
Die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA spekuliert: "Offenbar war neben rein propagandistischen Aspekten die Hilfeleistung für die Ukraine im kommenden Winter das Hauptziel von Baerbocks Reise. Die EU beabsichtigt, das europäische Energienetz enger mit dem ukrainischen zu verbinden. Doch offenbar sind viele Aspekte dieser Vereinigung noch immer ungelöst. Es ist davon auszugehen, dass Baerbock mit ihren ukrainischen Partnern konkrete Maßnahmen besprach, die Europa ergreifen könnte, um das ukrainische Energiesystem am Laufen zu halten. Und offenbar diskutierte Baerbock in Kiew auch Fragen des EU-Beitritts der Ukraine. In Europa betrachten einige Politiker diesen Schritt ernsthaft als Chance, die territoriale Integrität der Ukraine zu bewahren", notiert die NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau.
Zur EU-Betrittsperspektive der Ukraine bemerkt die tschechische Zeitung HOSPODARSKE NOVINY aus Prag: "In Kiew wird erwartet, dass die EU - einem Automatismus gleich - auf ihrem Dezember-Gipfel Beitrittsgespräche mit der Ukraine eröffnen wird. Doch auf der ukrainischen Seite fehlt die Fähigkeit zu begreifen, dass die EU zuerst selbst einen Prozess der inneren Reformen durchschreiten muss. Mit anderen Worten: Um die Ukraine aufnehmen zu können, muss sich die EU zunächst selbst stark verändern. Doch für den Anfang würde es reichen, wenn auf beiden Seiten des Verhandlungstisches statt Kriegseuphorie etwas mehr Pragmatismus und Realismus vorherrschen würde. Denn übertriebene Erwartungen und daraus entstehende Enttäuschungen können leicht fatale politische Folgen haben", mahnt HOSPODARSKE NOVINY.
Die schwedische Zeitung AFTONBLADET äußert sich zur Aufstockung des Verteidigungsetats, den die Regierung in Stockholm wegen des Ukraine-Krieges beschlossen hat: "Bereits im nächsten Jahr werden wir bei den Verteidigungsausgaben das 2-Prozent-Ziel der NATO einhalten. Wenn wir uns in Europa umsehen, so erhöhen viele Regierungen in unterschiedlichem Tempo ihren Wehretat. Das bedeutet allerdings auch, dass ungeheure Summen in Waffen fließen, die man sonst für das Gesundheitswesen, für Ausbildung und für den Klimaschutz hätte ausgeben können. Wir haben keine große Wahl, denn wir müssen uns effektiv verteidigen und Russland abschrecken können. Trotzdem hat es etwas unglaublich Tragisches, dass so viele Ressourcen jetzt nicht genutzt werden können, um Menschen auszubilden und die Wirtschaft auf mehr Nachhaltigkeit umzustellen", findet AFTONBLADET aus Stockholm.
Themenwechsel. Die türkische Zeitung YENI ŞAFAK aus Istanbul geht ein auf den Besuch von US-Präsident Biden in Vietnam und beobachtet: "Washington versucht gegen China eine 'globale Koalition' zu bilden. Jetzt will Biden die Beziehungen zum alten Feind, gegen den die Amerikaner einen Krieg geführt haben, zu einer 'umfangreichen strategischen Partnerschaft' ausbauen. Vietnam ist vorsichtig, will die Beziehungen zu China nicht beschädigen, will das Zuckerbrot, das die Amerikaner hinhalten, aber auch nicht zurückweisen. Zwar betont Hanoi, dass die Zusammenarbeit mit den USA nicht gegen China gerichtet sei. Peking warnt dennoch Hanoi, China nicht in die Enge zu treiben", vermerkt YENI ŞAFAK.
Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO aus Schanghai meint, Bidens Visite in Vietnam sollte dazu dienen, "Hanoi in die 'Indo-Pazifik-Strategie' Washingtons einzubinden, aber bestehende Differenzen zwischen den beiden Ländern lassen sich nicht so leicht überwinden. Dies ist vor allem darin begründet, dass beide Länder grundverschieden sind, was ihre Ideologie und ihr Staatssystem angeht. Daher ist davon auszugehen, dass Vietnam auch weiterhin darum bemüht sein wird, sich zwischen den Großmächten im Gleichgewicht zu halten. Daran wird auch die Aufwertung der Partnerschaft zwischen den beiden früheren Kriegsgegnern nichts ändern", vermutet JIEFANG RIBAO.
Aus Sicht der taiwanesischen Zeitung LIANHE RIBAO zeigt die Aufwertung der bilateralen Beziehungen, dass US-Präsident Biden "die Rolle Vietnams strategisch betrachtet und davon überzeugt ist, dass Vietnam nicht nur beim Handel mit den USA zusammenarbeiten kann, sondern auch im Bereich der Sicherheit, was natürlich mit einer antichinesischen Konnotation verbunden ist. Die USA wollen nämlich, dass Vietnam zu einem Gegengewicht beim Streit mit Peking über territoriale Ansprüche im Südchinesischen Meer wird. Erst vor kurzem hat die von China veröffentlichte Landkarte, die in vielen südostasiatischen Ländern Empörung ausgelöst hat, der Regierung in Hanoi deutlich gemacht, dass sie sich in der Region neu positionieren muss", hebt LIANHE RIBAO hervor.
Die litauische Zeitung LIETUVOS RYTAS aus Vilnius analysiert das Risiko einer möglichen Invasion Chinas in Taiwan: "Umfragen in Taiwan zeigen, dass die Menschen bei einer Änderung des derzeitigen Status quo umgehend eine Aggression Chinas fürchten, und das will eine Mehrheit von ihnen verhindern. Also versuchen die taiwanischen Behörden alles, um China nicht zu provozieren, sehen aber gleichzeitig auch keine Möglichkeit, das Verhalten Pekings maßgeblich zu beeinflussen. Die Doktrin Chinas, wonach für Taiwan gemäß dem Motto ‚ein Land, zwei Systeme‘ allenfalls eine Art Autonomie in Frage käme, wird von über 80 Prozent der Bevölkerung abgelehnt. Taiwan ist ein wichtiger Produktionsstandort für die Halbleiterindustrie, so dass eine chinesische Aggression eine globale Krise auslösen könnten. Wohl auch deshalb hält sich Peking noch zurück. Auch hat Taiwan Sicherheitszusagen der USA, aber man weiß in Taipeh, dass diese wohl kaum endlos halten werden. Es ist daher kein Wunder, dass man in Taiwan besonders aufmerksam beobachtet, wie sich Chinas Verbündeter Russland gerade verhält." Das war LIETUVOS RYTAS.
Nun noch Stimmen zum Präsidenten des spanischen Fußballverbandes, Rubiales, der nach dem Kuss-Skandal zurückgetreten ist. Die österreichische Zeitung DER STANDARD aus Wien bilanziert: "Die Causa zeigt: Wenn eine Frau erklärt, sie habe eine Situation als unangenehm empfunden, wird an ihr gezweifelt, ihre Kritik kleingeredet. Das gilt besonders für das von Männern dominierte Metier des Fußballs. Der spanische Verband wird lange daran arbeiten müssen, Vertrauen wiederherzustellen und ein gesundes Arbeitsumfeld zu schaffen. Rubiales trat erst zurück, als er dazu gezwungen wurde. Eine Entschuldigung bleibt er noch schuldig", schreibt DER STANDARD.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz stellt fest: "Rubiales hatte den spanischen Fußball über die Landesgrenzen hinweg in Verruf gebracht. Statt über den WM-Titel von 23 Spielerinnen diskutierte das In- und Ausland über das Versagen eines Spitzenfunktionärs. Was auf den ersten Blick wie ein Rückschritt aussehen mag, birgt nun aber die Chance auf Fortschritt. Die Frauen haben mit Leistung und Erfolg auf dem Spielfeld die nationale und internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Mit dem WM-Titel in der Tasche und einem Großteil des Publikums im Rücken liegt das Momentum auf einmal bei den Spielerinnen. Luis Rubiales’ Abgang ist eine Konsequenz davon, nun müssen weitere folgen", verlangt die NZZ.
Auch die spanische Zeitung EL PAIS aus Madrid hält grundlegende Änderungen beim Fußballverband RFEF für notwendig: "Ein Wechsel der Gesichter ist nicht genug. Rubiales war ein Problem, aber auch ein Symptom für strukturelle Probleme im Fußballmanagement, die kurzfristig angegangen werden müssen. Im Fußball geht es um riesige Geldsummen. Er übt einen sozialen Einfluss aus, der nicht der schwachen Aufsicht entspricht, der er ausgesetzt ist." Das war zum Ende der internationalen Presseschau die spanische Zeitung EL PAIS.
