21. September 2023
Die internationale Presseschau

Die Spannungen in der multilateralen Diplomatie nach der UNO-Vollversammlung sind ein Thema in den Kommentaren. Doch zunächst zum Konflikt in Berg-Karabach zwischen den dort ansässigen Armeniern und Aserbaidschan.

Ein zerstörters Haus in Stepanakert, Region Bergkarabach
Zerstörters Haus in Stepanakert, Region Bergkarabach. (IMAGO / SNA / Aik Arutunyan)
Der GUARDIAN aus London erläutert: "Auch wenn die Waffenruhe hält, bleibt die Zukunft der verzweifelten Einwohner ungewiss. Baku hat die Auflösung der lokalen Regierung in Berg-Karabach gefordert und angekündigt, dass es die armenische Bevölkerung "reintegrieren" will. Regionale Amtsträger haben Aserbaidschan vorgeworfen, eine ethnische Säuberung vorzubereiten. Die Jagd der Europäischen Union nach alternativen Energiequellen hat dazu geführt, dass sie den Präsidenten von Aserbaidschan, Ilham Alijew, hofiert. Aber das verleiht der EU auch Potenzial, Druck auszuüben. Das wird notwendig sein. Die Armenier in Berg-Karabach müssen jetzt beschützt werden", erklärt der britische GUARDIAN.
Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN betont: "Es sieht nach einer kompletten Kapitulation der Armenier aus. Ihre Überlegung war offenbar, dass weiterer Widerstand der Berg-Karabach-Armenier die Zahl der Opfer nur noch erhöht hätte. Auch Aserbaidschan kann nicht mehr angreifen, wenn die Armenier ihre Waffen niederlegen. Dass sich das Interesse der internationalen Gemeinschaft fast ausschließlich auf die russische Invasion in der Ukraine gerichtet hat, hat es der Regierung Aserbaidschan wahrscheinlich noch leichter gemacht, ihre sogenannte 'Anti-Terror-Operation' durchzuführen", vermerkt ASAHI SHIMBUN aus Tokio.
Die mexikanische Zeitung LA CRONICA DE HOY stellt heraus: "Der rasche Sieg der Aserbaidschaner im Kampf um das mehrheitlich armenisch bewohnte Berg-Karabach wäre wohl kaum ohne Putin und Erdogan möglich gewesen. Der russische Präsident hat durch seine Passivität dazu beigetragen, der türkische Präsident durch seinen aktiven Einsatz für seine aserbaidschanischen Verbündeten und die Lieferung von Rüstungsgütern. Damit ist klar, dass Erdogan der zweite Sieger in diesem Krieg ist. Putin ist dagegen bei den Armeniern in Ungnade gefallen, denn sie fühlen sich durch seine ausbleibende Hilfe betrogen. Putin verliert immer mehr an Einfluss. Die Ukraine, die baltischen Staaten, Georgien, Moldau: Sie alle haben sich längst abgewendet, und nun folgt auch noch Armenien. Erdogan kann sich freuen, und Putin muss sich zweifelhafte Freunde wie Nordkoreas Diktator Kim Jong-Un suchen", hebt LA CRONICA DE HOY aus Mexiko-Stadt hervor.
Die türkische Onlinezeitung T24 konstatiert: "Der Energieriese Aserbaidschan holte sich 2020 mit einem Krieg 70 Prozent der besetzten Gebiete zurück. In den letzten drei Jahren kamen die Konfliktparteien kein bisschen weiter. Und beide Seiten kritisierten, dass Russland als Friedensmacht untauglich sei. Wie der aserbaidschanische Präsident Alijew sagt, es ist zu begrüßen, dass Armenien in den Konflikt in Berg-Karabach nicht eingegriffen hat. Das macht zumindest Hoffnung auf einen beständigen Frieden", notiert T24 aus der Türkei.
Die aserbaidschanische Zeitung MÜSAVAT ist folgender Ansicht: "Die Herrschaft der armenischen separatistischen Terroristen ist beendet. Alle Ziele sind erreicht, das 30 Jahre alte Problem wird ein für alle Mal beseitigt. Darüber hinaus reichten der aserbaidschanischen Armee 24 Stunden aus, um das Problem zu lösen. Armenien und seine Gönner haben immer wieder betont, dass es unmöglich sei, das Berg-Karabach-Problem mit militärischen Mitteln zu lösen. Aserbaidschan hat bewiesen, dass das geht. Die armenischen Terroristen werden für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen." Sie hörten MÜSAVAT aus Baku.
Die pan-arabische Zeitung AL QUDS betont: "Der stellvertretende Vorsitzende des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, hat sich in bemerkenswerter Weise über den armenischen Premierminister Paschinjan lustig gemacht. In seiner Äußerung spielte er auf Paschinjans Sympathien für die NATO an. Die Entscheidung Russlands, die armenische Regierung durch Passivität zu bestrafen, erfolgte umgehend. Es ist nicht auszuschließen, dass man sich damit in Moskau nicht zufriedengeben wird. Womöglich denkt der Kreml auch über weitere Schritte nach, die mit dem Schicksal Paschinjans zusammenhängen", hält die pan-arabische Zeitung Al QUDS mit Sitz in London fest.
Der ukrainische Präsident Selenskyj ist zu Gast bei US-Präsident Biden in Washington. Dazu schreibt die LOS ANGELES TIMES: "Obwohl der Krieg ihre Resilienz nicht schwächt, fangen viele Ukrainer an, sich zu fragen, wie lange die USA und andere Verbündete sie wohl noch unterstützen werden. Die Biden-Regierung sollte den Kongress für Ukraine-Hilfen mobilisieren. Zudem könnte eingefrorenes russisches Vermögen freigesetzt und als Hilfsleistung für die Ukraine verwendet werden. Mit Schätzungsweise 300 Milliarden US-Dollar ist dieses Vermögen zehn Mal so hoch wie die Ukrainehilfe, die sich Biden vom Kongress erhofft. Dazu müssten einige juristische Hürden überwunden werden, aber es würde auch eine politische Debatte über die Kosten für die Steuerzahler verhindern", unterstreicht die US-amerikanische Zeitung LOS ANGELES TIMES.
Die belgische Zeitung DE STANDAARD ergänzt: "Selenskyj spürt sehr wohl, dass sich bei den Verbündeten der Ukraine Kriegsmüdigkeit breitmacht. Hinzu kommt der Streit über ukrainische Getreideexporte. Diese Risse sind noch nicht dramatisch, können aber irgendwann zu einem Bruch führen. Selenskyj weiß, dass ihm noch ungefähr ein Jahr bleibt, um möglichst viele Gebiete zurückzuerobern. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass er im Herbst 2024 mit noch mehr Trump-Chaos und erschöpften Verbündeten konfrontiert wird. Darum heißt es für ihn: Jetzt oder nie. Die Uhr tickt", bemerkt DE STANDAARD aus Brüssel.
Die Zeitung ARAB NEWS aus Dschidda nimmt das polnische Verhältnis zur Ukraine in den Blick: "Polens Präsident Duda erinnerte vor der UNO-Vollversammlung an Hitlers Invasion in seinem Land im September 39 und sagte, dass Polen die ukrainische Tragödie besser als jedes andere Land verstünde. Trotz seines überzeugenden Bekenntnisses zur Ukraine gab es Berichte über Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Verbündeten, vor allem wegen des Umgangs mit der Getreideexportkrise. Duda muss sich mit wachsendem Druck von rechtsgerichteten Gruppen in seiner Heimat auseinandersetzen, die seine Unterstützung für die Ukraine für einen Fehler halten", argumentiert die saudi-arabische Zeitung ARAB NEWS.
Die GAZETA WYBORCZA aus Warschau führt aus: "Der polnische Präsident Duda sagt vor den Vereinten Nationen, die Ukraine verhalte sich ‚wie ein Ertrinkender, der nach allem greift‘. Ministerpräsident Morawiecki droht der Ukraine mit einem Handelskrieg und Landwirtschaftsminister Robert Telus erwägt lautstark, den Beitritt der Ukraine zur Europäischen Union zu blockieren. Die Krise in den polnisch-ukrainischen Beziehungen ist nicht allein auf das ukrainische Getreide zurückzuführen. Das Getreide war eher ein Vorwand. Die PiS schreckt im Wahlkampf vor nichts zurück. Um Wähler zu mobilisieren, schüren Kaczynski, Morawiecki und Duda den Konflikt mit einem Nachbarland, das sich gegen die russische Invasion wehrt. Das ist eine destruktive Politik, die an Verrat grenzt", kritisiert die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA.
Die norwegische Zeitung AFTENPOSTEN geht auf das Fehlen des französischen Präsidenten Macron und des britischen Premiers Sunak bei der UNO-Vollversammlung ein: "Macron entschuldigte sich mit dem Staatsbesuch von König Charles, Sunak nannte gar keine Ursache. Ihr Fehlen ist überaus bedauerlich, denn beide haben durch ihre Sitze im Sicherheitsrat eine einzigartige Machtposition, die auch Pflichten mit sich bringt. Das Signal, das von ihrer Abwesenheit ausgeht, stärkt nur diejenigen, die die Position der UNO schwächen wollen. Die UNO ist noch immer die wichtigste globale Arena, die der Welt zur Verfügung steht – erst recht in Zeiten mit hohem geopolitischem Konfliktpotential."