Samstag, 04. Mai 2024

04. Oktober 2023
Die internationale Presseschau

Mit Kommentaren zur Unterstützung der Ukraine und dem Parteitag der Tories in Großbritannien. Vor allem aber geht es um die Entscheidung des US-Repräsentantenhauses, den Republikaner McCarthy als Sprecher abzusetzen.

04.10.2023
Der ehemalige Sprecher des US-amerikanischen Repräsentantenhauses Kevin McCarthy steht an einem Rednerpult. Hinter eine amerikanische Flagge.
McCarthy, ehemaliger Sprecher des US-amerikanischen Repräsentantenhauses (imago images / ZUMA Wire / Branden Camp)
Die polnische GAZETA WYBORCZA hält fest: "Es ist der erste erfolgreiche Versuch in der Geschichte des US-Kongresses, einem Sprecher seine Funktion zu entziehen. Das Amt wird nun vorübergehend von dem Abgeordneten Patrick McHenry ausgeübt, dem McCarthy die Funktion übertragen hat. Doch bis zur Wahl eines neuen, ordentlichen Vorsitzenden dürfte die Arbeit des Repräsentantenhauses praktisch lahmgelegt sein", erklärt die GAZETA WYBORCZA aus Polen.
"McCarthys Amtszeit begann mit seinen 15 Wahlgängen im Chaos", erinnert die WASHINGTON POST. "Danach stürzte der Kongress von einer Krise in die nächste. Es gab eine unnötige Auseinandersetzung um die Schuldenobergrenze, gescheiterte Abstimmungen und zurückgezogene Gesetzentwürfe. Es gab gegenseitige Beschuldigungen und Beschimpfungen, die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens aufgrund erfundener Anschuldigungen und einen Beinahe-Stillstand der Regierung in der vergangenen Woche. Und im Chaos endet McCarthys Amtszeit nun auch: Die Republikaner beschimpfen sich gegenseitig während sie versuchen, ihren nächsten Vorsitzenden zu bestimmen. Es ist eigentlich egal, wen sie als Nachfolger wählen. Niemand wird in dieser Rolle erfolgreich sein, weil die Partei selbst unregierbar ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die republikanischen Hardliner auch McCarthys Nachfolger zum Versager erklären. Denn das ist alles, was sie können", kritisiert die WASHINGTON POST.
"Wie geht es bei den Republikanern nun weiter?", fragt die NEW YORK TIMES. "Die Mitglieder des Repräsentantenhauses gehen diese Woche nach Hause, während die Republikaner angeblich am Mittwoch eine neue Wahl durchführen wollen. Vielleicht haben sie bis dahin einen Kandidaten gefunden, der alle zusammenbringt. Aber freuen Sie sich nicht zu früh. Die Absetzung von McCarthy bedeutet nicht etwa, dass der Graben zwischen den Republikanern kleiner geworden ist. Wenn überhaupt, dann werden die Hardliner in der Partei mehr denn je von sich selbst überzeugt sein. Sie haben geschafft, was niemandem zuvor gelungen ist. Sie sind bestärkt und selbstbewusst - ein sehr schlechtes Vorzeichen für die anstehende Sprecherwahl. Von der künftigen Funktionsfähigkeit dieses Kongresses ganz zu schweigen", liest man in der NEW YORK TIMES.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN bezeichnet das Vorgehen als "unbegreiflich": "Zwar war der steinige Weg für McCarthy vorhersehbar, als er im Januar erst nach dem 15. Wahlgang gewählt wurde. Dass er so einfach seinen Posten räumen muss, war allerdings nicht abzusehen. Kann nun ein Kandidat für den Sprecherposten gefunden werden, der parteiübergreifend Zustimmung erhält? Können die Republikaner wieder zu einer Geschlossenheit zurückfinden? Das Chaos der US-Politik ist am Höhepunkt angekommen", urteilt NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
"Mitleid muss man mit dem Mann nicht haben", glaubt der STANDARD aus Wien. "Kevin McCarthy ist nicht der aufrechte Kämpfer für die konservative Sache, als der er sich zuletzt gegeben hat. Der Mann ist ein opportunistischer Karrierist aus dem Bilderbuch. Nach dem Sturm auf das US-Kapitol vom 6. Jänner 2021 machte er Donald Trump in dessen Domizil Mar-a-Lago seine Aufwartung. Ein Jahr später rollte er den Ultrarechten in seiner Fraktion den roten Teppich aus, um nach 15 quälenden Wahlgängen endlich den Job des Repräsentantenhaus-Sprechers zu bekommen. Fortan war der stets perfekt gestylte 58-Jährige nicht mehr als eine Marionette der Trump-Extremisten", meint der österreichische STANDARD.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG kritisiert den nachlassenden Willen der USA zur Unterstützung der Ukraine: "Die kommunikative Schwäche des Präsidenten ist nicht das einzige Problem. Auch Biden lieferte der Ukraine nur zögerlich schwerere Waffen. Er erschwerte damit die erst im Juni begonnene 'Frühjahrsoffensive'. Die bescheidenen Erfolge auf dem Schlachtfeld schlagen sich nun ebenfalls negativ in den amerikanischen Meinungsumfragen nieder. Die führungsstarken Präsidenten der USA waren auch gute 'Erklärer in Chief'. Biden gehört leider nicht dazu", notiert die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.
Die litauische Zeitung LIETUVOS RYTAS betont: "Ein besonders deutliches Gefahrensignal ist die im letzten Augenblick erzielte Einigung zwischen Demokraten und Republikanern über eine Anhebung der Schuldengrenze. Denn der Kompromiss geht auch zu Lasten der Ukraine-Hilfe. Bislang pflegten Experten und Medien zu beschwichtigen, indem sie darauf verwiesen, dass trotz des radikalen Trump-Flügels in beiden Parteien eine Mehrheit für die Unterstützung der Ukraine ist. Jetzt aber ist deutlich geworden, dass ihnen der Haushalt im Zweifelsfall wichtiger ist", unterstreicht LIETUVOS RYTAS aus Vilnius.
"Der Blick auf die Ukraine, die immer mehr auf sich allein gestellt ist, sollte auch uns in Taiwan zu denken geben", kommentiert LIANHE RIBAO aus Taipeh. "Die taiwanesische Regierung will uns zwar ständig weismachen, dass Washington im Falle eines chinesischen Angriffs auf Taiwan militärisch zur Hilfe eilen wird. Aber nach jüngsten Umfragen sind 40 Prozent der US-Bürger der Meinung, dass ihr Land dann keine Truppen zur Verteidigung der Insel entsenden sollte", heißt es in der Zeitung LIANHE RIBAO aus Taiwan.
In Großbritannien stimmen sich die Tories bei einem Parteitag auf den kommenden Wahlkampf ein. Spätestens im Januar 2025 wird dort ein neues Unterhaus gewählt. Der britische GUARDIAN vermerkt: "Das Spektakel, das sich diese Woche in Manchester abgespielt hat, ist nicht nur das Endspiel einer müden Regierung. Es ist das Spätstadium des moralischen und intellektuellen Verfalls. Eine ehemals große Partei wurde von einer parasitären Protestbewegung ausgehöhlt und ist zu einer Parodie ihrer selbst geworden. Nichts daran ist lustig. Nicht, so lange die Konservativen noch im Amt sind und die Bedingungen der nationalen Debatte diktieren. Eine Partei ernst nehmen zu müssen, die das seriöse Regieren aufgegeben hat, hat etwas Demokratiefeindliches an sich", argumentiert der GUARDIAN aus London.
Die dänische Zeitung POLITIKEN stellt fest: "Der britische Premier Sunak steht unter Druck durch schlechte Umfragewerte und durch den konservativen Parteiflügel, der auf spaltende Themen und eine populistische Rhetorik setzt. Sunak ist auch ein konservativer Hardliner. Er hat die Migration zu einem seiner Schlüsselthemen gemacht und will alles tun, um die Flüchtlingsboote zu stoppen. Aber andere, wie Innenministerin Braverman, sind noch härter als er. Sunaks Strategie besteht darin, Zorn auf Labour zu schüren und zur Unterstützung unpopulärer Maßnahmen zu verleiten. Sein Problem ist nur, dass die Wähler Oppositionsführer Starmer auf fast allen Politikfeldern mehr zutrauen als ihm", meint POLITIKEN aus Kopenhagen.
Die schwedische Zeitung EXPRESSEN geht auf die politische Situation seit dem Brexit ein: "Das britische Gesetz, mit dem 4.000 EU-Regeln gestrichen werden sollten, wurde in aller Stille fallen gelassen. Die Wirtschaft wollte sich nicht an neue Regeln anpassen, sondern dieselben Regeln wie die EU haben, weil sie dort ihre Produkte verkaufen will. Es ist für die Briten billiger, sich an den EU-Markt anzupassen. Laut Premier Sunak gilt das auch für die Teilnahme an dem Forschungsprogramm Horizon. Britische Pläne, durch weniger Datenschutz zu konkurrieren, wurden fallen gelassen. Und weil die Wirtschaft es so will, hat Großbritannien Klimaschutzmaßnahmen der EU kopiert. 'Wir wollen nicht mehr von EU-Regeln abweichen', verspricht Oppositionsführer Starmer. Das gilt jetzt als erfolgversprechender Slogan. Eine sich verschärfende globale Realität erlaubt auf sich allein gestellten Ländern eben nicht mehr viel Kontrolle", heißt es in EXPRESSEN aus Stockholm