Donnerstag, 02. Mai 2024

28. Dezember 2023
Die internationale Presseschau

Wieder mit Stimmen zum Gaza-Krieg, im Mittelpunkt aber steht der Tod von Wolfgang Schäuble.

28.12.2023
Ein Foto des verstorbenen CDU-Politikers Wolfgang Schäuble und ein Kondolenzbuch liegen im Konrad-Adenauer-Haus.
Der Tod von Wolfgang Schäuble steht im Mittelpunkt der internationalen Presseschau. (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
Ein Gastkommentar in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG bescheinigt dem CDU-Politiker "eine Persönlichkeit mit klarem Kompass": "Politik war sein Leben, aber er gehörte nie zu jenen Vollblutpolitikern, die nichts anderes kannten: Die eigene Familie, auch als Rückzugsraum, die Festigkeit in seinem protestantischen Glauben, das hohe Verständnis für Musik waren ihm wichtig. Wolfgang Schäuble war ein lesender Mensch, und er reflektierte unablässig die Zeitläufte. Vielleicht ist es diese ungewöhnliche Kombination, die ihn, neben seinem scharfen Intellekt, in der politischen Klasse der Bundesrepublik so herausragen ließ. Nie ließ er sich auf nur eine Rolle reduzieren, und er besaß die Fähigkeit, die großen Linien der Geschichte zu sehen und in die Anforderungen des Tages zu übertragen", hält die NZZ aus der Schweiz fest.
"In seiner Juristenseele steckte auch ein Schelm", wirft DIE PRESSE aus Österreich ein. "Dass Wolfgang Schäuble am Stefanitag, 'zwischen den Jahren', starb, rang ihm womöglich ein letztes verschmitztes Schmunzeln ab, wie er es gern aufgesetzt hat – quasi als letztes Wort. Je älter er wurde, desto widerborstiger wurde der Nestor der deutschen Politik – ein streitbarer und machtbewusster Protestant, ein eiserner Kämpfer und Rollstuhlfahrer, der beste Kanzler, den Deutschland nie hatte", fasst DIE PRESSE aus Wien zusammen.
Die polnische RZECZPOSPOLITA erinnert daran, warum Schäuble nie Kanzler wurde: "Nachdem die CDU 1998 die Wahlen verloren hatte, wurde er Parteichef und Oppositionsführer. Als solcher konnte Schäuble eigentlich damit rechnen, die Kanzlerschaft zu übernehmen. Daraus wurde nichts, als bekannt wurde, dass er sich an der illegalen Finanzierung der CDU mit Geldern aus der deutschen Wirtschaft beteiligt hatte. Hauptfigur des Parteispenden-Skandals war der Schöpfer des gesamten Systems, Helmut Kohl. Doch es war Schäuble, der von einem der Lobbyisten einen Umschlag mit Geld entgegengenommen hatte. Schäuble musste als CDU-Chef zurücktreten", lesen wir in der Zeitung RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
In der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN heißt es: "Es gibt nicht viele Politiker, von denen man sich von Herzen gewünscht hätte: 'Er hätte Kanzler werden müssen'. Wolfgang Schäuble war genau so einer. Und er war Teil einer Generation in der CDU, die fest davon überzeugt war, dass Deutschland nur in der europäischen Integration überleben kann. Gerade jetzt, wo sowohl Deutschland als auch Europa ihre Richtung verloren zu haben scheinen, ist sein Tod ein umso größerer Verlust", befindet NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Japan.
Der italienische CORRIERE DELLA SERA beschreibt die Rolle Schäubles für Europa näher. Als Finanzminister war er - Zitat: "das mürrische Gesicht Deutschlands, die dunkle Seite der deutschen Stärke, der unnachgiebigste Interpret der Sparpolitik und der Einhaltung der Regeln der Eurozone, kurzum Theoretiker einer Gruppe von Volkswirtschaften, in der es keinen Platz für die ungezügelten Gewohnheiten der südeuropäischen Länder gab. In Deutschland wird er mit zwei Entscheidungen verbunden bleiben, die Grundlage für die schleppenden öffentlichen Investitionen sind und die Regierung Scholz in enorme Schwierigkeiten bringen: die Schuldenbremse und die schwarze Null", resümiert der CORRIERE DELLA SERA, der in Mailand erscheint.
Die französische Zeitung L'OPINION bringt den Tod Schäubles zusammen mit dem des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jaques Delors und bedauert, dass damit auch eine bestimmte Idee von Europa verblasse: "Jeder auf seine Weise und jeder zu seiner Zeit verkörperten diese beiden großen Europäer alle internen Widersprüche der EU. Von den einen wurden sie als einflussreiche Spitzenpolitiker gefeiert, die in Bezug auf die Wiedervereinigung visionär waren und die Integration immer weiter vorangetrieben haben. Von den anderen wurden sie geschmäht, weil sie - im Falle des Franzosen - die nationale Souveränität auf dem Altar des freien Marktes ohne Grenzen opferten, oder - im Falle des Deutschen - eine überholte und eigennützige Sparpolitik durchsetzten. Bis zuletzt aber warben sie für das Gesellschaftsmodell der Zukunft, das Europa ihrer Ansicht nach war. Und so hinterlassen diese beiden geistigen Väter trotz allem ein Vermächtnis der Hoffnung", schreibt LOPINION aus Paris.
Zur Lage im Gaza-Streifen. Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO ist der Meinung: "Verloren haben bisher die Bewohner in Gaza. Zu viele unschuldige Zivilisten sind getötet worden und die Situation der Überlebenden wird immer auswegloser. Die Kommandozentrale der Hamas funktioniert jedoch weiter, sie greift Israel nach wie vor an. Dieser Weg ist eine blutige Sackgasse. Und die Hamas ist nicht einmal der einzige Feind Israels: Iran, Syrien, die Hisbollah und die Huthi-Rebellen - lassen sie alle sich denn mit militärischen Mitteln vernichten? Israel kann mit dieser Strategie keinen Frieden gewinnen, sondern nur den Unfrieden verlängern", glaubt JIEFANG RIBAO aus Schanghai.
Auch die englischsprachige Zeitung THE NATIONAL aus den Vereinigten Arabischen Emirate hält Israels Kriegsziele für unrealistisch: "Die Hamas zu zerstören ist ein unerreichbares Ziel, das nicht nur Tausenden von Zivilisten das Leben kostet, sondern auch die Saat für künftige Probleme legt. Eine mögliche Demilitarisierung darf nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss mit einem Ende der erdrückenden Kontrolle der Menschen im Gazastreifen durch Israel einhergehen. Ein Fortschritt wäre eine sofortige humanitäre Feuerpause - wie sie Palästinenserpräsident Abbas fordert. Sie könnte für einen Austausch von palästinensischen Gefangenen und Hamas-Geiseln genutzt werden - und dazu, einen längerfristigen Waffenstillstand auszuhandeln", schlägt THE NATIONAL aus Abu Dhabi vor.
Die türkische Zeitung DUVAR geht näher auf die Forderungen der Hamas ein: "Sie besteht darauf, dass es ohne einen umfassenden Waffenstillstand kein Geiselabkommen geben werde und dass ein mögliches Tauschgeschäft alle inhaftierten Palästinenser umfassen müsse. Diese Position macht deutlich, dass die Hamas noch lange nicht geschwächt ist. Im kommenden Jahr könnte der Druck aus den USA auf Israel zunehmen, die Kriegs-Strategie zu ändern. Dann wird Israel vielleicht endlich seriöse Vorschläge machen, wie etwa die Bildung einer Regierung aus Technokraten im Gazastreifen", hofft DUVAR aus Istanbul.
Die JERUSALEM POST hingegen ist von Israels Kriegs-Zielen überzeugt: "Auch zweieinhalb Monate nach dem Überfall der Hamas vom 7. Oktober kommen immer wieder neue Gräueltaten ans Licht, die zeigen, dass dieser Krieg gerecht und notwendig ist. Es gibt keine schnelle Lösung und wir müssen den Schmerz und die Qualen annehmen, die dadurch entstanden sind, dass wir etliche der besten Menschen verloren haben, die Israel zu bieten hat. Der Tod der Terroropfer und der 164 Soldaten, die im Kampf gegen die Hamas gefallen sind, darf nicht umsonst gewesen sein. Auch wenn der Weg lang und schwierig ist, müssen wir weitermachen - in der Hoffnung, dass eine künftige Generation von Israelis eines Tages in Frieden leben kann", unterstreicht die israelische Zeitung JERUSALEM POST.
Die Londoner FINANCIAL TIMES weitet den Blick auf andere Konflikte und betont: "Die Kriege in der Welt einzudämmen ist eine der wichtigsten Aufgaben für das kommende Jahr. Dazu bedarf es einer Kombination aus Diplomatie, Prävention, aber auch Abschreckung. China und Iran müssen begreifen, dass es in ihren Nachbarländern keine einfachen militärischen Siege zu holen gibt. Zur Abschreckung gehört auch, jeden Anschein eines russischen Siegs in der Ukraine zu verhindern. Denn die ganze Welt wird einen hohen Preis zahlen, wenn Russlands Aggression im Jahr 2024 oder auch später Erfolg hat." Mit dieser Warnung der britischen FINANCIAL TIMES endet die internationale Presseschau.