02. April 2024
Die internationale Presseschau

Im Fokus der Kommentare stehen die Kommunalwahlen in der Türkei und die aktuelle Lage im Nahen Osten.

02.04.2024
Ein Wahlkampfplakat des Bürgermeisters von Istanbul. Im Hintergrund eine Moschee.
Die Kommunalwahlen in der Türkei sind ein Thema der Internationalen Presseschau. (Tolga Ildun / ZUMA Press Wire / dpa / Tolga Ildun)
Die türkische Opposition hat bei den Kommunalwahlen einen klaren Sieg erzielt, deutliche Verluste gab es hingegen für die Regierungspartei AKP von Präsident Erdogan. Die regierungsnahe Zeitung STAR aus Istanbul vermutet: "Bei dieser Wahl ging es zweifellos um die Wirtschaft. Alle klagen über die hohen Lebenshaltungskosten. Die Opposition nutzte dieses Argument, um die Kommunalwahlen zu allgemeinen Wahlen zu erklären. Einige Wähler der Regierungspartei AKP reagierten, indem sie für islamistische Parteien stimmten, viele blieben den Urnen ganz fern. Die wirtschaftliche Lage war aber nicht der einzige Grund für dieses Verhalten. Es war auch eine eindringliche Warnung an Politiker und Bürokraten, die sich an ihren Ämtern und Möglichkeiten berauschen und sich von den Menschen und der eigenen Basis abwenden. Ein weiterer Grund war, dass die Regierung ihre Politik den Wählern nicht erklären konnte", bemerkt die türkische Zeitung STAR.
Die regierungskritische Online-Zeitung T24 blickt auf die mögliche Reaktion des türkischen Präsidenten: "Erdogan, wie wir ihn kennen, wird sich nicht hinsetzen und die Ergebnisse dieser Wahlen mit gesundem Menschenverstand analysieren und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Das ist ohnehin nicht seine Art, Politik zu machen. Er antwortet auf die vernünftigste Kritik mit Begriffen wie 'Feindschaft und Verrat'. Zweifellos wird er in seiner Partei Leute finden, denen er die Verantwortung für diese Niederlage in die Schuhe schieben kann, um den Weg mit einem neuen Team fortzusetzen. Er hat jetzt vier Jahre vor sich und wird versuchen, diese Zeit so gut wie möglich zu nutzen", lautet die Prognose der Online-Zeitung T24 aus Istanbul.
In der englischsprachigen Zeitung THE NATIONAL aus den Vereinigten Arabischen Emiraten ist zu lesen: "Die Auswirkungen der Hyperinflation auf die steigenden Lebenshaltungskosten haben bei vielen Türken Unzufriedenheit hervorgerufen und zu einem Rückgang ihres Lebensstandards geführt. Erdogans Legitimität wird durch diese Wahlen nicht wesentlich beeinträchtigt, aber eine gestärkte Opposition könnte das Regieren für ihn noch schwieriger machen, insbesondere wenn es um unpopuläre Sparmaßnahmen geht", analysiert THE NATIONAL aus Abu Dhabi.
"Die Kommunalwahlen sind zu einem Instrument des Protests gegen Erdogan geworden", titelt die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA und schreibt: "Man darf bezweifeln, dass Erdogan als Reaktion auf die Unzufriedenheit der Wähler seine Innenpolitik weiter verschärft. Das würde seine Situation nur noch verschlimmern. Sein einziger Ausweg besteht jetzt darin, den wirtschaftlichen Bereich vollständig den technokratischen Spezialisten wie Finanzminister Mehmet Simsek zu überlassen. Gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit eines neuen türkischen Militäreinsatzes in Syrien und im Irak, den Ankara in den vergangenen Monaten immer wieder angekündigt hatte", notiert die NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau.
DE VOLKSKRANT aus Amsterdam beschäftigt sich mit dem Sieger der als besonders wichtig geltenden Wahl in Istanbul: "Die Fortsetzung seines Bürgermeisteramtes bietet Ekrem Imamoglu die Chance, sich für die Präsidentschaftswahl 2028 als Gegenkandidat zu Erdogans AKP zu positionieren. Darüber hinaus kann sich die CHP nun mit neuem Schwung als die einzige Kraft in der Opposition positionieren, die wirklich zählt."
"Es ist ein gefährlicher Moment für den türkischen Machthaber", folgert die WASHINGTON POST. "Es ist jedoch zu früh, Erdogan abzuschreiben. Er ist ein Überlebenskünstler und Pragmatiker, der geschickt Allianzen wechseln kann, um an der Macht zu bleiben. Erdogans dritte und letzte Amtszeit als Präsident endet 2028, aber nur wenige erwarten, dass er sich dann zurückziehen wird. Er könnte stattdessen auf eine Verfassungsänderung drängen, um eine weitere Amtszeit zu ermöglichen. Doch für Erdogan steht noch ein anderer Weg offen. Anstatt zu versuchen, ein Präsident für die Ewigkeit zu sein wie Wladimir Putin oder Xi Jinping, sollte er sich auf sein eigenes Vermächtnis konzentrieren, auf den Lebensunterhalt der türkischen Bürger und darauf, den Platz der Türkei in einer chaotischen Welt zu sichern, bis seine Amtszeit vorbei ist", empfiehlt die WASHINGTON POST.
Bei einem Raketenangriff auf die iranische Botschaft in Damaskus sind nach Angaben aus dem Iran mehrere Militärangehörige getötet worden, unter ihnen der ranghohe General Zahedi. Dazu heißt es im WALL STREET JOURNAL aus den USA: "Der Iran hat den ersten wirklichen Preis für seine Stellvertreterkriege im Nahen Osten gezahlt. Als regionaler Chef der Quds-Truppe war Zahedi der wichtigste Mann in Irans Krieg gegen Israel. Er leitete die Hisbollah an und er gab auch dem syrischen Assad-Regime Befehle. Der Iran hat eine harte Antwort angedroht, kann aber nicht sagen, dass er keine Eskalation gewollt habe. Teheran muss dazu auch eine klare Botschaft aus dem Weißen Haus erhalten", fordert das WALL STREET JOURNAL aus New York.
Für die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN hat der Angriff auf die iranische Botschaft "eine andere Dimension als die bisherigen Provokationen": "Wenn tatsächlich Israel nun eine 'Eskalations-Strategie' gewagt hat, um die Spannung der Konflikte in der Region zu steigern, zeigt dies, wie stark Premierminister Netanjahu unter Druck gesetzt und isoliert ist. Denn die Verhandlungen über eine Geisel-Befreiung schreiten nicht voran, auch durch die steigenden zivilen Opferzahlen im Gazastreifen wird Kritik an Netanjahu immer lauter. Auch im Inland verliert er immer weiter an Unterstüzung. Allerdings wird es sehr schwierig sein, Netanjahu mitten im Krieg aus dem Amt zu jagen. Zu befürchten ist, dass er, vor dem Abgrund stehend, einen noch härteren Kurs einschlägt", meint NIHON KEIZEI SHIMBUN aus Tokio.
Die mexikanische Zeitung LA RAZON blickt angesichts der ausbleibenden Einigung über eine Waffenruhe im Gazastreifen auf die Rolle der Vereinten Nationen: "Zuletzt forderte der Internationale Strafgerichtshof n Den Haag eine Feuerpause und eine Öffnung der Grenzübergänge zur besseren Versorgung der Zivilisten. Auch ein UNO-Sprecher rief dazu auf, trotzdem griff Israel ein Flüchtlingslager im Gazastreifen an und tötete dabei mehrere Menschen. Kurz nach der Resolution des Sicherheitsrats zu einer Feuerpause erklärten die USA, dass die Entscheidung für sie nicht bindend sei und dass Israel nicht gezwungen sei, seine Militäroperation zu stoppen. Da stellt sich die Frage, welchen Sinn die UNO hat, wenn sie nicht in der Lage ist, in internationaler Zusammenarbeit Lösungen für drängende globale Probleme zu finden", bemängelt LA RAZON aus Mexiko-Stadt.
Zum Abschluss noch ein Kommentar zum wachsenden Marktanteil chinesischer E-Autos in Europa und zu einer möglichen Reaktion der EU. Die Zeitung HUANQIU SHIBAO aus Peking hält fest: "Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament in diesem Sommer werden die ökologischen Ambitionen der EU angesichts geopolitischer und wirtschaftlicher Realitäten insgesamt immer mehr in Frage gestellt. Sollte dies aber eine Kehrtwende in Richtung Protektionismus bedeuten, wäre das eine widersinnige und gefährliche Entwicklung. Schließlich ist Europa der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt, was dessen Bewohnern aktuellen Umfragen zufolge immer mehr Sorge bereitet. Genau aus diesem Grund hat sich Brüssel derart hohe Emissionsreduktionsziele gesetzt. Das Ganze nun wieder umzustoßen, nur weil China ein paar Elektroautos mehr verkauft, wäre verheerend. Die Glaubwürdigkeit des Westens wäre dann in der ganzen Welt vollends erschüttert." Mit dieser Stimme aus China endet die Internationale Presseschau.