22. November 2023
Die internationale Presseschau

Einige Zeitungen kommentieren bereits die in der Nacht erzielte Übereinkunft zu einer Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Terrororganisation Hamas und zu einer Feuerpause im Gazakrieg.

Tel Aviv: Israelis protestieren vor dem Stützpunkt Kirya der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) und verlangen von ihrer Regierung, dass diese sich für die sofortige Freilassung der von der palästinensischen Terrororganisation Hamas entführten Geiseln einsetzt.
Mit Nachdruck haben sich Angehörige von Geiseln für deren Freilassung eingesetzt. (Ilia Yefimovich / dpa / Ilia Yefimovich)
Außerdem geht es um den Sieg des Politikers Javier Milei bei der Präsidentenwahl in Argentinien und um die Debatte über den deutschen Bundeshaushalt. Der österreichische STANDARD schreibt zum Thema Nahost: "Jedes Kind in Gefangenschaft ist eines zu viel. So gesehen kann man den diplomatischen Erfolg, der nach mehreren Wochen Verhandlungen unter Mediation von Katar gelungen ist, nur begrüßen. Auch die vereinbarte Waffenpause ist dringend notwendig, um die massive humanitäre Krise in Gaza zu lindern. Dass der Deal nur einige hundert Lkw-Ladungen an humanitären Gütern vorsieht, zeigt aber wieder einmal, wo die wahren Prioritäten der Hamas liegen: jedenfalls nicht bei der notleidenden Zivilbevölkerung. Für die hunderttausenden Menschen, die im Süden des Gazastreifens ausharren müssen, sind die wenigen Tage der Waffenpause nur eine kurze Ruhe vor dem nächsten Sturm", bemerkt DER STANDARD aus Wien.
Die WASHINGTON POST erläutert: "Der Grundgedanke des Abkommens über die Geiselbefreiung lautet 'mehr für mehr', eine Formel, die aus Verhandlungen zur Rüstungskontrolle bekannt ist. Wenn die Hamas mehr Geiseln freilässt, wäre Israel bereit, die Feuerpause zu verlängern. Es ist eine überraschend pragmatische Formel zur Entspannung eines Konflikts, der mit dem brutalen Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober begann und sich durch Israels unerbittlichen sechswöchigen Angriff fortsetzte", betont die WASHINGTON POST.
Das WALL STREET JOURNAL aus New York analysiert: "Der Zeitpunkt des Deals ist für Israel nicht schlecht. Nachdem die israelische Armee im Norden des Gazastreifens eine beherrschende Stellung eingenommen hat, muss sie sich jetzt auf den Süden vorbereiten. Der stellvertretende Nationale Sicherheitsberater der USA, Jon Finer, betonte, dass vor einem israelischen Vormarsch noch mehr Zeit benötigt werde, um zu entscheiden, wie die Zivilbevölkerung im Süden des Gazastreifens geschützt werden könne. Vieles hängt nun von der US-Regierung ab. Präsident Biden hat gesagt, dass die Hamas zerstört werden müsse. Wenn er es ernst meint, wird er das Recht Israels unterstützen, die Kämpfe wieder aufzunehmen und die Arbeit zu beenden, nachdem die Geiseln freigelassen wurden", heißt es im WALL STREET JOURNAL.
Die italienische Zeitung LA REPUBBLICA geht der Frage nach, wie haltbar die Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas ist: "Ein wichtiger Punkt ist die Frage, wer Garant für die Absprachen ist. So gab es Gerüchte über die Forderung der Hamas, die Flüge israelischer Drohnen und Aufklärungsflugzeuge für eine gewisse Zeit auszusetzen, damit die Lage der unterirdischen Geisel-Verstecke nicht bekannt wird. In der Vergangenheit hat Israel nicht gezögert, Pausen von Feindseligkeiten zu missachten, wenn sich Gelegenheit bot, Terroristenführer auszuschalten. Was würde passieren, wenn in den Tagen der Feuerpause Jahja Sinwar ins Fadenkreuz geriete, der Architekt des Massakers vom 7. Oktober? Doch zunächst wird jeder Schritt von den fast 200 israelischen Bürgern bestimmt, die weiter in den Händen der Dschihadisten bleiben werden", erwartet LA REPUBBLICA aus Rom.
Die argentinische Zeitung LA PRENSA geht auf den Sieg von Javier Milei bei der Präsidentenwahl in dem Land ein: "Milei hat politische Fähigkeiten an den Tag gelegt, die so niemand von ihm erwartet hätte. Fast aus dem Stand und ohne nennenswerten Parteiapparat hinter sich hat er den Einzug in den Präsidentenpalast geschafft und den Peronismus besiegt, Argentiniens mächtige Macht- und Klientelmaschinerie. Milei hat für seinen Sieg die brutale Wirtschaftskrise geholfen. Allerdings ist genau das die nächste, viel höhere Hürde: Er muss diese Krise bewältigen, und das trauen ihm nur wenige zu", schreibt LA PRENSA aus Buenos Aires.
Die norwegische Zeitung DAGBLADET führt aus: "Mit der Wahl haben sich die Argentinier für einen Sprung ins Ungewisse entschieden, denn Javier Milei hat angekündigt, den krisengeschüttelten Staat radikal zu verschlanken und die politische Kaste auszurotten. Das sieht allerdings eher nach einer Operation am offenen Gehirn mit der Motorsäge und ohne Narkose aus, denn es würde unter anderem bedeuten, dass die bislang kostenlosen Ausbildungs- und Gesundheitsdienstleistungen und die Sozialhilfe abgeschafft würden - und das in einem Land, in dem bereits 40 Prozent der Einwohner unterhalb der Armutsgrenze leben", unterstreicht DAGBLADET aus Oslo.
Und die mexikanische Zeitung LA RAZON meint: "Der Einzug von Javier Milei in den Präsidentenpalast in Buenos Aires ist ein weiterer Schritt hin zur Etablierung der neuen Rechten in ganz Amerika. Die beiden größten Staaten des Doppelkontinents, die USA und Brasilien, hatten mit Trump und Bolsonaro bereits Vertreter dieser Strömung als Präsidenten, und nun gehört also auch Argentinien dazu. Diese neue Rechte unterscheidet sich insofern von ihren konservativen demokratischen Vorgängern, als sie zum Autoritarismus neigt. Unter Trump und Bolsonaro gab es Versuche, das Parlament zu stürmen, und rassistische, fremden- und frauenfeindliche und andere diskriminierende Äußerungen wurden Teil des öffentlichen Diskurses." Das war LA RAZON aus Mexiko-Stadt.
Thema in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG ist das Milliardenloch im Bundeshaushalt nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts zum Klimafonds: "Würden Subventionen eine Volkswirtschaft fitter machen, müsste es Deutschland blendend gehen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das der Finanzierung eines Teils dieser Subventionspolitik den Boden entzogen hat, böte Gelegenheit für eine Kurskorrektur. Die Losung müsste lauten: mehr Ordnungspolitik, weniger aktive Industriepolitik. Statt einzelne Unternehmen und Branchen zu fördern, sollte der Staat die Standortbedingungen für alle verbessern. Dass die Ampel den Schock aus Karlsruhe zu einer beherzten Kurswende nutzen wird, ist indessen nicht allzu wahrscheinlich. Dafür sind SPD und Grüne zu interventionistisch gestrickt. Sollte die Koalition nicht am Finanzstreit zerbrechen, dürfte sie den Ausweg eher in neuen Finanzquellen oder einem weiteren Aussetzen der Schuldenbremse suchen. Wie ein Alkoholiker, der mit einem Kater aufwacht und zur nächsten Flasche greift", kritisiert die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.
Die niederländische Zeitung DE TELEGRAAF kommentiert: "Die Differenzen in der linksliberalen Regierungskoalition von Bundeskanzler Olaf Scholz scheinen unüberbrückbar. Während in der deutschen Hauptstadt die Temperaturen unter den Nullpunkt sanken, kam der liberale Finanzminister Christian Lindner, Frontmann der FDP, seinen Kollegen von der SPD und den Grünen in die Quere. Lindner beharrt auf dem gesetzlichen Gebot der Schuldenbremse und weigert sich, unplanmäßige Ausgaben zu finanzieren. Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts herrscht im politischen Berlin Panik. Für Lindner, der Wert auf Finanzdisziplin legt, lautet Sparen die Devise. Doch die linken Koalitionsparteien verweigern sich dem", stellt DE TELEGRAAF aus Amsterdam fest.
Die russische NESAWISSIMAJA GASETA erwartet Konsequenzen bei der Unterstützung der Ukraine: "Gestern hat der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius in Kiew Pläne Deutschlands vorgestellt, der Ukraine weitere Militärhilfe in Höhe von 1,3 Milliarden Euro zu gewähren. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dürfte dieses Vorhaben jedoch in erhebliche Umsetzungsschwierigkeiten bringen. Das Versprechen des Bundesverteidigungsministers könnte sich als leeres Gerede erweisen. Denn Bundesfinanzminister Christian Lindner hat nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Durchführung aller von der Regierung beschlossenen Mehrausgaben ausgesetzt, die über den für 2023 verabschiedeten Bundeshaushalt hinausgehen. Jetzt hat die deutsche Regierung keine Mittel mehr, um geplante Ausgaben zu finanzieren", erklärt die NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau.