22. September 2023
Die internationale Presseschau

Themen sind weiterhin der Konflikt um die Kaukasus-Region Berg-Karabach sowie die UNO-Vollversammlung in New York. Zunächst aber geht es um den Streit zwischen Polen und der Ukraine wegen eines möglichen Stopps polnischer Waffenlieferungen.

Ein Panzer überquert auf einer Behelfsbrücke einen Fluss.
Ein möglicher Stopp polnischer Waffenlieferungen sorgt in der Ukraine derzeit für Empörung. (imago / i Images)
Präsident Duda spricht inzwischen von einem "Missverständnis", dennoch sorgt das Thema für Wirbel. In der GAZETA WYBORCZA aus Warschau heißt es: "Polen hat sich von jenem Akteur, der am lautesten die Bewaffnung der Ukraine forderte, zu einem Land entwickelt, das der Ukraine nun unerwartet Militärhilfe verweigern könnte. Die Ära der engen polnisch-ukrainischen Zusammenarbeit findet gerade ihr Ende. Die Worte von Regierungschef Morawiecki werden auch in der NATO ihr Echo finden. Über Haubitzenlieferungen wurde wochenlang diskutiert, über den Transfer moderner Panzer oder Marschflugkörper in die Ukraine monatelang gerungen. Bisher stand Polen bei diesen Gesprächen voll und ganz auf der Seite der Ukraine und kritisierte die Deutschen und Franzosen für ihre Verzögerungen beim Waffentransfer. Jetzt – wo Berlin und Paris von nichts mehr überzeugt werden müssen – spricht Warschau über einen Lieferstopp. Dieser Wandel beeinträchtigt den Zusammenhalt des Bündnisses, und die Glaubwürdigkeit Polens in der NATO schwindet dahin“, notiert die polnische GAZETA WYBORCZA.
Die tschechische Zeitung LIDOVÉ NOVINY plädiert dafür, die Dinge nüchtern zu betrachten: "In Wirklichkeit wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Polen hat angekündigt, der Ukraine noch alles an Waffen zu liefern, was vereinbart wurde. Sehr viele weitere Waffen, die für die Ukraine geeignet wären, hat Warschau auch gar nicht. Und das Embargo für ukrainisches Getreide wird eine Zeit lang in Kraft sein und dann von einer anderen Maßnahme mit demselben Effekt abgelöst werden", prophezeit LIDOVE NOVINY aus Prag.
"Polens Regierungschef Morawiecki ist im Wahlkampfmodus", gibt der österreichische STANDARD zu bedenken: "In drei Wochen, am 15. Oktober, wird ein neues Parlament gewählt, da kann der Ton bekanntlich schon mal ein wenig rauer werden. Trotzdem: Morawiecki hätte darauf achten sollen, dass die heimische Wahlkampfrhetorik nicht allzu lautstark auf die internationale Ebene schwappt. Enttäuschend ist es auch, wie Polen gerade seine Reputation als besonnener Partner der Ukraine aufs Spiel setzt", moniert DER STANDARD aus Wien.
"Die Reaktionen aus Warschau auf die Rede des ukrainischen Präsidenten fielen auch deshalb so scharf aus, weil in Polen Wahlen anstehen", glaubt auch die estnische Zeitung POSTIMEES: "Sicher war die UNO-Vollversammlung nicht der beste Ort für die Ukraine, um ihren Verbündeten Vorwürfe zu machen. Und die Angst Polens oder anderer Länder ist nicht unbegründet, dass Getreide aus der Ukraine ihren eigenen Märkten schaden könne. Trotzdem muss der Westen die Ukraine in jedem Fall bei den Getreideexporten unterstützen. Es ist wenig überzeugend, dass sich diese Frage nicht im gegenseitigen Einverständnis lösen lässt", notiert POSTIMEES aus Tallinn.
In der britischen FINANCIAL TIMES ist zu lesen: "Seit Wladimir Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hat, stand Polen an der Seite seines angeschlagenen Nachbarn. Es versorgte ihn mit Waffen und nahm mehr als eine Million Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten auf. Warschaus schon vor der Invasion mehrfach wiederholte Warnung, dass der Kreml Energielieferungen nach Europa als Waffe einsetzen könnte und dass westliche Vorstellungen über eine mögliche Verständigung mit Putin illusionär seien, hat sich als richtig erwiesen. Diese Solidarität und Weitsicht haben das Ansehen Polens in Europa gestärkt. Angesichts dieses Zuwachses an moralischer Autorität ist die jetzt demonstrierte feindselige Haltung der polnischen Führung gegenüber Kiew im Streit um Getreideexporte umso schockierender. Das mag allerdings nicht überraschen, denn Polen befindet sich mitten in einem erbittert geführten Wahlkampf. Die Regierungspartei 'Recht und Gerechtigkeit' ist auf dem besten Weg, ihre parlamentarische Mehrheit zu verlieren", meint die FINANCIAL TIMES aus London.
Die italienische Zeitung CORRIERE DELLA SERA beleuchtet die Lage des ukrainischen Präsidenten Selenskyj: "Der ukrainische Anführer ist immer noch voller Energie und Kampfbereitschaft, wie er in New York vor der UNO-Generalversammlung und vor dem Sicherheitsrat gezeigt hat. Aber er hat zunehmend Schwierigkeiten, mit seinen Forderungen noch Akzeptanz zu finden. Die zentrale Frage ist scheinbar einfach: Wie sieht der Plan für einen Sieg aus? Wann wird der Krieg enden? Leider gibt im Moment keine Antworten auf diese Fragen", beklagt der CORRIERE DELLA SERA aus Rom.
Themenwechsel - die dänische Zeitung JYLLANDS-POSTEN schaut nach New York: "Die UNO-Generaldebatte war eine unfreiwillige Demonstration dafür, wie tiefgreifend der geopolitische Bruch in diesen Jahren ist. Die Macht verschiebt sich und bekommt neue Gesichter und Akteure. Die regelbasierte internationale Gemeinschaft und ihre Institutionen, zu deren wichtigsten die Vereinten Nationen zählen, stehen unter Druck. Mit dem Ukraine-Krieg wird erneut deutlich, dass das Recht übertrumpft werden kann von roher Macht, ohne dass die Weltgemeinschaft dies zu verhindern vermag. Die Vereinten Nationen sind ein Ideal, das auf edlen Absichten und großen Ambitionen basiert. Sie sind noch immer die beste Wahl für den Dialog zwischen den Staaten der Welt. Aber sie wurden von einer neuen Wirklichkeit eingeholt", unterstreicht JYLLANDS-POSTEN aus Aarhus.
"Es waren düstere Tage bei der UNO-Vollversammlung", findet auch die norwegische Zeitung DAGBLADET: "Generalsekretär Guterres erklärte, die Menschheit habe das Tor zur Hölle aufgestoßen, weil sie den Klimawandel nicht ernst genug genommen habe. Falls die Welt nicht jetzt den UNO-Richtlinien folge, drohe ein Temperaturanstieg von 2,8 Grad. Über diesem Elend schwebt der Krieg in der Ukraine, der ebenfalls eine tödliche Gefahr für die Weltorganisation darstellt. Eigentlich dient die Vollversammlung dazu, dass auch kleinere Länder ihre Standpunkte äußern können. Und außerhalb des Westens betrachtet man den Krieg in der Ukraine als lokales europäisches Problem. Aus Sicht des globalen Südens zieht die Ukraine zu viel Aufmerksamkeit auf sich - vor allem aber beschränkt der Krieg die Ausfuhr von Getreide. Die UNO hat all diese Probleme nicht lösen können. Ebenso fehlt es an der Finanzierung für Projekte wie Armutsbekämpfung, Gesundheit, Bildung und Gleichberechtigung", kritisiert DAGBLADET aus Oslo.
Mit dem Konflikt in der Kaukasus-Region Berg-Karabach beschäftigt sich die lettische Zeitung DIENA: "Die selbsterklärte Republik Arzach, besser bekannt unter dem Namen Berg-Karabach, hat nach über 30-jährigem Bestehen kapituliert. Aserbaidschan hat seine Chancen voll genutzt. Armenien bietet sich nun die Möglichkeit, sich aus der Klammer Russlands zu befreien – wenn auch zu einem äußerst unattraktiven Preis. Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob die Nachbarn und Großmächte in der Region nicht noch weitere Ambitionen auf armenisches Territorium haben. Da käme ihnen ein prowestliches Armenien ungelegen, während für den Westen ein Militäreinsatz zugunsten Armeniens heikel wäre. Es sieht also danach aus, als werde es noch lange keinen Frieden im Kaukasus geben", befürchtet DIENA aus Riga.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN befasst sich mit der Rolle Russlands in der Region: "Der aktuelle Konflikt in Berg-Karabach macht einmal mehr deutlich, wie schwach der Einfluss von Russland mittlerweile geworden ist. Die eigentliche Großmacht der Region beschäftigt sich wegen des eigenen Angriffskriegs in der Ukraine nur noch mit sich selbst. Zwar hat Moskau nach 2020 auch dieses Mal wieder die Waffenruhe vermittelt, doch die in Berg-Karabach stationierten russischen Kräfte konnten nicht als Abschreckung dienen. Vielmehr wird eine Entwicklung immer auffälliger - nämlich, dass sich die Staaten der ehemaligen Sowjetunion immer mehr von Russland distanzieren." Mit diesem Kommentar der NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio endet die Internationale Presseschau.