungen stützt, wird es sehr schwierig sein, den verlorenen Boden in seinen Kolonien zurückzugewinnen, welche zunehmend von China und Russland beherrscht werden", notiert LA VANGUARDIA aus Barcelona.
Die niederländische Zeitung DE TELEGRAAF kommentiert die Haltung Russlands zum Staatsstreich in Niger: "An mehreren Orten schwenkten die Demonstranten russische Flaggen, und an der französischen Botschaft in der Hauptstadt Niamey wurde das Türschild abgerissen. Diese antifranzösische Stimmung lässt sich auch bei früheren Putschen in ehemaligen französischen Kolonien in der Region beobachten. Auch nach dem Staatsstreich in Burkina Faso marschierten die Demonstranten mit russischen Flaggen. Das ist Wasser auf die Mühlen des russischen Präsidenten Putin, der versucht, seine politische Macht in Afrika auszubauen, nachdem er bei den USA und Europa wegen der Invasion in der Ukraine in Ungnade gefallen ist", schreibt DE TELEGRAAF aus Amsterdam.
Die norwegische Zeitung VERDENS GANG sieht Putins Machtposition in Russland gefährdet und weist darauf hin: "Putin geht zunehmend gegen Leute vor, denen er nicht mehr traut. Das ist nach dem gescheiterten Wagner-Putsch nicht weiter erstaunlich, und mittelfristig könnte er dadurch an Macht gewinnen. Längerfristig dürfte es ihm allerdings eher noch mehr Feinde bescheren und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ihn einer davon aus dem Kreml verjagen möchte. Die Opposition im Land hat Putin längst mundtot gemacht. Die meisten haben entweder das Land verlassen oder sitzen hinter Schloss und Riegel. Jahrzehntelang hat Putin an seinem Bild als Archetyp des russischen Mannes gearbeitet: hart, rücksichtslos und gerne mit bloßem Oberkörper. Aber das Bild hat seit Beginn des Krieges immer mehr Risse bekommen, weil Putin seine Ziele nicht erreicht hat", meint VERDENS GANG aus Oslo.
Nun nach Deutschland und dem Bundesparteitag der AfD. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG findet, dasss sich die AfD verändert habe: "Der Erfolg entfaltet auch bei einer nach eigenem Verständnis systemoppositionellen Partei disziplinierende Kräfte. Der Bundessprecher Tino Chrupalla nannte in seiner Eröffnungsrede dreimal innerhalb weniger Minuten Harmonie als neues Erfolgsrezept. Harmonie freilich, das wusste schon Konfuzius, ist oft nur ein anderes Wort für Hierarchie. In der Tat haben die beiden Vorsitzenden – neben Tino Chrupalla leitet Alice Weidel die Partei wie die Bundestagsfraktion – den öffentlich zelebrierten Hader dadurch zugunsten eines deutlich moderateren Umgangstons gedämpft, dass sie die internen Machtverhältnisse akzeptieren. Die heutige AfD ist eine rechte Partei auf etatistischer Grundlage mit wirtschaftsliberalen Einsprengseln, kein Parallelogramm fliehender Kräfte", ist in der Schweizer NZZ zu lesen.
Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA stellt mit einer gewissen Genugtuung fest: "Deutsche Politiker haben sich an die bequeme Rolle von Richtern gewöhnt, die entscheiden: Welche Parteien und ihre Programme in verschiedenen Ländern sind hinreichend europäisch und anerkennenswert im Sinne der liberalen westlichen Demokratie? Welche muss man eindämmen und durch eine Brandmauer abschotten? Nun zeigt sich, dass die deutschen Medien und Politiker sich mehr mit der politischen Lage im eigenen Land befassen müssen. Das liegt an der radikalen Partei 'Alternative für Deutschland', die immer mehr Unterstützung in der Gesellschaft findet", analysiert die Warschauer RZECZPOSPOLITA.
Die österreichische Zeitung DER STANDARD kommentiert die umstrittenen Äußerungen des CDU-Vorsitzenden Merz über die AfD: "Es zeigt sich, wie groß der Unmut über Merz mittlerweile ist, zumal die Kritik an ihm bezüglich seines AfD-Kurses auch von prominenten Unionsleuten kam. 2021 verlief die Kanzlerkandidatur der Union verheerend. Armin Laschet und Markus Söder befetzten sich heftig, auch deshalb verlor man nach 16 Jahren das Kanzleramt. Wenn Merz derlei Chaos vermeiden will, reicht es nicht, die Debatte durch Ordnungsruf zu unterdrücken. Er muss Aussagen unterlassen, die die Diskussion überhaupt aufkommen lassen", appelliert die österreichische Zeitung DER STANDARD.