Dienstag, 30. April 2024

17. April 2024
Die internationale Presseschau

Auch heute kommentieren zahlreiche Zeitungen die Lage im Nahen Osten nach dem iranischen Angriff auf Israel. Außerdem geht es um den Besuch von Bundeskanzler Scholz in China und den Brand der alten Handelsbörse in Kopenhagen.

17.04.2024
Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, sitzt an einem Tisch und hört zu, im Vordergrund sieht an den Schatten einer Person, die ihm gegenübersitzt.
Netanjahu bei einer Besprechung (Archivbild) (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
Zur möglichen Reaktion Israels auf den iranischen Angriff schreibt die norwegische Zeitung VERDENS GANG: "Wird der israelische Ministerpräsident Netanjahu auf die vielen Stimmen hören, die ihn zur Zurückhaltung auffordern? Oder wird er auf die radikalen und ultrareligiösen Nationalisten in seiner Regierung hören, die einen raschen Gegenschlag fordern? Vermutlich wird er keines von beidem tun. Es wird eine Art Revanche geben, die aber die Hardliner in seiner Regierung nicht zufriedenstellen wird. US-Präsident Biden hat Netanjahu klar gemacht, dass sich die USA nicht an einem möglichen israelischen Gegenangriff beteiligen werden. Die USA wollen keinen umfassenden Krieg in der Region, und darum ist ein Waffenstillstand in Gaza jetzt auch so wichtig", betont VERDENS GANG aus Oslo.
CORRIERE DELLA SERA aus Mailand notiert: "Die Folgen des Anschlags zeigen Teherans politische, diplomatische und militärische Schwäche. In diesem Sinne hat Biden Recht, wenn er Netanjahu signalisiert, er habe mit dem Angriff einen Sieg errungen. Wenn sich Netanjahu aus Rache dazu entschließt, Vergeltung zu üben, dann verspielt er den unerwarteten Vorteil gleich wieder. Diplomatie und politisches Geschick bieten ihm jetzt die Chance, die neue Situation zu nutzen, um den Iran weiter zu isolieren, in einer Zusammenarbeit zwischen Israel, Washington, den sogenannten gemäßigten arabischen Ländern, London und Paris", führt die italienische Zeitung CORRIERE DELLA SERA an.
"Der iranische Angriff hat Israel eine noch nie dagewesene diplomatische und strategische Chance eröffnet", meint auch HAARETZ aus Tel Aviv. "Die Regierung sollte sie sofort ergreifen, ihre militärischen Erfolge im Gazastreifen anerkennen und den Krieg beenden. Israel muss die Voraussetzungen für die Rückkehr der in Gaza festgehaltenen Geiseln schaffen, seine Handlungsfreiheit schützen und gleichzeitig die Vision eines regionalen Verteidigungsbündnisses verwirklichen - unter der Führung von US-Präsident Biden", fordert HAARETZ aus Israel.
"Iran hat mit seinem absurden Angriff bewiesen, dass es nun eine gemeinsame Verteidigung in der Region braucht", kommentiert die arabischsprachige Zeitung SHARQ AL-AWSAT aus London: "Es ist kein Zufall, dass die meisten Raketen außerhalb Israels abgefangen wurden. Zudem gilt es zu bedenken, dass der Angriff zu einer Zeit stattfand, da Iran noch kein Atomstaat ist. So verstanden, war der Angriff ein strategischer Fehler. Denn er hat Irans Nachbarstaaten klar gemacht, dass es nun unbedingt ein gemeinsames Friedens- und Verteidigungsabkommen braucht. Auch hat sich gezeigt, wie fatal Iran als militärische Atommacht wäre. Lässt man diese Entwicklung zu, wird die gesamte Welt dafür einen Preis zahlen", mahnt SHARQ AL-AWSAT aus London.
Die türkische Zeitung YENI ŞAFAK befürchtet eine Zunahme der Konflikte im Nahen Osten: "Mit dem iranischen Angriff ist es Israel gelungen, sich vom westlichen Druck zu befreien. Vor allem in Washington wird es sehr viel schwieriger werden, die Unterstützung für Israel in Frage zu stellen. Israel wird auf einen günstigen Moment warten, um den Iran anzugreifen, und es wird dies nicht ohne amerikanische Waffen tun können. Mit anderen Worten: Das alles wird die Biden-Regierung in eine schwierige Lage bringen. Netanjahu scheint seine Position deutlich gestärkt zu haben", beobachtet YENI ŞAFAK aus Istanbul.
Die estnische Zeitung POSTIMEES fordert, über die Lage im Nahen Osten nicht den Krieg in der Ukraine zu vergessen: "Natürlich hat Israel jedes Recht auf Selbstverteidigung, und es liegt im europäischen Interesse, dass sich sein Konflikt mit dem Iran nicht ausweitet. Zu den Folgen einer Eskalation würden neue Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa gehören, und die Ukraine erhielte noch weniger Aufmerksamkeit, während Russland zusätzlich gestärkt würde. Die Sache wird nicht einfacher dadurch, dass im US-Kongress wegen der Blockade durch Trumps republikanische Gefolgsleute ein Hilfspaket für die Ukraine und Israel festhängt. Eine Folge könnte sein, dass eine Trennung vorgenommen wird und Israel seine Hilfe erhält, während die Ukraine leer ausgeht. Aber beide benötigen Unterstützung, und die USA würden damit ein Signal der Schwäche an Russland senden", argumentiert POSTIMEES aus Tallinn.
Nun zum dreitägigen China-Besuch von Bundeskanzler Scholz, der mit einem Treffen mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping zu Ende gegangen ist. RZECZPOSPOLITA aus Warschau schreibt dazu: "Scholz ist nach China gereist, um dort die deutsche Business-über-Alles-Politik umzusetzen. Die Zweifel der USA, die drohende weitere Abhängigkeit von China, Pekings Unterstützung für Moskau und die Verletzung der Menschenrechte erwiesen sich dafür als unbedeutend. Die Chinesen verheimlichen nicht einmal, dass sie auf eine Diskrepanz zwischen Deutschland, Europa und den USA setzen", kritisiert die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA.
"Die chinesische Regierung will nicht nur einen Keil zwischen die USA und Europa treiben, sondern auch zwischen die europäischen Staaten", meint auch NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio: "Selbst die Ampel-Koalition will Xi Jinping auseinanderbringen. Das ist mit der Reise von Scholz und seinen Kabinettsmitgliedern deutlich geworden. Als EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen letztes Jahr den französischen Staatschef Macron bei dessen China-Reise begleitete, wurde ihr die kalte Schulter gezeigt. Ähnlich erging es diese Woche Umweltministerin Lemke und Landwirtschaftsminister Özdemir. Scholz war motiviert nach China gereist, um sich gemeinsam mit der Regierung in Peking für den Frieden in der Ukraine oder das Thema Umwelt zu engagieren, aber Xi ist souverän ausgewichen. Diese China-Reise war eine Fehlkalkulation von Berlin und hat Deutschland politisch kaum Ertrag gebracht", unterstreicht NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Japan.
"China und Deutschland haben ein deutliches Zeichen für eine Stabilisierung der Welt und eine für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit gesetzt", hält die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO fest: "Selbst einige amerikanische und europäische Medien, die anfangs skeptisch über die China-Reise berichtet hatten, haben die positiven Signale des Treffens am Ende begrüßt. Die Aussage des Kanzlers, wonach der deutsche Markt chinesische Autos willkommen heißt, kam in China gut an, denn schließlich sind nicht Protektionismus und Abschottung, sondern die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der beste Schutz der eigenen Volkswirtschaft", liest man in HUANQIU SHIBAO aus Peking.
Die französische Zeitung LE MONDE betont: "Wenn der Kanzler in China für einen 'offenen und fairen' Wettbewerb plädiert, scheint er außer Acht zu lassen, dass Peking nur die Sprache der Macht versteht. Xi Jinping ist nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Er setzt mehr denn je auf seine hoch subventionierte Industrie, um neue Märkte zu erobern und seiner Wirtschaft trotz einer schwachen Binnennachfrage ein zufriedenstellendes Wachstum zu sichern", analysiert LE MONDE aus Paris.
Zum Abschluss noch ein Kommentar zum Brand der historischen Börse in Kopenhagen, bei dem der Turm des Gebäudes eingestürzt ist. Die dänische Zeitung POLITIKEN kommentiert: "Überlieferungen zufolge sollte der Turm gegen Feinde und Feuer schützen. Nun ist ausgerechnet dieses Symbol selbst den Flammen zum Opfer gefallen. Dass es sich um eine architektonische und kulturhistorische Katastrophe handelt, ist klar, auch wenn durch den beherzten Einsatz von Passanten und Angestellten ein Großteil der Kunstsammlung gerettet werden konnte. Europa hat eine seiner ältesten Warenbörsen und Dänemark einen Teil seines Selbstverständnisses verloren – zumindest vorübergehend", notiert POLITIKEN aus Kopenhagen.