21. November 2023
Die internationale Presseschau

Kommentiert werden die Wahl des neuen argentinischen Präsidenten Milei und der Wechsel des Chefs des ChatGPT-Entwicklers OpenAI, Sam Altman, zu Microsoft.

Javier Milei von der rechtsextremen Koalition 'Liberty Advances' begrüßt seine Anhänger vor seinem Wahlkampfbüro in Buenos Aires, Argentinien am 19. November 2023.
Der neue argentinische Präsident Javier Milei (imago / Xinhua / Luciano Gonzlez Torres)
Den WählerInnen und Wählern in Argentinien ist offensichtlich nicht klar, dass sie sich mit Milei auf einen riskanten Sprung ins Ungewisse eingelassen haben, ist in der argentinischen Zeitung LA NACION zu lesen: "Das Ergebnis lässt sich nur damit erklären, dass die Bürger das Gefühl haben, ohnehin längst am Tiefpunkt angekommen zu sein. Die bisherige Regierung konnte mit ihrer Angstkampagne nicht davon ablenken, dass die korrupten Praktiken und das Wirtschaftsmodell des Kirchner-Lagers dem Land mehr als 140 Prozent Inflation und eine Armut in Rekordhöhe beschert haben. Die neue Regierung tritt somit ein schweres Erbe an, und Milei muss nicht nur das wirtschaftliche Chaos in Ordnung bringen, sondern sich auch mit einer Kaste anlegen, die sich an ihre Privilegien gewöhnt hat", erklärt LA NACION aus Buenos Aires.
Die chilenische Zeitung LA TERCERA sieht zahlreiche Hindernisse für Milei: "Die Ironie ist, dass Milei zwar so viele Stimmen bekommen hat wie kein Präsident vor ihm, aber dafür gleichzeitig einer der schwächsten Regierungen aller Zeiten vorsteht. Seine Partei kommt auf gerade einmal 38 von 257 Stimmen im Parlament, und seine möglichen Bündnispartner vertreten unterschiedliche Richtungen. Das dürfte den Spielraum von Milei erheblich einschränken. Dabei wird es alles andere als einfach sein, die komplexen wirtschaftlichen Probleme Argentiniens zu lösen", unterstreicht LA TERCERA aus Santiago de Chile.
Zweifelsohne werde eine feste Hand benötigt, um Argentinien aus seiner schlimmen wirtschaftlichen und sozialen Krise zu führen, meint die kolumbianische Zeitung EL PAIS. "Die Frage ist nur, ob es einem Präsidenten mit so extremen Positionen und so wenig politischer Erfahrung gelingt, die Inflation von zuletzt über 140 Prozent zu senken. Offen ist auch, ob sich mit Versprechen wie einer Abschaffung von Institutionen die Armut bekämpfen lässt und ob Argentinien nach zwei Jahrzenten mit unfähigen Regierungen wieder zur Ruhe kommt", notiert EL PAIS aus Cali.
Der Pariser FIGARO notiert: "Man wird genau beobachten müssen, ob die Argentinier die bittere Pille schlucken werden, die sie sich selbst verschrieben haben. Mehr als jeder zweite Argentinier bezieht staatliche Unterstützung, die demnächst auslaufen wird. Ganz zu schweigen von den Beamten, denen die Arbeitslosigkeit droht. Die Wahl von Milei zeigt auf jeden Fall, dass es bei Exzessen in der Demokratie keinerlei Tabu mehr gibt. Dieses System ist konkurrenzlos in der Erzeugung von Dingen, die es zerstören können."
Die polnische RZECZPOSPOLITA erinnert: "Juan Perón hatte versucht, den ersten Sozialstaat in Argentinien aufzubauen, was jedoch zu einer enormen Verschuldung der Wirtschaft führte, die nach dem Kriegsboom ihre Märkte verlor. Seitdem erlebten diese einst dynamische Wirtschaft und das von Korruption und der Herrschaft aufeinanderfolgender Juntas geplagte Land eine wahre Achterbahnfahrt widersprüchlicher Entwicklungsstrategien. Es genügt zu sagen, dass Argentinien zum Symbol für die Nichtbezahlung von Schulden und die darauffolgenden Inflations- und Verarmungswellen geworden ist", meint die Warschauer RZECZPOSPOLITA.
Die türkische Onlinezeitung T24 zeichnet eine düstere Prognose für Argentiniens: "Sollte der neue Präsident seine Versprechen umsetzen wollen, wird das Land einen noch größeren Schock erleben und die Wirtschaft ins totale Chaos abgleiten. Zu den bestechenden Versprechen des Trump-Bewunderers Milei gehören auch die Schließung der Zentralbank und den Dollar als Zahlungsmittel einzuführen. Außerdem will er die öffentlichen Ausgaben radikal kürzen und die Unternehmen entlasten. Es ist schwierig, darüber nachzudenken, wie die Märkte darauf reagieren werden und wie das Leben im Land dann weitergehen wird", ist in der Onlinezeitung T24 aus Istanbul zu lesen.
Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO schreibt: "Der Wahlsieg des 'argentinischen Trumps' entspricht dem brennenden Wunsch der Mehrheit der Wähler nach einer tiefgreifenden Veränderung trotz aller damit verbundenen Unwägbarkeiten. Daran änderte auch nichts, dass viele Äußerungen Mileis im Wahlkampf an Wahnsinn grenzen. Da China schon seit vielen Jahren der zweitgrößte Handelspartner Argentiniens ist, wird der Versuch des Wahlsiegers, sein Land aus der wirtschaftlichen Misere herausführen, nur unter der Berücksichtigung der Bedeutung der Handelsbeziehungen zu Peking gelingen", ist JIEFANG RIBAO aus Schanghai überzeugt.
Nach Ansicht des WALL STREET JOURNALS sind Vergleiche zwischen Milei mit dem ehemaligen US-Präsidenten Trump unpassend: "Milei ist ein Verfechter des freien Handels und glaubt an solides Geld. Trump ist ein Protektionist, der höhere Einfuhrsteuern will und als Präsident niedrige Zinssätze forderte. Milei wird nun die Chance haben, den Schlamassel zu beseitigen, was schwieriger sein wird, als die Wahl zu gewinnen. Milei sagt, er werde die Wirtschaft auf den US-Dollar umstellen, was funktionieren könnte, wenn genug Dollarreserven für den Übergang vorhanden sind. Er möchte die Zentralbank abschaffen, aber es ist nicht klar, was diese ersetzen würde. Sollte er bei seinen Reformbemühungen durch Inkompetenz oder Prahlerei scheitern, könnte er die Marktpolitik in Argentinien diskreditieren", warnt das WALL STREET JOURNAL.
Die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO aus Peking vermutet: "Nach Mileis Wahlsieg dürften nicht nur die zuletzt wieder viel entspannteren Beziehungen zwischen Argentinien und Brasilien auf der Kippe stehen. Auch der angekündigte Beitritt zu den BRICS-Staaten gilt jetzt nicht mehr als sicher. Zudem könnte es bei den Beziehungen von Buenos Aires zu Peking und Moskau zu einer Phase der Reibungen kommen. Eine Beendigung der Zusammenarbeit mit Brasilien, China und den übrigen BRICS-Ländern würde die argentinische Wirtschaft aber vollends in den Abgrund reißen."
Themenwechsel. Zum Wechsel von Sam Altman vom ChatGPT-Entwickler OpenAI zu Microsoft schreibt die belgische Zeitung DE TIJD: "Was war der zwingende Grund für den Wechsel? Maßgebliche Stimmen aus der Tech-Welt drängen den Verwaltungsrat von OpenAI, dies zu erklären. Einige Mitglieder vertreten die Philosophie des effektiven Altruismus. Diese besagt, dass der wissenschaftliche Fortschritt allen zugutekommen sollte und dass die Risiken neuer Entwicklungen minimiert werden sollten. Haben sie herausgefunden, dass Altman und sein Team KI-Anwendungen auf den Weg bringen wollten, die gefährlich sein könnten und konnten sie das unmöglich durchgehen lassen? Wenn ja, muss die Außenwelt davon erfahren. Wilde Spekulationen über den Grund machen die Dinge nur noch verwirrender", betont DE TIJD aus Brüssel.
Die KLEINE ZEITUNG STEIERMARK aus Graz notiert: "Die Herausforderungen für die Allgemeinheit bleiben jedenfalls. Das rasante Tempo bei der Entwicklung leistungsfähiger KI besorgt zwischendurch sogar Experten wie Altman oder Elon Musk. Die aktuellen Diskussionen unterstreichen, dass die Regeln für den Einsatz Künstlicher Intelligenz nicht dem Silicon Valley überlassen werden dürfen. Strenge und zielgerichtete Regulierung auf breiter Ebene sind notwendiger denn je."
Hören Sie abschließend einen Kommentar aus der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG über den Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Kurschus: "Momentan ist unklar, ob Kurschus das frühzeitige Wissen um den Missbrauch nachzuweisen ist. Sie bestreitet es, und sagte bei ihrem Rücktritt beinahe unter Tränen, dass sie mit sich im Reinen sei und ihre kirchlichen Ämter immer mit einer Redlichkeit versehen habe, die sie sich auch jetzt nicht absprechen lasse. Sie trete zurück, weil es in der öffentlichen Debatte nur noch um ihre Person gehe, obwohl die Aufarbeitung des Missbrauchsvorwurfs viel wichtiger sei. Selbst wenn sie die Wahrheit sagt, hat sie als Ratspräsidentin in der Sache allerdings schlecht kommuniziert und sich zu lange hinter fadenscheinigen juristischen Argumenten versteckt", bemängelt die Schweizer NZZ, mit der die internationale Presseschau endet.