06. Oktober 2023
Die internationale Presseschau

Themen in den Kommentarspalten sind der Literatur-Nobelpreis für den Norweger Jon Fosse und die Folgen der Entscheidung des US-Repräsentantenhauses, den Republikaner McCarthy als Sprecher abzusetzen. Zunächst aber ein Blick nach Granada. Dort tagen derzeit zahlreiche europäische Staaten in unterschiedlichen Formaten.

Gruppenbild des EU-Gipfels in Granada mit den Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsländer versammelt hinter einem maurischen Brunnen
Granada wurde zum Schauplatz eines informellen EU-Gipfels und weiterer politischer Gespräche. (dpa / Manu Fernandez)
Dazu schreibt die spanische Zeitung DIARIO DE SEVILLA: "Granada ist gerade das Epizentrum der europäischen Politik. Die Wahl dieser andalusischen Stadt für den dritten Gipfel der Europäischen Politischen Union und für ein informelles Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs ist Teil der Strategie der EU-Ratspräsidentschaft Spaniens, das Land zum Gastgeber möglichst vieler Treffen zu machen. Und warum Granada? Weil es an der Schnittstelle der Kulturen liegt und damit – laut spanischer EU-Präsidentschaft – besonders geeignet ist, die Werte der Union zu fördern", fasst DIARIO DE SEVILLA zusammen.
Die Vertreter der 27 EU-Länder beraten heute unter anderem über die weitere Unterstützung für die Ukraine. Mit dabei ist auch der ukrainische Präsident, wie die italienische Zeitung LA REPUBBLICA bemerkt: "Selenskyj erkennt nach und nach Risse in der Mauer der westlichen Solidarität mit seinem Land, die bis vor Kurzem sehr solide schien. Sein überraschender Auftritt in Granada scheint ein Versuch zu sein, diese Geister zu vertreiben. Sie tauchen nicht nur im US-amerikanischen Kongress auf, sondern immer mehr auch in den europäischen Parlamenten. Wenn die Staats- und Regierungschefs aber über die Hilfe für die Ukraine und eine mögliche EU-Erweiterung sprechen, sollten sie immer auch bedenken: Die Kosten für eine militärische und wirtschaftliche Unterstützung Kiews werden immer geringer sein als die politischen Kosten, die der Westen im Falle eines Sieges Russlands zahlen würde", warnt LA REPUBBLICA aus Rom.
Die ARAB NEWS aus Dschidda beleuchten die Europäische Politische Gemeinschaft näher - einen Zusammenschluss von 47 Staaten, die sich gestern in Granada zum dritten Mal getroffen haben: "Wichtiges Ziel für viele der EU-Staaten ist es dabei, die künftigen Beitrittskandidaten stärker einzubeziehen. Etliche von ihnen wie die Türkei verlieren langsam die Geduld, weil sie schon sehr lange auf die Mitgliedschaft in der Union warten. Die Europäische Politische Gemeinschaft könnte hier als Brücke dienen, indem sie einen Konsens in Bereichen wie Energie und Verteidigung herstellt. Auf diese Weise kann sie den Versuchen Russlands und Chinas entgegenwirken, Einfluss auf dem Kontinent zu gewinnen, insbesondere an dessen südlichen und östlichen Rändern. Alles in allem hat die Europäische Politische Gemeinschaft das Potenzial, entscheidend zur europäischen Integration beizutragen", sind die ARAB NEWS überzeugt.
In die USA: Die NEW YORK TIMES erwartet nach der Absetzung des Republikaners McCarthy als Sprecher des US-Repräsentantenhauses für längere Zeit politisches Chaos: "Es ist schwer vorstellbar, dass das Repräsentantenhaus inmitten all dieser Turbulenzen weitere Ukraine-Hilfen verabschieden wird - eine rote Linie für einige der Rechten. Ebenso schwer vorstellbar ist eine Einigung, wenn der Haushalt in einigen Wochen wieder verhandelt werden muss. Es sei denn, eine Handvoll so genannter gemäßigter Republikaner beschließt, ein wenig staatsmännisches Geschick zu zeigen und sich mit den Demokraten zusammenzutun, um einen Einheitskandidaten zu wählen. Das klingt wie eine absurde Fantasie. Aber es ist auch nicht absurder als die Idee, dass die Demokraten McCarthys Sprecherposten retten würden, ohne dass ihnen im Tausch dafür etwas angeboten wird", unterstreicht die NEW YORK TIMES.
"Bei der Absetzung von McCarthy habe die Hilfe für die Ukraine eine große Rolle gespielt", beobachtet LIANHE ZAOBAO aus Singapur und ist sicher, dass das Thema auch dessen Nachfolger beschäftigen wird: "Denn ein beachtlicher Teil der Republikaner im Repräsentantenhaus stellt die massive US-Unterstützung in Frage. Präsident Biden hat in seiner verbleibenden Amtszeit zwar noch einige Möglichkeiten, um sein Versprechen an Kiew über 24 Milliarden Dollar zu halten. Aber die Entwicklung ist eine klare Warnung an die Europäer: Um die Ukraine dauerhaft zu unterstützen, müssen sie tiefer in die Tasche greifen als bisher", erläutert die Zeitung LIANHE ZAOBAO.
Die arabische Zeitung AL QUDS AL ARABY sucht nach der tieferen Ursache für den Streit im US-Repräsenantenhaus: "Er gründet im Wesentlichen in dem Umstand, dass der rechtsextreme Flügel der Republikanischen Partei keine Alternativen anbietet, sondern sich auf eine demagogische Oppositionsrolle mit populistischen Parolen beschränkt. Aber auch die Republikanische Partei in ihrer Gesamtheit ist nicht in der Lage, als pragmatische Opposition zu wirken. Sie ist zu sehr von den Launen und Wünschen von Ex-Präsident Trump abhängig, die das Verhalten seiner Anhänger im Kongress bestimmen. Der Fall zeigt, welch katastrophalen Folgen es hat, wenn eine Minderheit die Mehrheit dominiert und ihr Entgegenkommen an weitreichende Forderungen verknüpft", bilanziert die Zeitung AL QUDS AL ARABY, die in London erscheint.
Nun noch einige Stimmen zum Literatur-Nobelpreis, der in diesem Jahr an den Norweger Jon Fosse geht. Die Zeitung DAGBLADET aus Oslo erinnert: "Es waren nicht etwa norwegische Kritiker, die als Erste die Größe in Jon Fosses Werk erkannten. Das taten vielmehr die Schweden. Fosse hat seinen Durchbruch also dem Land zu verdanken, das den begehrten Nobelpreis verleiht. In Norwegen galt er anfangs als schwieriger Autor. Das änderte sich erst durch spätere Romane und vor allem durch seine Dramen. Fosse ist ein Schriftsteller von internationalem Format – und da heißt es 'herzlichen Glückwunsch'", gratuliert das norwegische DAGBLADET.
"Jon Fosse werde seit Jahren an der Nobelpreis-Börse gehandelt", hebt die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA hervor. "Es war fast sicher, dass die Schwedische Akademie ihn auswählen würde, wenn sie endlich einen Theaterkünstler auszeichnen wollte. Fosses Dramen erlangten auch auf den Bühnen deutscher Theater große Beliebtheit, was später zu einer weltweiten Popularität führte. Auf zwei Schlüsselbegriffe in seinem Werk wird immer wieder verwiesen: Alltäglichkeit und Einsamkeit", hält RZECZPOSPOLITA aus Warschau fest.
Die Schweizer Zeitung LE TEMPS richtet den Blick auf die Preisverleihung im kommenden Jahr und hofft auf andere Schwerpunkte: "Seit 2018 und dem MeToo-Skandal, der die Schwedische Akademie erschüttert hat, weht ein frischer Wind in der Institution. Die Hälfte der Juroren wurde ausgetauscht, und es wurden neue Positionen bezogen: Der Preis sollte für außereuropäische Autoren und Frauen geöffnet werden, wobei natürlich die literarische Qualität an erster Stelle steht. Zur Erinnerung: Annie Ernaux war 2022 erst die 17. Frau unter 119 Preisträgern. Rund 80 Prozent der Geehrten stammen vom europäischen Kontinent oder aus Nordamerika. Namen, die seit einigen Jahren immer wieder auftauchen, sind der syrische Dichter Adonis, der Japaner Haruki Murakami und die Kanadierin Margaret Atwood. Auf ein Wiedersehen im Jahr 2024", vermerkt LE TEMPS aus Genf.
POLITIKEN aus Kopenhagen befasst sich mit der Bedeutung der Nobelpreise an sich. Sie sollen - Zitat: "daran erinnern, wozu Menschen fähig sind und wie sie durch ständiges Forschen, Weiterentwickeln und Sich-Ausdenken das Beste für uns alle erreichen können. Jahr für Jahr würdigt der Preis wissenschaftliche, künstlerische und politische Leistungen, die nicht zerstören, sondern Brücken bauen, inspirieren und das Handlungsfeld erweitern, in dem Menschen agieren können. In einer Zeit, in der vieles den Bach runtergeht, in der es ständig schlechte Nachrichten über Krieg und Klima gibt, ist das eine große Ermutigung. Und man würde sich wünschen, dass es noch viel mehr Bekanntmachungen dieser Art gäbe, die das Allerbeste hervorheben." Mit diesem Auszug aus der dänischen Zeitung POLITIKEN endet die internationale Presseschau.