20. Februar 2024
Die internationale Presseschau

Heute mit Kommentaren zur Situation in der Ukraine und im Gazastreifen. Viele Zeitungen kommentieren auch das Vorhaben der Union, Ursula von der Leyen als Kandidatin für eine zweite Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission vorzuschlagen.

Ursula von der Leyen sitzt in einem senfgelben Sacko vor einer dunkelblauen Wand und schaut freundlich
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission. (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
"Sie ist diszipliniert, geschmeidig und machtpolitisch effizient", attestiert die österreichische Zeitung DIE PRESSE. "Die richtige Frau für unsichere Zeiten, die falsche, um die EU-Stimmung zu verbessern. Denn obwohl die Deutsche dem EU-Parlament und den EU-Regierungsvertretern regelmäßig Rede und Antwort steht, bleibt sie im Umgang mit der Öffentlichkeit mehr als nur zurückhaltend. Diese Art der flexiblen Steuerung der europäischen Politik, bei der Ziele vernebelt werden, umschifft und dann plötzlich wieder auftauchen, nimmt die Menschen nicht mit. Sie verlieren in einer solchen Scharade von intransparenten und widersprüchlichen Entscheidungen den Überblick und letztlich das Vertrauen in die Europäische Union", meint die Zeitung DIE PRESSE aus Wien.
DIE NEUE ZÜRCHER ZEITUNG findet hingegen lobende Worte. "Die EU als geopolitischer Akteur: Was jahrelang nur Schlagwort war, wurde mit dem russischen Überfall auf die Ukraine zum Gebot. Mit der Einladung an Kiew, EU-Mitglied zu werden, preschte von der Leyen nochmals vor und zwang damit die leise murrenden Mitgliedstaaten auf Kurs. Die EU-Kommissionspräsidentin hat nur wenig formale Macht. Sie ist letztlich bloß die Vorsteherin einer Verwaltung, die auf den politischen Willen der Mitgliedsstaaten angewiesen ist. Dank ihrem politischen und strategischen Gespür aber hat es von der Leyen mehrfach geschafft, auf den Kipppunkten von Krisen die Themen vorzugeben. Und sie lag damit richtig", meint die NZZ aus der Schweiz.
"Es wäre ausgezeichnet, wenn von der Leyen im Amt bleiben würde", lesen wir auch in der schwedischen Zeitung DAGENS NYHETER aus Stockholm. "Und das nicht nur, weil sie mit aller Deutlichkeit gezeigt hat, wie wichtig die Rechtsstaatlichkeit für das EU-Projekt ist. Das von ihr vorangetriebene Klimapaket 'Fit for 55' ist ehrgeizig. Es wird zwar weiter auf Widerstand stoßen, aber es gibt wohl niemanden, der besser geeignet ist, um es durchzusetzen. Vor allem aber ist sie eine gute Kandidatin, weil sie begriffen hat, dass die EU als sicherheitspolitische Einheit agieren muss, nachdem autoritäre Führer in Russland und in China zunehmend den Ton auf der Welt angeben und die USA immer launischer agieren."
Die Zeitung DE TELEGRAAF aus Amsterdam bemängelt unter anderem den Kurs in der Umweltpolitik unter von der Leyen. "Die meisten EU-Mitgliedstaaten möchten mit ihr weitermachen. Das heißt aber nicht, dass die Brüsseler Baronin den bisherigen Kurs beibehalten kann. In vielen Ländern gibt es Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie. In den letzten Jahren hat die EU eine Rekordzahl an Umweltvorschriften erlassen, aber die Praxis zeigt, dass die Industrie Schwierigkeiten hat, damit Schritt zu halten. Von der Kommissionspräsidentin wird erwartet, dass sie sich von der ultragrünen Agenda verabschiedet. Die Klimaziele bleiben bestehen, aber von der Leyen sollte wohl einen weniger ideologisch motivierten Weg einschlagen", lautet die Empfehlung in der Zeitung DE TELEGRAAF, die in Amsterdam erscheint.
Ein Gastkommentator in der tschechischen Zeitung PRÁVO hält von der Leyen für nicht ideologisch. "Sie hat während ihrer Amtszeit berechtigte Kritik geerntet - für ihren verschlossenen Führungsstil oder undurchsichtige Verhandlungen mit Pharmaunternehmen. Auch meinen viele, sie sei zu grün. In Wirklichkeit ist von der Leyen eher pragmatisch als ideologisch. Und im Gegensatz zu ihrem Vorgänger schließt sie sich nicht in der Gedankenwelt der alten Mitgliedsstaaten ein, wie ihre wiederholten Besuche in der Tschechischen Republik zeigen."
Die dänische Zeitung POLITIKEN aus Kopenhagen sieht von der Leyen im Falle einer zweiten Amtszeit in einer schwierigen Gemengelage. "In ganz Europa und nicht zuletzt in Deutschland stehen konservative Parteien unter starkem Druck von Rechtsaußen, und diese Sorge soll die Kandidatin oder der Kandidat der EVP natürlich widerspiegeln. Olaf Scholz hat bereits durchblicken lassen, dass er sich von der Leyen nicht in den Weg stellen will, und Spaniens Pedro Sánchez hat ausdrücklich seine Unterstützung geäußert. Allerdings wird sie dann vor einem schwierigen Balancegang zwischen grünem Wandel, Wirtschaft und Krieg stehen."
Und in der polnischen Zeitung GAZETA WYBORCZA aus Warschau heißt es: "Angesichts der Tatsache, dass von der Leyen eine für Europa schwierige Zeit gut gemeistert hat – sowohl während der Pandemie als auch während der russischen Invasion in der Ukraine –, sind ihre Chancen auf eine zweite Amtszeit hoch."
Nun zum Krieg in der Ukraine. Die in Singapur erscheinende Zeitung LIANHE ZAOBAO meint, immer größere Gefahren für den Weltfrieden ausmachen zu können. "Im Krieg zwischen Russland und der Ukraine kommt es gerade zu einem Stimmungsumschwung, nachdem sich die ukrainischen Streitkräfte gezwungen sahen, die strategisch wichtige Stadt Awdijiwka wegen fehlender Munition aufzugeben. Angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Lage wird in Europa über das schlimmste vorstellbare Szenario – eine direkte Konfrontation der NATO mit Russland – laut nachgedacht. Es ist nicht mehr auszuschließen, dass die Welt am Ende in die Falle einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung tappen könnte." So weit die Zeitung LIANHE ZAOBAO aus Singapur.
Auch die spanische Zeitung EL PERIODICO DE CATALUNYA hält eine Warnung parat. "Niemand mit gesundem Menschenverstand kann sich ein Einfrieren dieses Konflikts und erst recht keine Ausweitung wünschen. Zweifel an einer Fortführung der wirtschaftlichen und militärischen Hilfe für die Ukraine sind jetzt nicht angebracht. Vielmehr ist deutlich geworden, dass die europäische NATO-Flanke gestärkt werden muss – und das nicht etwa, weil das ein Trump gefordert hat."
Japan hat der Ukraine beim Wiederaufbau des Landes langfristige Hilfe zugesichert. Rund 50 Unternehmen unterzeichneten in Tokio Verträge mit ukrainischen Partnern. Dazu heißt es im Kommentar der Zeitung YOMIURI SHIMBUN aus Tokio: "Gerade jetzt, wo sich eine sogenannte Hilfsmüdigkeit in den westlichen Staaten zeigt, sollte Japan eine starke Rolle übernehmen. Derzeit leidet die Ukraine unter einem Mangel an Waffen und Munition. Japan liefert wegen seiner pazifistischen Verfassung bisher nur Ausrüstung wie beispielsweise schusssichere Westen. Kann das Land damit seiner Verantwortung als eine der führenden Industrienationen der Welt gerecht werden? Der Regierung in Tokio ist zu empfehlen, zumindest eine Lieferung von Flugabwehrsystemen an Kiew in Erwägung zu ziehen", empfiehlt die japanische Zeitung YOMIURI SHIMBUN.
Hören Sie abschließend zwei Kommentare zum militärischen Vorgehen Israels im Gazastreifen. Die Londoner Zeitung THE INDEPENDENT schreibt: "Israel hat zwar ein unveräußerliches Recht, sich zu verteidigen. Aber es ist nicht mehr klar, wie die massive Kriegsführung mit so vielen zivilen Opfern Israel sicherer machen und nicht Hunderttausende neue Rekruten für die Hamas hervorbringen soll. Das ist der fatale Fehler in der israelischen Strategie."
"Die Verbündeten des jüdischen Staates haben sich bereits gegen eine Verlängerung des Gemetzels ausgesprochen", heißt es in der französischen Zeitung LE MONDE. "In diesem Sinne kann Rafah zum doppelten Symbol eines westlichen Versagens und einer tragischen israelischen Entgleisung werden. Die vergangenen Wochen von Schutt und Asche erinnern an das Offensichtliche: Eine wirkliche Entmachtung der Hamas kann nur erreicht werden, wenn man einen politischen Horizont aufzeigt. Fehlgeleitet durch seine militärische Übermacht begnügt sich der hebräische Staat damit, auf die Kriegsverbrechen vom 7. Oktober mit weiteren Kriegsverbrechen zu antworten."