
Der britische GUARDIAN fordert, Israel müsse bei seiner militärischen Reaktion das Völkerrecht einhalten: "Israel wurde auf grausame Weise Unrecht zugefügt. Aber das Land und seine Verbündeten sind weiterhin verpflichtet, die Prinzipien der Menschlichkeit aufrechtzuerhalten. Auch bei der fast mittelalterlich anmutenden Belagerung, wie sie jetzt gegen den Gazastreifen verhängt wird, bei der Strom und Wasser fehlen, können unschuldige Zivilisten sterben. Die Notwendigkeit, der Zivilbevölkerung so wenig Schaden wie möglich zuzufügen, ist eine der Regeln des Krieges. Die Hamas hatte sich bei ihren entsetzlichen Angriffen auf Israel nicht an das Völkerrecht gehalten. Das bedeutet andererseits nicht, dass Israel in seiner Vergeltung das Recht hat, gegenüber Zivilisten auf der anderen Seite genauso zu handeln", betont THE GUARDIAN aus London.
Die arabischsprachige Zeitung AL QUDS warnt: "Die sich andeutende Bodenoffensive könnte schlimmere Folgen für die Bürger Gazas haben, da es auf die Zerstörung Tausender Häuser hinauslaufen würde. Die Toten, Verletzten und massiven Zerstörungen, die bei einem solchen Angriff zu erwarten wären, würden den Gazastreifen um viele Jahre zurückwerfen. Vielleicht gelingt es einflussreichen Ländern wie Katar, der Türkei und Ägypten den Bürgern von Gaza gegen den derzeitigen Widerstand der Israelis Hilfe zu leisten", überlegt AL QUDS, das Blatt erscheint in Ost-Jerusalem.
SABAH aus der Türkei fragt sich, welchen Plan die Hamas für den Gazastreifen hat: "Wie es scheint, gar keinen. Zwar handelte es sich bei dem Angriff vom Samstag um ein bis ins kleinste Detail durchdachtes Vorhaben. Dennoch häufen sich die Fragezeichen, was das Ziel der Attacke angeht. Hat die Hamas nicht vorhersehen können, dass Israel hart auf diesen Angriff reagieren und Gaza dem Erdboden gleichmachen würde? Die Hamas ist ja nicht einmal in der Lage, sich im Gazastreifen zu verteidigen. Dort gibt es weder Strom noch Wasser und auch nichts zu essen. Die Infrastruktur ist völlig zerstört, viele Familien mit Kindern wissen nicht wohin und warten auf die Bomben. Manche in der Türkei sagen, jetzt müsse man hinter dem palästinensischen Volk stehen und es sei nicht der Zeitpunkt für Diskussionen. Aber können wir diese Fragen einfach übergehen? Und wann ist der richtige Zeitpunkt, darüber zu reden?" Das war SABAH aus Istanbul.
DIE PRESSE aus Österreich hält den Vorwurf, Israel habe die Bewohner von Gaza eingesperrt für nicht gerechtfertigt: "Denn Gaza grenzt nicht nur an Israel, sondern auch an Ägypten, eine islamische Brudernation der Palästinenser. Die Behauptung, Israel würde Gaza 'hermetisch abriegeln', ist deshalb frei erfunden. Zum vermeintlichen 'Freiluftgefängnis' haben die Ägypter alle notwendigen Schlüssel. Rund 40 Millionen Polen beherbergen derzeit eine Million Ukrainer – warum soll es 110 Millionen Ägyptern nicht möglich sein, die gerade einmal zwei Millionen Einwohner von Gaza aufzunehmen? Weil die Ägypter wenig Lust verspüren, die in Gaza behauste Bestialität, Brutalität und latente Bereitschaft zum Terror in ihr Land zu lassen", hält DIE PRESSE aus Wien fest.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz befasst sich mit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Scholz im Bundestag, in der er die Angriffe der Hamas auf Israel scharf verurteilte. Die Rede lasse dennoch viele Fragen offen, findet das Blatt: "Warum hat die Bundesrepublik offenbar keinen Überblick über die Verwendung steuerfinanzierter Entwicklungshilfe? Warum gab es bisher kein 'Betätigungsverbot' für die Hamas? Warum gab es bisher 'Toleranz', wenn auf Anti-Israel-Kundgebungen 'Tod den Juden, Tod Israel' gerufen wurde? Es mag ja sein, dass der Bundeskanzler wirklich hofft, all dies werde sich irgendwie von selbst erledigen. Aber da kommt einem dann eben doch Joe Biden in den Sinn: Vielleicht sind etwas mehr Emotionen unerlässlich, um klarzumachen, dass der Satz 'Das Existenzrecht Israels ist Teil der deutschen Staatsräson' mehr ist als nur ein routinierter Satz", unterstreicht die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.
Die norwegische Zeitung DAGBLADET überlegt zu den möglichen geopolitischen Folgen des Konflikts: "Bilder von israelischen Bombenangriffen auf Gaza dürften heftige Reaktionen in der arabischen Welt hervorrufen. Die Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien wird nun vermutlich auf Eis gelegt, obwohl das ein diplomatischer Durchbruch gewesen wäre. Wir wissen nicht, was der Iran im Libanon unternehmen wird, von wo die von Teheran unterstützte Hisbollah Israel mit Raketen angreift. Dafür wissen wir, dass der neue Konflikt die Aufmerksamkeit der USA von der Ukraine und von Taiwan ablenken wird. Durch den voraussichtlichen Ölpreisanstieg wird Putins Kriegskasse gefüllt, während höhere Benzinpreise keine gute Nachricht für Biden in einem dramatischen Wahljahr sind. Die USA versorgen Israel mit Raketen, die sonst in die Ukraine gegangen wären. China kann sich zurücklehnen und zusehen, wie das Konfliktpotenzial zwischen dem Westen auf der einen und Russland und der arabischen Welt auf der anderen Seite neue Höhen erreicht", heißt es in DAGBLADET aus Oslo.
Zu einem weiteren Thema. Die spanische Zeitung EL PAIS greift die Pläne der EU-Kommission auf, eine Untersuchung gegen die Plattform X, ehemals Twitter einzuleiten: "Zu den Vorwürfen gehört die Verbreitung von Falschinformationen über den Krieg zwischen Israel und Hamas. Deshalb soll geprüft werden, ob die von Elon Musk kontrollierte Plattform die Anforderungen der europäischen Gesetzgebung zu digitalen Diensten erfüllt. Twitter war einst eine feste Größe zur Verbreitung von Nachrichten und um in Echtzeit Zugang zu wichtigen Quellen zu erhalten. Aber das X von heute ist nur noch eine Maschine zur Verbreitung von Falschnachrichten über den Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten. Der Plattform X drohen jetzt Bußgelder von bis zu sechs Prozent des Jahresumsatzes. Wenn das Problem dadurch nicht gelöst wird, könnte dies das Aus für die Plattform in Europa bedeuten. Wie dann das mediale Leben ohne Twitter/X aussehen wird, bleibt abzuwarten. Aber dafür wissen wir schon heute, wie es mit Twitter/X ohne seriöse Information ist", betont EL PAIS aus Madrid.
Die schwedische Zeitung AFTONBLADET aus Stockholm ergänzt: "Es ist Elon Musk gelungen, eigenständig Twitter zu zerstören. Obwohl die Plattform schon immer Probleme mit anonymen Trollen hatte, war sie doch ein Ort für Debatten und Gespräche. Aber der Status der Plattform als demokratischer Begegnungsort hat sich in Luft aufgelöst. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel explodierte regelrecht das Material auf der Plattform. Fake News, alte Bilder und illegales Material verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Musk verfolgt das Ziel einer Plattform, in der nur noch Inhalte nach seinem Geschmack geteilt werden. Wenn ein megalomanischer Multimilliardär eine Internetplattform aufkauft, um daraus sein Spielzeug zu machen, muss mit einem solchen Ergebnis gerechnet werden. Aber es ist trotzdem verdammt schade", findet AFTONBLADET aus Stockholm.
Zum Schluss noch eine Stimme zum Besuch des EU-Außenbeauftragten Borrell in Peking, wo er mit dem chinesischen Außenminister ein Austauschforum auf hoher diplomatischer Ebene leiten wird. Die chinesische Staatszeitung HUANQIU SHIBAO erinnert: "Reibungslos ist es nicht verlaufen, zweimal musste die Reise abgesagt werden. Vor seiner Reise äußerte Borrell den Wunsch, Peking solle Europa endlich ernst nehmen. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass China Europa mindestens so ernst nimmt wie umgekehrt. Es ist sehr wünschenswert, dass seine Reise zu einem Wendepunkt wird, dass China und Europa einander besser zuhören, sich besser verstehen und miteinander noch enger zusammenarbeiten. Europa ist ein wichtiger Pol in der Welt. Solange die EU ihre strategische Selbständigkeit und außenpolitische Unabhängigkeit wahrt, können Peking und Brüssel alle Probleme lösen", stellt die HUANQIU SHIBAO aus Peking klar, und damit endet die Internationale Presseschau.