Sonntag, 05. Mai 2024

11. Dezember 2023
Die internationale Presseschau

Diesmal mit Stimmen zur Weltklimakonferenz und der Regulierung von Künstlicher Intelligenz auf EU-Ebene. Zum Auftakt aber eine Einschätzung der niederländischen Zeitung DE VOLKSKRANT zur Lage der Ampel-Koalition in Berlin:

11.12.2023
Bundeskanzler Olaf Scholz sitzt beim ordentlichen Bundesparteitag der SPD auf dem Berliner Messegelände. In der Hand hält er eine Kaffeetasse.
Bundeskanzler Scholz habe sich den zweiten Jahrestag seiner Ampelkoalition wohl etwas feierlicher vorgestellt, schreibt die niederländische Zeitung "De Volkskrant". (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
"Die deutsche Regierung ist ins Wanken geraten. Die vom Sozialdemokraten Olaf Scholz geführte Koalition hat die Hälfte ihrer Amtszeit geschafft, aber die drei Parteien sind in einen Streit über den Haushalt verwickelt. Scholz hatte sich den zweiten Jahrestag seiner Ampelkoalition wohl etwas feierlicher vorgestellt: mit Zukunftsplänen statt einer Regierungskrise, in der niemand mehr zum Einlenken bereit zu sein scheint", lautet die Bilanz von DE VOLKSKRANT aus Amsterdam.
Vor diesem Hintergrund haben die Sozialdemokraten von Kanzler Scholz ihren Bundesparteitag abgehalten, auf den DER STANDARD aus Wien eingeht: "In dieser desperaten Lage hätte die SPD auch anders reagieren und den dreitägigen Parteitag zur Generalabrechnung mit dem Kanzler nutzen können. Es kam schon da und dort ein wenig Kritik durch, aber die ging im Jubel für ihn unter. Der ist natürlich fein für Scholz, aber dennoch nur ein kleiner Heimsieg. Denn jetzt muss er sich noch mit Grünen und FDP einigen, das wird ungleich schwieriger für ihn", prophezeit der österreichische STANDARD.
Der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG zufolge driften die Sozialdemokraten "nach links ab". "Sie wollen an der Bürgergelderhöhung festhalten und gleichzeitig die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse aufweichen. Die Lücken im Budget sollen Spitzenverdiener füllen – mit einer temporären Krisenabgabe. Außerdem sollen Multimillionäre mehr Erbschaftssteuer entrichten. Die FDP kann den neuen Linkskurs der SPD unmöglich mittragen. Deren Parteitagsbeschlüsse gefährden deshalb das ohnehin angezählte Regierungsbündnis von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen. Die Wähler haben sich bereits scharenweise abgewandt. Eine weiter nach links gedrehte SPD dürfte daran nichts ändern – im Gegenteil", mutmaßt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.
Scholz hat auf dem Parteitag auch die Unterstützung der Ukraine im russischen Angriffskrieg untermauert. Die estnische Zeitung POSTIMEES wertet das als Umschwung in der deutschen Politik: "Bei Kriegsausbruch gab es viel Kritik an der zögerlichen deutschen Haltung. Aber nun hat Scholz angekündigt, dass die Hilfe für die Ukraine weitergehen soll - im nächsten wie auch im übernächsten Jahr und zwar finanziell wie militärtechnisch. Es ist eine gute Nachricht, dass die Regierung des stärksten und reichsten EU-Mitglieds anfängt umzudenken - gerade in einer Zeit, in der die Einigkeit unter den Verbündeten der Ukraine zunehmend ins Wanken gerät", findet POSTIMEES aus Tallinn.
Thema in der spanischen Zeitung EL PAIS ist das geplante EU-Gesetz zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz: "Das Europa-Parlament hat wichtige Beschränkungen für diese mächtige und furchteinflößende Technologie beschlossen. Besonders kontrovers wurde in Brüssel über die Möglichkeit der Überwachung dank biometrischer Daten debattiert, ebenso über den Einsatz von Chatbots wie ChatGBT oder den Schutz von Urheberrechten. Das neue Regelwerk wird erst in drei Jahren vollständig in Kraft treten. Natürlich weiß heute niemand, wie weit die Künstliche Intelligenz bis dahin entwickelt ist. Europa aber zeigt einen Weg auf", fasst EL PAIS aus Madrid zusammen.
Die philippinische MANILA TIMES lobt die Europäer für die Initiative: "Aber die Verordnung ist nur ein erster Schritt, das weiß auch die EU. Sie empfiehlt einen globalen Regulierungsrahmen und schlägt außerdem eine weltweite Beobachtungsstelle vor. Sie soll dafür sorgen, dass KI-Systeme die bestehenden Standards einhalten. In der Europäischen Union glaubt man, dass Künstliche Intelligenz den Menschen, Unternehmen und Regierungen zugute kommen kann, wenn der Rechtsrahmen dazu auf Menschenrechten und Grundwerten basiert. Das sollte auch andere zu Vorgaben antreiben, gerade weil KI alle Facetten des modernen Lebens beeinflusst", notiert die Zeitung MANILA TIMES.
Die Zeitung GULF TODAY aus den Vereinigten Arabischen Emirate betont: "Der wahre Test für das EU-Gesetz wird sein, ob er gleiche Wettbewerbsbedingungen für europäische KI-Firmen wie Aleph Alpha aus Deutschland oder Mistral AI aus Frankreich schafft. Die Unternehmen sind nicht besonders glücklich mit der Übereinkunft der Politiker. Diese waren in einem Dilemma: Sind die Vorschriften zu streng, könnten sie ein Hindernis für technologische Innovation sein - und die EU könnte hinter ihre Konkurrenten in den USA oder China zurückfallen. Sind die Regeln zu locker, sind sie unwirksam", wägt GULF TODAY aus Sharjah ab.
Nach Ansicht der bulgarischen Zeitung KAPITAL hat der sogenannte AI Act auf einige entscheidende Fragen keine Antwort: "Zum Beispiel die Frage, wer für Schäden verantwortlich ist, die durch KI verursacht werden. Wenn ein autonomes Auto einen Unfall hat, wer kommt dann für den Schaden auf - der Eigentümer, der Hersteller oder der Software-Entwickler? Wenn der Hersteller vollständig von der Haftung befreit ist, hat er keinen Anreiz, ein gutes Produkt anzubieten. Das könnte das Vertrauen in die Technologie schwächen", warnt KAPITAL aus Sofia.
Ein Gast-Kommentar der Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio rät, Japan sollte sich die EU zum Vorbild nehmen: "Bisher ist die japanische Regierung mit einer Regulierung von Künstlicher Intelligenz zurückhaltend, weil sie fürchtet, dass sie Innovationen ausbremsen könnte. Aber würde das tatsächlich passieren? Als die US-Regierung in den 1970er Jahren sehr strenge Vorgaben zu Emissionen machte, haben japanische Autohersteller wie Honda zahlreiche Innovationen aufgelegt, um die Grenzwerte zu erreichen. Das hat der Autoindustrie den hohen Status erst eingebracht. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass im Feld der KI am Ende die Staaten als Gewinner hervorgehen, die Weiterentwicklungen entsprechend den EU-Richtlinien vorantreiben", meint NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Japan.
Nun noch einen Blick auf die Weltklimakonferenz in Dubai, bei der die Verhandlungen in die Endphase getreten sind. THE INDIAN EXPRESS betont: "Die Delegierten haben noch viel zu tun. Das Gipfeltreffen begann zwar positiv, als sich die Länder gleich in der Eröffnungssitzung auf einen Fonds zum Ausgleich von Klimaschäden einigten. Doch dieser Erfolg wird dadurch begrenzt, dass die bisher zugesagten Gelder nur einen Bruchteil dessen ausmachen, was jedes Jahr benötigt wird. Auch ist zu befürchten, dass ein Großteil der Finanzmittel in Form von Krediten bereitgestellt wird. Die Präsidentschaft der COP in Dubai sollte dafür sorgen, dass diese Bedenken in der Abschlusserklärung berücksichtigt werden. Geschieht dies nicht, stellt sich die Frage nach dem Willen, historische Fehler zu korrigieren", mahnt THE INDIAN EXPRESS aus Mumbai.
PAKISTAN TODAY aus Lahore fordert: "Angesichts der Dringlichkeit des Klimawandels müssen die Regierungen konkrete, revolutionäre Maßnahmen ergreifen statt nur zu reden. Die diesjährige Weltklimakonferenz ist mehr als nur ein Treffen; sie ist eine Chance, einen Fahrplan für eine Zukunft zu entwerfen, die dem Klimawandel standhält."
Die schwedische Zeitung DAGENS NYHETER kritisiert, dass immer mehr konservative Parteien die Klimafrage zum Teil eines politischen Kulturkriegs machen: "So hat beispielsweise der britische Premier Sunak einen Wechsel in der Klimapolitik ankündigt, die Republikaner in den USA leugnen im Prinzip die Erderwärmung, in Deutschland blockiert die CDU. Dabei haben mehr als 200 Forscher zur Konferenz in Dubai einen Bericht vorgelegt, wonach der Klimawandel rascher voranschreitet als befürchtet. Wie schnell es uns gelingt, die Emissionen auf null zu senken, ist eine Frage von Leben und Tod. Wer die Augen davor verschließt, tut nicht etwa seinen Wählern einen Gefallen – ganz im Gegenteil: Wir können es uns schlichtweg nicht leisten, unsere Klimaziele zu verwässern", warnt DAGENS NYHETER aus Stockholm.