Samstag, 11. Mai 2024

21. Oktober 2023
Die internationale Presseschau

Im Mittelpunkt stehen der Konflikt im Nahen Osten und die Reaktion der westlichen Welt darauf. US-Präsident Biden hat in einer Rede an die Nation für eine anhaltende Unterstützung Israels und auch der Ukraine geworben.

21.10.2023
Das Foto zeigt des US-Präsidenten Biden bei seiner Ansprache aus dem Oval Office
US-Präsident Biden bei seiner Ansprache aus dem Oval Office (dpa-news / AP / Jonathan Ernst)
Dazu schreibt die lettische Zeitung NEATKARIGA RITA AVIZE: "Bidens Rede war geradezu historisch, sie markiert einen Wendepunkt in der Weltpolitik. In ihr wurde klar und unmissverständlich bestätigt, dass die USA bereit sind, wieder die Rolle des Hüters der bisherigen Weltordnung zu übernehmen, und dass sie keine Ressourcen scheuen, diese Ordnung aufrechtzuerhalten. Formal betrachtet war die Ansprache eine Forderung an den US-Kongress, Hilfen für die Ukraine und Israel in Höhe von 100 Milliarden Dollar zu bewilligen, aber sie richtete sich vor allem an die US-Bürger. Den Steuerzahlern sollte erklärt werden, warum es wichtig ist, den Geldbeutel so weit zu öffnen", erläutert NEATKARĪGĀ RĪTA AVĪZE aus Riga.
Die WASHINGTON POST kommentiert: "Biden stellte eine Verbindung zwischen den beiden Konflikten in der Ukraine und im Gazastreifen her, um die Amerikaner davon zu überzeugen, dass die fortgesetzte Unterstützung sowohl der Ukraine als auch Israels nicht nur eine prinzipielle Haltung zur Verteidigung der angegriffenen Demokratien ist. Vielmehr liegt sie im Eigeninteresse der Vereinigten Staaten. Auf dem Spiel steht nicht nur das Überleben von Demokratien im Ausland, wie unvollkommen sie auch sein mögen, sondern auch das langjährige Interesse der Vereinigten Staaten, zu verhindern, dass zwei wichtige Regionen, nämlich Europa und der Nahe Osten, unter die Herrschaft der feindlichen Mächte Russland und Iran geraten", führt die WASHINGTON POST aus.
"Es war eine der besten Reden in Joe Bidens Karriere", urteilt die polnische RZECZPOSPOLITA. "Erhaben, aber gleichzeitig auf eine ganz bestimmte Wirkung ausgelegt. Amerika sei ein Vorbild für andere Nationen, und die amerikanische Führung vereine die Demokratien dieser Welt, sagte Biden. Diese Woodrow-Wilson-würdige Rhetorik richtete sich gegen eine Gesellschaft, die sich zunehmend in Richtung Isolationismus bewegt. Umfragen zeigen eine sinkende Bereitschaft der amerikanischen Bevölkerung für eine weitere Unterstützung der Ukraine. Zudem ist der Kongress gelähmt, weil das Repräsentantenhaus unter dem Druck der radikalen republikanischen Fraktion keinen Sprecher wählen kann", erklärt die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Laut dem Kommentator der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN hat Biden einen Bezug zur Rolle der USA im Zweiten Weltkrieg hergestellt: "Der US-Präsident hat in seiner Rede den Ausdruck 'Arsenal der Demokratie' erwähnt. Dieser wichtige Begriff spielte in der Geschichte der US-Außenpolitik im Zweiten Weltkrieg eine große Rolle. Damals positionierte sich Präsident Roosevelt damit gegen den in den USA stark verbreiteten Isolationismus. Er lieferte Waffen an demokratische Staaten wie Großbritannien, um einen Sieg von Nazi-Deutschland zu verhindern", betont NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Die Zeitung LIANHE ZAOBAO aus Singapur meint zur US-Diplomatie: "Trotz der riskanten Lage war Präsident Biden sogar im Krisengebiet und signalisierte damit die Zustimmung seines Landes zu möglichen Vergeltungsaktionen Israels. Ein weiteres Ziel war es, die Feinde Israels in der Region davor zu warnen, eine weitere Front zur Unterstützung der Hamas zu eröffnen. Doch der von Washington in die Wege geleitete Versöhnungsversuch zwischen Israel und Saudi-Arabien steht vor dem Aus. Die neuen Entwicklungen vor Ort zeigen, dass auch Amerika kein Konzept hat, wie eine weitere Verschärfung der Lage zu verhindern ist", befürchtet LIANHE ZAOBAO.
Die in London erscheinende arabische Zeitung AL ARABY AL-JADEED kritisiert die westliche Politik: "Der Westen und die arabische Welt haben weiter ein ungeklärtes Verhältnis zueinander. Denn der Westen schlägt sich reflexartig auf die Seite Israels, ein Umstand, der die Beziehungen zur islamischen Welt belastet. Die Unterstützung Israels hat zudem negative Auswirkungen auf die Menschenrechts- und Demokratiebewegung in der arabischen Welt. Autoritäre Regime nutzen die Doppelzüngigkeit des Westens, um Bürgerrechte und Freiheiten in ihren Ländern weiterhin zu unterbinden", betont AL ARABY AL-JADEED.
Die aserbaidschanische Zeitung MÜSAVAT sieht es so: "Das Vorgehen der Hamas kann nicht mit 'Rache' für von Israel getötete Bewohner von Gaza gerechtfertigt werden. Es ist aber auch nicht akzeptabel, dass Israel versucht, das Image des Staates mit Blut wieder herzustellen. Allerdings kann Israel keine Schwäche zeigen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Armee des Landes in Gaza einmarschiert. Es geht darum, die Hamas für immer zu zerschlagen. Dies wäre auch im Interesse der palästinensischen Autonomiebehörde. Die Gefahr einer Ausweitung des Konflikts ist groß. Und dem Kreml ist es gelungen, diesen Krieg in einen antiamerikanischen Prozess umzuwandeln", heißt es in MÜSAVAT aus Baku.
Die österreichische Zeitung DIE PRESSE bemerkt: "Der Nahe Osten taumelt am Rande des Abgrunds. Westliche Spitzenpolitiker werfen sich hektisch in die diplomatische Schlacht, um einen großen Krieg im Nahen Osten zu verhindern. In Moskau reibt sich Wladimir Putin die Hände. Er sieht es gern, wenn die USA sich militärisch überdehnen und die Aufmerksamkeit des Westens von der Ukraine abgelenkt wird. Und der gestiegene Ölpreis füllt seine Kriegskasse. China, das bereits zwischen Saudi-Arabien und dem Iran vermittelt hat, hält sich bereit, die USA als neue Ordnungsmacht in Nahost abzulösen. Und wenn der Westen in der Ukraine und im Nahen Osten bis zu den Knien im Sumpf stecken sollte, ist es nur eine Frage der Zeit, bis China nach Taiwan greift." Das war DIE PRESSE aus Wien.
"Die Wut Israels nach den traumatischen Ereignissen des 7. Oktobers ist verständlich", unterstreicht DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden. "Es hat jedes Recht, gegen die Hamas vorzugehen, eine abscheuliche Terrororganisation, mit der kein Kompromiss möglich ist. Aber der Westen sollte im Gegenzug für seine Unterstützung verlangen, dass Israel eine Politik verfolgt, die eine dauerhafte Lösung der palästinensischen Frage näher bringt. Wenn die Spirale der Gewalt nicht durchbrochen wird, bleibt Israel in einem aussichtslosen Konflikt gefangen."
Die spanische Zeitung DIARIO DE SEVILLA geht auf den heutigen Nahost-Gipfel in Ägypten ein: "Das Treffen in Kairo soll dazu dienen, die dramatische humanitäre Lage im Gazastreifen zu mildern. Immerhin hat Ägypten schon einmal erfolgreich zwischen Israel und der Hamas vermittelt. In Kairo soll aber auch darüber gesprochen werden, wie eine Ausweitung des Krieges auf andere Länder verhindert werden kann. Dies richtet sich vor allem an den Iran, der terroristische Gruppen im Libanon und in einigen syrischen Gebieten unterstützt. Gleichzeitig sind aber auch Länder wie Jordanien besonders empfindlich, wegen der hohen Zahl dort lebender Palästinenser. All das sind auch Ziele der USA – und sie sind als Einzige in der Lage, auch Israel in diesen dynamischen Prozess einzubinden", fasst DIARIO DE SEVILLA zusammen.
Die britische TIMES blickt auf die Solidaritätskundgebungen zugunsten der Palästinenser in mehreren Ländern: "Die pro-palästinensischen Kundgebungen in westlichen Hauptstädten entwickeln sich allmählich mehr und mehr von einem legitimen Ausdruck der Unterstützung für eine legitime Sache zu einer Gelegenheit für Islamisten, religiöse Empfindlichkeiten auszunutzen. Sie provozieren ein Verbot aller derartigen Proteste, was dann wiederum als Intoleranz gegenüber dem Islam dargestellt werden kann. Diese Taktik scheint aufzugehen, insbesondere in Europa. Die Europäer werden die ersten sein, die die Auswirkungen der zunehmenden Gewalt in Gaza zu spüren bekommen, vor allem, wenn dies zu Aufständen in der gesamten Region und zur Flucht der Bevölkerung führt. Europa fürchtet eine neue Flüchtlingswelle, ist aber relativ machtlos, wenn es darum geht, die Spannungen durch Diplomatie, militärisches Engagement oder andere Mittel zu entschärfen", hebt die TIMES hervor.