Dienstag, 07. Mai 2024

26. April 2024
Die internationale Presseschau

Ein Thema in den Kommentarspalten ist die gestrige Rede des französischen Staatspräsidenten Macron in der Pariser Universität Sorbonne. Außerdem geht es um die Lage im Gaza-Streifen und um die Nelkenrevolution in Portugal, die sich gestern zum 50. Mal jährte.

26.04.2024
Paris: Der französische Präsident Emmanuel Macron hält eine Rede über Europa im Amphitheater der Universität Sorbonne.
Grundsatzrede von Frankreichs Präsident Macron (Christophe Petit Tesson / EPA POOL / Christophe Petit Tesson)
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG zieht eine Parallele zu Macrons Ansprache vor sieben Jahren: "Bemerkenswert an Macrons Rede war erneut das Selbstbewusstsein, mit dem er seine Ideen vortrug. Zwar gehört es zu seiner Persönlichkeit, große Auftritte zu inszenieren. Doch steht er politisch an einem ganz anderen Punkt als vor sieben Jahren. Damals war er der junge Hoffnungsträger, der Frankreich und Europa bessere Zeiten versprach. Heute sind seine Umfragewerte schwach, um jene seiner Regierung steht es nicht viel besser. Vertreter des Rassemblement National sind beliebter. Vor allem sind die Aussichten auf die nahende Europawahl düster: Es ist unwahrscheinlich, dass seine Partei jene von Marine Le Pen überholt", prognostiziert die Schweizer NZZ.
In der Pariser Zeitung LE FIGARO heißt es: "In seiner zweiten Rede an der Sorbonne sticht ein Zitat insbesondere hervor: 'Unser Europa ist sterblich, es kann sterben, und das entscheidet sich jetzt', sagte Macron. Die Nähe der Europawahl ist zu offensichtlich und zu gewollt, um diese Rede von jeglichem taktischen Kalkül freizusprechen. Durch die Dramatisierung setzt der Staatschef darauf, dass die drei bis vier Millionen Wähler, die im April 2022 für ihn gestimmt haben, auch jetzt seine Partei Renaissance mit der Spitzenkandidatin Valérie Hayer wählen. Macrons Hinweis auf die letzte Chance ist der Treibstoff, um seine Wähler zu mobilisieren", unterstreicht die französische Zeitung LE FIGARO.
Die Pariser Zeitung LIBERATION betont: "Das Europa von 2024 ist nicht zu vergleichen mit dem Europa von 2017, auch wenn viele der von Präsident Macron vorgeschlagenen Reformen verabschiedet wurden, um die Folgen der Corona-Pandemie, des Ukraine-Krieges oder der Energiekrise zu bewältigen. Es muss noch ein weiter Weg zurückgelegt werden, um in zehn Jahren 'das mächtige, wohlhabende und humanistische Europa' aufzubauen, für das sich der Staatschef einsetzt."
Die österreichische Zeitung DIE PRESSE verweist auf die finanziellen Probleme Frankreichs: "Eine richtige Analyse zieht einige vernünftige Schlüsse nach sich – denen dann sofort irritierende nationale französische Sonderwünsche folgen. Mehr als 20 Milliarden Euro muss Finanzminister Bruno Le Maire binnen zweier Jahre einsparen, die Maastricht-Kriterien werden sonst nicht einzuhalten sein. Vor diesem Hintergrund der französischen Haushaltsnot muss man auch Macrons Forderung verstehen, die Europäische Zentralbank solle nicht nur die Inflation bekämpfen, sondern auch 'ein Wachstumsziel, gar ein Ziel der Dekarbonisierung' erhalten. Budgetfinanzierung durch die Notenbank? Spätestens hier sollten nicht nur bei der Bundesbank die Alarmglocken läuten. Und so zeigt sich einmal mehr: Macron ist der größte Feind seiner eigenen guten Ideen", hebt die Wiener PRESSE hervor.
Die polnische RZECZPOSPOLITA sieht Macrons Rede mit einer gewissen Skepsis: "Die dramatische Einschätzung des französischen Präsidenten zur Bedrohung des vereinten Europas ist richtig. Mit Blick auf Macrons Glaubwürdigkeit als Retter der Gemeinschaft sieht es jedoch schlechter aus. Macron will Europa reformieren, obwohl es ernsthafte Zweifel daran gibt, ob es ihm gelungen ist, Frankreich selbst zu heilen. Frankreich ist weiterhin hoch verschuldet, und sein Wirtschaftswachstum ist dürftig. Umfragen zeigen ein dramatisches Ergebnis für Macrons Renaissance-Partei im Vergleich zum rechtsextremen Rassemblement National im Vorfeld der Europawahl", erklärt die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Hören Sie nun Kommentare zum Krieg im Gaza-Streifen. Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT hält den Kampf des israelischen Militärs gegen die Terrororganisation Hamas für aussichtslos: "Die überlegene israelische Armee kann den asymmetrischen Krieg mit der Hamas niemals gewinnen. Egal, wie viele Kämpfer sie tötet, es werden immer neue auftauchen, die Israel mit Anschlägen und Gewalt treffen können. Die palästinensische Frage kann nicht mit Gewalt gelöst werden. Nur die USA sind in der Lage, Israel umzustimmen. Leider sind die Amerikaner jedoch nicht gewillt, sich durchzusetzen. Erst kürzlich hat der US-Kongress weitere Militärhilfen für Israel in Höhe von 15 Milliarden Dollar genehmigt. Solange sich Israel der US-Hilfe sicher sein kann, wird es an seinem aussichtslosen Kollisionskurs festhalten", prophezeit DE VOLKSKRANT aus Amsterdam.
Die dänische Zeitung POLITIKEN schreibt: "US-Präsident Biden macht keinen Hehl daraus, dass er zwar Israel in einer Gefahrenlage hilft, aber im Übrigen ein Ende der Invasion in Gaza und der Geiselaffäre wünscht. Kein anderer Regierungschef hat so viel Hilfe aus den USA bekommen wie Netanjahu, und zwar nicht nur Waffen für den Kampf gegen die Hamas, sondern auch Schutz vor Kritik im UNO-Sicherheitsrat und den entscheidenden Beistand für die Abwehr des iranischen Drohnen- und Raketenangriffs. Immer noch will Netanjahu Rafah erobern, um die Hamas zu eliminieren - und das, obwohl ihn Biden wiederholt gebeten hat, einen solchen Schritt zu unterlassen", erläutert POLITIKEN aus Kopenhagen.
Die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO rechnet mit der baldigen Offensive gegen die Stadt Rafah im Gazastreifen: "Die Schlacht in Rafah soll der Befreiungsschlag für Netanjahu sein. Die gerade vom US-Kongress gebilligte militärische Unterstützung in Milliardenhöhe versteht er sicher als Rückendeckung. Keines seiner Versprechen, weder die Befreiung der Geiseln noch die vollständige Beseitigung der Hamas, hat Netanjahu bisher realisiert, und er steht deswegen unter enormem Druck. In Rafah sieht er die letzte Chance für die Sicherung seiner Macht. Aber was ist mit der Zivilbevölkerung in Gaza? Wohin sollen die Menschen noch flüchten? Ihre Heimat wird seit Monaten bombardiert und ist quasi unbewohnbar geworden. Sobald Israel die Offensive in Rafah startet, wird die Welt eine noch größere humanitäre Katastrophe erleben", befürchtet JIEFANG RIBAO aus Shanghai.
Gestern erinnerten die Menschen in Portugal an die Nelkenrevolution, die die Gewaltherrschaft unter Machthaber Salazar vor 50 Jahren beendete. Die portugiesische Zeitung CORREIO DA MANHÃ hält fest: "Die Nelkenrevolution war die schönste des 20. Jahrhunderts. Der Wandel war willkommen und bewegte die Welt. Von der Französischen Revolution blieben die Ausschreitungen im Gedächtnis, der Sturm der Massen auf die Bastille und die Guilloutine. Es birgt daher immer ein gewisses Risiko, Revolutionen allzu positiv darzustellen. Wer mag heute etwas Schönes in der Russischen Revolution von 1917 sehen oder in der Revolution in Kuba? Vielleicht sind Revolutionen manchmal notwendig, um etwas zu verändern oder ein Land oder eine Gruppe zu befreien. Aber der 25. April 1974 ist und bleibt das Datum der schönsten Revolution, denn sie erfüllt alle Kriterien: Sie hat die Portugiesen befreit, sie war nicht gewaltsam - und sie hat Portugal verändert", unterstreicht CORREIO DA MANHÃ aus Lissabon.
Auch die spanische Zeitung EL PAIS erinnert an die Errungenschaften der Revolution, stellt aber zugleich fest: "Ein Korruptionsverdacht führte Ende 2023 den Sturz der portugiesischen Regierung herbei. Die Ermittlungen gegen Premier Costa führten schließlich zu seinem Rücktritt und zu vorgezogenen Neuwahlen. Die Sozialisten verloren die 2022 gewonnene absolute Mehrheit und jetzt ist eine konservative Minderheitsregierung an der Macht. Der Verdacht gegen Costa hat sich jedoch keineswegs erhärtet. Heute steckt das Land in einer politischen Krise, nach wie vor gibt es keine entscheidenden Beweise für die Ermittlungen gegen Costa. Wenn sich also die Staatsanwaltschaft getäuscht hat, muss jemand die Verantwortung dafür übernehmen." Das war die Zeitung EL PAIS aus Madrid, mit der die internationale Presseschau endet.