Sonntag, 05. Mai 2024

18. Dezember 2023
Die internationale Presseschau

Einige ausländische Zeitungen kommentieren die Politik der Bundesregierung. Zudem blicken wir nach Chile, wo ein zweiter Anlauf für eine neue Verfassung gescheitert ist. Doch zunächst geht es abermals um den Krieg im Nahen Osten.

18.12.2023
Israel, Schefajim: Angehörige und Freunde nehmen an der Beerdigung einer der drei israelischen Geiseln teil, die irrtümlich durch Beschuss israelischer Soldaten getötet wurden.
Ausländische Zeitungen kommentieren unter anderem den Vorfall im Gazastreifen, bei dem drei israelische Geiseln versehentlich durch israelische Soldaten getötet wurden. (Ilia Yefimovich/dpa)
Die norwegische Zeitung DAGBLADET aus Oslo greift einen weiteren Vermittlungsversuch auf, israelische Geiseln aus der Gewalt der Terrororganisation Hamas zu befreien: "Vermutlich war das Treffen zwischen Qatars Außenminister Al-Thani und Mossad-Chef David Barnea in Oslo nur als eine Art Sondierung gedacht. Aber dann erschoss die israelische Armee drei Landsleute, denen die Flucht aus der Hamas-Geiselhaft gelungen war. Es spielte dabei keine Rolle, dass alle drei Hebräisch sprachen, keine Hemden trugen und eine weiße Fahne schwenkten. Die Öffentlichkeit in Israel tobt, denn die Armee soll Hamas bezwingen und Geiseln retten, nicht aber die eigenen Leute töten. Ob dieser Vorfall und das Treffen in Oslo nun die Bereitschaft zu neuen Verhandlungen gestärkt haben?", fragt DAGBLADET.
Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO aus Schanghai betont, nach dem Vorfall mit den getöteten Geiseln steige der Druck auf die israelische Regierung immens: "Premierminister Netanjahu will trotzdem an seinen militärischen Zielen festhalten. Doch diese sind eindeutig zu hoch angesetzt und bringen das Land gerade in einer Zwickmühle. Der wichtigste Verbündete, die USA, wird auch zusehends ungeduldig. Fast jede Woche reisen Vertreter des Weißen Hauses nach Tel Aviv. Doch die Bemühungen Washingtons lassen allmählich nach, vor allem mit Blick auf die kommenden US-Wahlen. Letztendlich sind die Israelis auf sich selbst gestellt, wie und wie lange sie noch kämpfen wollen oder müssen", vermerkt JIEFANG RIBAO.
Die italienische Zeitung CORRIERE DELLA SERA gibt zu bedenken: "Das Aufpüren der Geiseln braucht Zeit und Geduld, es gibt keine schnellen Erfolge. Wenn die israelische Armee Verstecke ausfindig macht, muss sie in der Lage sein, die Geiseln unversehrt zu befreien. Ein Manöver, das Gefahren birgt, da die Terroristen ihre 'Beute' eliminieren - dies ist bereits geschehen. Doch Überraschungen kann es immer geben. Und letztlich lehrt die Geschichte des Konflikts in Gaza: Man sollte keinen Aspekt unterschätzen", unterstreicht CORRIERE DELLA SERA aus Mailand.
Die britische Zeitung THE TIMES aus London befasst sich mit der gemeinsamen Forderung Deutschlands und Großbritanniens nach einem "nachhaltigen" Waffenstillstand: "Die Angriffe auf den Gazastreifen haben einen entsetzlichen Tribut gefordert. Die Bilder von toten und verletzten Frauen und Kindern, die aus den Trümmern gezogen wurden, sind um die Welt gegangen. Innerhalb Israels steht Netanjahu unter wachsendem Druck, über die Freilassung aller Geiseln zu verhandeln. Und es gibt viele, die durchaus nicht der Ansicht sind, dass dies allein durch eine Fortsetzung des Krieges erreicht werden kann."
Die arabisch-sprachige Zeitung AL QUDS AL-ARABY, die in London erscheint, beobachtet: "Westliche Reportagen greifen meist die israelischen Opfer heraus, zeigen ihre Gesichter, nennen ihre Namen, erzählen ihre Geschichten. Die Palästinenser hingegen verschweigen sie, ihr Tod ist gesichts- und namenlos, keine Anteilnahme begleitet sie. Dies gilt auch für zahlreiche politische Äußerungen westlicher Politiker. Sie erwähnen die israelischen Toten und die Geiseln, erklären ihre Solidarität mit deren Schmerz und Leiden, um dann einen flüchtigen kosmetischen Hinweis auf die palästinensischen Opfer folgen zu lassen. So verwandeln westliche Politik und Medien die Welt in einen Hollywood-Film, in dem nichts dagegen spricht, eine ganze Stadt und ihre Bewohner zu zerstören", urteilt AL QUDS AL-ARABY.
Themenwechsel. Die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA äußert sich zur Außenpolitik der Ampelkoalition in Berlin: "Es besteht kein Zweifel, dass der strikte anti-russische Kurs von Außenministerin Annalena Baerbock dem deutschen Durchschnittsbürger nicht gefällt. Er könnte Deutschland durchaus in eine militärische Konfrontation mit Russland hineinziehen. Oppositionsführer Friedrich Merz meinte, Baerbock renne gern mit erhobenem Zeigefinger um die Welt – mit anderen Worten: Sie belehrt alle gern. Doch als sie bei den Vereinten Nationen über den israelisch-palästinensischen Konflikt abstimmen sollte, enthielt sie sich plötzlich der Stimme. In der Sprache der einfachen Leute, ob in Deutschland oder in Russland, nennt man das Prinzipienlosigkeit. Berlin verfolgt eine pro-atlantische Außenpolitik, der übrigens der Zusammenbruch droht, wenn ein Republikaner die US-Präsidentschaftswahl 2024 gewinnt. Allerdings dürften die Grünen zu diesem Zeitpunkt in Deutschland nicht mehr an der Macht sein", spekuliert NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau.
Die türkische Zeitung BIRGÜN aus Istanbul geht ein auf den Zustand der SPD: "In vielen Bereichen läuft es nicht rund. In der 'Ampel' herrscht Misstrauen, und ihre Auflösung ist kein unwahrscheinliches Szenario mehr. Darüber hinaus droht den Sozialdemokraten bei den Europawahlen im nächsten Jahr eine deutliche Niederlage. Die SPD sucht nach Wegen, aus der Krise herauszukommen. Wird das gelingen? Es scheint schwierig zu sein", notiert BIRGÜN.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio bemerkt in einem Gastkommentar zum Ende der staatlichen Förderung von Elektroautos: "Dieser Stopp für die Subvention zeigt die politischen Prioritäten der Bundesregierung – in Deutschland, wo die Wirtschaft und Arbeitsplätze jahrzehntelang von der Branche des Verbrennungsmotors und dessen Zulieferern gestützt worden sind. Wenn die Förderung der Elektromobilität für die Ampelkoalition das Wichtigste wäre, hätte man in Berlin bereits mit der Vorbereitung begonnen, um solch ein abruptes Aus der Prämie zu vermeiden, als das Karlsruher Urteil zum Klima- und Transformationsfonds wahrscheinlich wurde. Die Proteste und Kritiken gehören dazu, wenn die Industriestruktur oder Arbeitsplätze von einem Subventions-Aus betroffen sind," schreibt NIHON KEIZAI SHIMBUN.
Mit Blick auf die Debatte über die deutsche Schuldenbremse konstatiert die spanische Zeitung LA VANGUARDIA: "Deutschlands Haushaltsdisziplin ist die Basis für das Vertrauen in den Euro. Es ist das einzige große Land in der Einheitswährung, dessen Staatsfinanzen gesund sind, im Gegensatz zu Frankreich, Italien oder Spanien. Deutschland muss deshalb einen Weg finden, die notwendigen Großinvestitionen zu bündeln und den Haushalt zugleich ausgeglichen zu halten. Das sieht aus wie die Quadratur des Kreises. Aber die deutsche Wirtschaft darf den Zug historischer Veränderungen nicht verpassen. Ihr Niedergang würde auch dem Rest Europas und damit dem Vertrauen in den Euro schaden", mahnt LA VANGUARDIA aus Barcelona.
Nun noch Stimmen zum Referendum über einen neuen Verfassungsentwurf in Chile. Die argentinische Zeitung LA ARENA aus Santa Rosa findet: "Das erneute Scheitern des Projekts ist ein trauriges Ende für die vielen Träume der letzten vier Jahre. Es gibt allerhand Gründe, warum es dem Mitte-links-Lager in Chile nicht gelungen ist, Kapital aus der Unzufriedenheit der Bürger zu schlagen. Offenbar war ein ausgeglichener Haushalt der Regierung wichtiger als die Bekämpfung der enormen Ungleichheit und der Armut oder die Reform des ungerechten Steuersystems."
Die chilenische Zeitung LA TERCERA spricht von vier verlorenen Jahren: "Die grundlegenden Probleme des Landes haben sich in dieser Zeit verstärkt. Das Wachstum ist geringer ausgefallen, wir haben mehr Arbeitslosigkeit, die Sicherheitslage ist schlecht wie nie, und es ist keine Lösung für die Rentenfrage in Sicht, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Die Verantwortung trägt eindeutig die Republikanische Partei, die nun zu den großen Verlieren gehört. Es war ihr nach dem Scheitern des ersten Anlaufs gelungen, die Kontrolle über den Verfassungsrat zu gewinnen, aber genützt hat es ihr nicht", bilanziert LA TERCERA aus Santiago de Chile.