Donnerstag, 16. Mai 2024

29. April 2024
Die internationale Presseschau

Mit Kommentaren zu den Festnahmen mutmaßlicher Spione in Deutschland sowie den Pro-Palästina-Demonstrationen an amerikanischen Universitäten. Hören Sie aber zunächst Stimmen zu den internationalen Bemühungen um eine Waffenruhe im Gazasteifen, die heute unter anderem mit Gesprächen in Kairo fortgesetzt werden.

29.04.2024
Austin: Texas State Troopers in Einsatzkleidung versuchen einen pro-palästinensischen Protest an der University of Texas aufzulösen.
Thema in den internationalen Zeitungskommentaren: Die pro-palästinensischen Demonstrationen an mehreren US-Universitäten. (Jay Janner / Austin American-State / Jay Janner)
Die Zeitung KOMMERSANT aus Moskau kommentiert: "Israel hat die Gespräche mit der palästinensischen Hamas-Bewegung ägyptischen Vermittlern überlassen und damit der Diplomatie eine 'letzte Chance' gegeben. Sollten die Verhandlungen über ein Waffenstillstandsabkommen nicht bald vorankommen, werden die israelischen Streitkräfte eine Bodenoperation in Rafah starten. Kairo versucht offenbar sein Bestes, um Israel davon abzubringen. Man befürchtet eine humanitäre Katastrophe – und diese Ängste sind verständlich: Die Palästinenser aus Gaza würden unter dem Druck der israelischen Streitkräfte wahrscheinlich gezwungen sein, nach Ägypten zu fliehen, da Rafah direkt an die ägyptische Grenze grenzt", notiert die russische Zeitung KOMMERSANT.
"Die Vermittlungsbemühungen insbesondere Ägyptens sind womöglich der letzte Versuch, die Katastrophe von Rafah zu verhindern", befürchtet die palästinensische Zeitung AL QUDS, die in London erscheint: "Gelingt dies, könnten daraus weitere Übereinkünfte erwachsen. Scheitern die Verhandlungen, stehen Tage bevor, die blutiger und schrecklicher sein werden als alle anderen Tage dieses Krieges. Denn einer Million Menschen bliebe dann keine andere Wahl als zu fliehen oder in Rafah zu sterben."
Ein Gastkommentator der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG blickt skeptisch auf die Bemühungen um ein Abkommen mit der Hamas: "Die Hamas nur 'etwas' zu besiegen, hat in der Vergangenheit nie geholfen. Der Totalitarismus muss – auch in seiner religiösen Gestalt – mit seinen Wurzeln ausgerissen werden. Hätten die Israelis dies früher erkannt, wäre ihnen der 7. Oktober erspart geblieben. Während das Land verzweifelt um seine Existenz kämpft, geben sich die Europäer zwar grundsätzlich solidarisch, setzen mit ihrer Beschwörung humanitärer Gebote im Gaza-Krieg aus zumeist innenpolitischen Gründen aber einen anderen Akzent. Zugleich ist der sich an Israels Existenz entzündende Judenhass nach Europa übergeschwappt", vermerkt die NZZ.
In der staatsnahen chinesischen Zeitung CHINA DAILY ist zu lesen: "Es ist höchste Zeit, dass die USA aufhören, mit ihrer blinden Unterstützung Israels Teil des Problems zu sein, und stattdessen Teil der Lösung werden. Sie sollten ihr Gewicht in die internationalen Friedensbemühungen einbringen und sich mit Ländern wie China zusammentun, die sich um eine langfristige Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts durch Dialog und Konsultationen bemühen", soweit CHINA DAILY aus Peking.
In den USA haben sich die Proteste an mehreren Elite-Universitäten gegen den Gaza-Krieg auf weitere Hochschulen des Landes ausgeweitet. Es gab hunderte Festnahmen. "Jede Hoffnung auf einen zivilen Diskurs hat sich in der vergangenen Woche in Luft aufgelöst", bedauert die WASHINGTON POST: "Demonstranten riefen zur Tötung von Juden auf. Es gab Prügeleien, an denen sich auch zahlreiche Nicht-Studenten beteiligten. Polizisten wurden verhöhnt. Zugleich gingen diese in einigen Fällen gewaltsam gegen friedliche Studenten und Lehrkräfte vor. Die Geschwindigkeit dieser Eskalation ist erstaunlich."
Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT bemerkt: "Das erste Problem besteht darin, dass solche propalästinensischen Proteste verachtenswerte 'Unterstützer' anziehen, die Demonstrationen gegen Israel für antisemitische Hetze und Parolen missbrauchen. Selbst wenn es sich dabei um vereinzelte Vorfälle handelt, und selbst wenn diese sich außerhalb der Universitäten abspielen, werden dadurch auch legitime Demonstrationen in Misskredit gebracht. Das zweite Problem ist, dass diese Vorfälle von rechten Provokateuren benutzt werden, um die gesamte propalästinensische Bewegung als antisemitisch abzustempeln. Damit wird politischer Protest auf ein generelles Ärgernis reduziert, das nicht weiter beachtet werden sollte", kritisiert DE VOLKSKRANT aus Amsterdam.
Die Zeitung GULF NEWS aus den Vereinigten Arabischen Emiraten stellt fest: "Israels Krieg gegen den Gazastreifen, der kürzlich die 200-Tage-Marke überschritten hat, hat die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten und den meisten westlichen Ländern in einer noch nie dagewesenen Weise verändert. Der Imageverlust Israels ist unvorstellbar. In der vergangenen Woche erreichten die Pro-Palästina-Proteste an den US-Universitäten einen neuen Höhepunkt. Diese Studenten haben sich einer Sache verschrieben, die inzwischen größer ist als Gaza. Es geht um ihr Recht, die Ideale und Werte ihrer Nation zum Ausdruck zu bringen und zu verteidigen", meint die Zeitung GULF NEWS aus Dubai.
"Werden sich die Proteste weltweit ausbreiten?", fragt die Onlinezeitung T24 aus Istanbul: "Es ist ein großer Fehler, solche Studentenbewegungen zu belächeln. Wir dürfen die 68er-Bewegung nicht vergessen. Die Proteste, die mit Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg begannen, breiteten sich weltweit aus und wurden zu einem Kampf für Rechte und Freiheit. In einigen Ländern beschränkte er sich auf die Studentenbewegung, in anderen verband er sich mit der Arbeiterbewegung und ging als globaler Aufstand für Rechte und Freiheit in die Geschichte ein. Werden die Proteste in den USA zu einem solchen Sprung führen? Wir werden es sehen", schreibt die türkische Zeitung T24.
Die taiwanesische Zeitung LIANHE BAO kommt zu einem anderen Schluss: "Die aktuellen Proteste an den amerikanischen Universitäten werden keine vergleichbaren politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen haben wie etwa die Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Zwar unterstützen die USA Israel militärisch und finanziell, sie sind aber keine Konfliktpartei. So bleiben die Proteste eher auf der moralischen Ebene. Auch ist der Ruf nach Gerechtigkeit für Palästina bisher auf kein großes Echo in der breiten Gesellschaft gestoßen. Die Einflüsse auf die bevorstehenden US-Wahlen dürften daher überschaubar sein, solange die betroffenen Bundestaaten die Proteste in den Griff bekommen", prognostiziert die Zeitung LIANHE BAO aus Taipeh.
"Den USA steht ein heißer Sommer bevor", glaubt hingegen VERDENS GANG aus Norwegen: "Längst geht es nicht mehr nur um den Krieg in Gaza. Die Linke in den USA ist wieder aufgewacht, und die Rechte hat ein Thema gefunden, das sie im Wahljahr gegen die Demokraten verwenden kann. Die Republikaner sprechen bereits von Anarchie und Antisemitismus an den Universitäten. Ihre Botschaft ist, dass die Welt außer Kontrolle geraten ist und Präsident Biden keine Führungsstärke hat. Der Krieg in Gaza ist inzwischen zu einer großen Belastung für den Demokraten geworden", analysiert die Zeitung VERDENS GANG, die in Oslo erscheint.
Themenwechsel. In Deutschland hat die Bundesanwaltschaft in den vergangenen Wochen mehrere mutmaßliche Spione festnehmen lassen. Sie sollen für chinesische beziehungsweise russische Geheimdienste gearbeitet haben. "Deutschland hat ein ernsthaftes Sicherheitsproblem. Das Land scheint zu einer Brutstätte für Spione geworden zu sein", kommentiert die spanische Zeitung LA VANGUARDIA: "Die deutschen Behörden sind sehr besorgt über Chinas Versuche der Wirtschaftsspionage. Die Festnahme zweier russischer Spione bestätigt zudem eine Gefahr, vor der das Bundesamt für Verfassungsschutz schon seit Langem warnt: Russische Sabotageakte auf deutschem Boden zu Lasten der Ukraine. Spionage- und Einmischungsversuche durch Mächte wie China und Russland bereiten derweil nicht nur Deutschland Sorgen, sondern allen Ländern der EU. Sie zielen darauf ab, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, die europäische Sicherheit zu untergraben und die europäischen Demokratien zu destabilisieren."