Freitag, 17. Mai 2024

30. April 2024
Die internationale Presseschau

Kommentiert werden unter anderem das Datum 20 Jahre EU-Osterweiterung sowie die Bemühungen um eine Waffenruhe im Gazakrieg. Doch zunächst Reaktionen auf die Islamisten-Demo in Hamburg.

30.04.2024
Teilnehmer einer Islamisten-Demo halten ein Plakat mit der Aufschrift "Mut zur Wahrheit" in die Höhe.
Demonstration der islamistischen Szene in Hamburg (Axel Heimken/dpa)
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG kritisiert: "Deutschlands Linke ist noch immer nicht in der Realität der von ihr gefeierten Migrationsgesellschaft angekommen. Sonst wäre der Aufschrei nach der islamistischen Kundgebung am Samstag in Hamburg größer. Dort waren es schließlich neben Neuankömmlingen und Migranten der zweiten und dritten Generation auch Deutsche mit Migrationshintergrund, die sich hinter verfassungsfeindlichen Parolen wie 'Kalifat ist die Lösung' versammelten. Sicher, auch linke Politiker sehen, dass der Islamismus ein Problem ist – aber erst da, wo er die Strafbarkeitsgrenze überschritten hat. So wichtig und richtig Rufe nach Polizei und Gerichten sind: Damit ist es nicht getan." Das war die NZZ aus der Schweiz.
Die österreichischen SALZBURGER NACHRICHTEN konstatieren: "Die Bilder der Islamisten-Demo schrecken auch bei uns auf. Zugegeben: Das ist kein neues Phänomen. Auch nach früheren Eskalationen wie der Silvesterrandale in Köln gab es Diskussionen über die Radikalität von Zuwanderern, über falsche Nachsichtigkeit in der Integrationspolitik, über Parallelgesellschaften, über importierte Gewalt. Was aktuell verstört, sind die offen zur Schau gestellte Ablehnung Deutschlands und das Infragestellen freiheitlich-demokratischer Werte", bemerken die SALZBURGER NACHRICHTEN.
Die polnische RZECZPOSPOLITA befasst mit dem 20. Jahrestag der EU-Osterweiterung und mahnt Reformen an: "Wir dürfen nicht länger mit dem Umbau der Europäischen Union warten. Es muss vor allem eine echte europäische Verteidigungs- und Außenpolitik etabliert werden. Eine der Bedingungen hierfür ist die Abschaffung des Vetorechts bei Entscheidungen des EU-Rates in beiden Bereichen. Außerdem braucht Europa eine gemeinsame Rüstungsindustrie und so etwas wie eine europäische Armee – eine schnelle Eingreiftruppe. Der Zeitplan für diese Reformen wird von Russland vorgegeben: Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius befürchtet, dass bereits in fünf Jahren Wladimir Putin die NATO angreifen könnte", notiert die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Auch die estnische Zeitung POSTIMEES blickt anlässlich des 20. Jahrestags der EU-Osterweiterung auf die Ukraine und vermerkt: "Im Fall eines Sieges des Landes würde die Frage eines EU-Beitritts aktuell. Die Ukraine hat den Kandidatenstatus erhalten, führt aber noch keine Beitrittsgespräche. Einen Rabatt darf es nicht geben: Kiew muss die Korruption bekämpfen und ein stabiles Rechtssystem aufbauen. Auch darf es keine Bevorzugung gegenüber anderen Beitrittskandidaten geben: Niemand darf sich in der Schlange nach vorne drängeln. Bis die Ukraine die Kriterien erfüllt und Mitglied wird, können also noch viele Jahre ins Land gehen. Der Krieg hat auch aufgezeigt, wie gefährlich Grauzonen in Europa sind. Nur in sich geeint kann die EU einem Russland gegenübertreten, das die europäische Sicherheitsstruktur zerstören will, und nur gemeinsam kann sie einem China die Stirn bieten, das nach einer globalen Vormachtstellung strebt", meint POSTIMEES aus Tallinn.
Nun zum Nahen Osten. Ein Gastkommentator der JERUSALEM POST würdigt die Vermittlungsbemühungen Londons: "Seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges hat die britische Diplomatie Israel konsequent und subtil die klare Botschaft vermittelt, dass es sich in existenziellen Fragen auf Großbritannien verlassen kann. Es überrascht nicht, dass die israelische Regierung den Briten für ihre Hilfe bei der Vereitelung des jüngsten iranischen Angriffs gedankt hat. Großbritannien ist neben den USA das einzige Land, das bereits einen Plan für die Zeit nach dem Krieg im Gazastreifen vorgelegt hat. Die Londoner Regierung scheint zu verstehen, dass sie nur dann ein glaubwürdiger Gesprächspartner in der zukünftigen Landschaft des Nahen Ostens sein kann, wenn Großbritannien sich auf die nationalen Sicherheitsbedürfnisse Israels konzentriert. Es ist kein Zufall, dass der israelische Minister im Kriegskabinett, Benny Gantz, nach seiner Reise nach Washington einen Zwischenstopp in London einlegte - ein beispielloser Schritt für einen israelischen Politiker, der die USA besucht. Die neue britische Nahostpolitik hat sich bisher ausgezahlt, weil sie Brücken des Vertrauens zur israelischen Seite geschlagen hat. Es bleibt abzuwarten, ob dies auch nach dem Ende des Krieges der Fall sein wird", schreibt die JERUSALEM POST.
Die indirekten Verhandlungen zwischen Hamas und Israel über eine Waffenruhe in Gaza ist Thema der palästinensischen Zeitung AL AYYAM: "Sollte es zu keiner Verständigung zwischen Israel und der Hamas kommen, dürfte dies in eine Konfrontation münden. Womöglich wird dann das Friedensabkommen von Camp David mit Ägypten ausgesetzt, vielleicht droht sogar eine militärische Konfrontation. Denn ein israelischer Angriff auf Rafah könnte dazu führen, dass rund eine Million Palästinenser in den Sinai zu fliehen versuchen. Das kann Ägypten nicht hinnehmen. Allerdings steht der israelische Premierminister Netanjahu nicht nur aufgrund weltweiter Demonstrationen unter Druck, sondern vor allem durch einen möglichen Haftbefehl durch den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. So könnte Netanjahu einem Abkommen mit der Hamas letztlich doch noch zustimmen", überlegt AL AYYAM aus Ramallah.
Das schwedische AFTONBLADET führt aus: "Israelischen Medienberichten zufolge ist nun der Internationale Strafgerichtshof ICC dabei, einen Haftbefehl gegen Netanjahu vorzubereiten. Wird dieser ausgestellt, müssen alle Unterzeichnerstaaten des Rom-Statuts den israelischen Premier festnehmen, wenn er bei ihnen zu Besuch ist. Was das in der Praxis für Israels Kriegsführung bedeuten würde, lässt sich nur schwer voraussagen. Aber es ist durchaus möglich, dass der ICC mehr Druck auf Netanjahu ausübt, als dieser selbst zugeben möchte. Es wäre zu hoffen, dass ein solcher Haftbefehl ein wichtiges Signal an die übrige Welt sendet", konstatiert AFTONBLADET aus Stockholm.
Die spanische Zeitung LA VANGUARDIA aus Barcelona verweist in diesem Zusammenhang auf die Verhandlungen in Kairo über einen israelischen Vorschlag für eine Waffenruhe im Gazastreifen: "In den USA wächst die Sorge, dass Israel seinen Vorschlag zurückzieht, sollten die Haftbefehle ausgestellt werden. Das würde auch erklären, warum US-Außenminister Blinken gestern in Riad Druck auf die Hamas ausübte, diesen - seinen Worten nach - außerordentlich großzügigen israelischen Vorschlag anzunehmen."
Zum Schluss ein ganz anderes Thema. Nach Russlands Überfall auf die Ukraine hat der Westen hunderte Milliarden Euro an russischem Staatsvermögen eingefroren. Moskau warnte die USA, die Gelder zu entwenden. Die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO fragt: "Werden die Europäer dem Beispiel Washingtons folgen und russisches Vermögen im Ausland enteignen? Das US-Repräsentantenhaus hat vor kurzem ein Gesetz verabschiedet, mit dem es möglich wird, eingefrorene russische Gelder für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden. Wirtschaftsvertreter in Europa verweisen darauf, dass dieser Schritt eine Verletzung des Völkerrechts wäre. Dies könnte das Vertrauen der Anleger in den Euro ernsthaft schwächen und zu einer nicht zu unterschätzenden Belastung für die europäische Wirtschaft werden. Von den beschlagnahmten russischen Vermögenswerten befinden sich nur fünf bis sechs Milliarden Dollar in den USA, aber rund 210 Milliarden Euro in der EU. Insofern muss Brüssel die möglichen Kollateralschäden bedenken, sollte man sich dem Schritt der USA anschließen. Die deutsche Wirtschaft musste seit Beginn des Ukrainekonflikts bereits einen hohen Preis für die Abkehr von günstiger russischer Energie und die Sanktionen gegen den Kreml zahlen. Es ist zu hoffen, dass die Regierung in Berlin dies bei ihrer Entscheidung über eingefrorene russische Konten im Auge behalten wird", heißt es in der staatsnahen Zeitung HUANQIU SHIBAO aus Peking.