Freitag, 17. Mai 2024

02. Mai 2024
Die internationale Presseschau

Mit Stimmen zur Kommunalwahl in Großbritannien und zum umstrittenen Gesetz gegen "ausländische Einflussnahme" in Georgien. Zunächst aber in die USA, wo die pro-palästinensischen Proteste an mehreren Universitäten weiter eskaliert sind.

02.05.2024
Pro-palästinensische Proteste an der Columbia-Universität in New York
Viele internationale Zeitungen kommentieren die pro-palästinensischen Proteste an US-Hochschulen – wie hier an der Columbia University in New York. (picture alliance / ZUMAPRESS.com / Andrea Renault)
DIE PRESSE aus Österreich stellt klar: "Ein Protest, der das Ende der Zusammenarbeit mit dem einzigen jüdischen Staat der Welt fordert, diesen historisch und faktisch inkorrekt als 'Apartheidstaat' bezeichnet, hat ein Antisemitismusproblem. Vor allem, wenn der Protest gleichzeitig kein Problem damit hat, dass Teilnehmende mit Symbolik der Terrororganisation Hamas auftreten. Vielleicht sind sich die Protestierenden des strukturellen Antisemitismus ihrer Forderungen nicht bewusst. Er kommt versteckt daher, in der Opfer-Täter-Zuordnung, im falsch verwendeten Kolonialismusbegriff, in der Ablehnung von 'Zionisten', in haarsträubenden NS-Vergleichen. Vielleicht sind es auch einfach nur junge Menschen, die vielfach prägende Schuljahre im Lockdown abgesessen haben. Es sind die letzten Wochen vor den Sommerferien; der Protest bot mit seiner Zeltlagerromantik Gemeinschaft und Identität – und scheinbar klare Antworten auf die großen Fragen. Leider sind die einfachen Antworten selten auch die richtigen", unterstreicht DIE PRESSE aus Wien.
Die türkische Zeitung YENI ŞAFAK moniert die offiziellen Reaktionen auf die Proteste: "Einige westliche Länder, allen voran die USA - legen aktuell eine offen aggressive Haltung gegenüber dem Menschenrecht auf Demonstration an den Tag. Lange Zeit wurde Kritik an der israelischen Gewalt- und Terrorpolitik mit Antisemitismus gleichgesetzt, was ein ernsthaftes Problem für die Meinungsfreiheit darstellt. Von israelfreundlichen Senatoren im US-Senat, von Universitätsverwaltungen und großen Unternehmen wird großer Druck auf die Studierenden und Hochschulleitungen ausgeübt. Das zeigt deutlich den inneren Widerspruch des Westens in Bezug auf Freiheiten und liberale Werte", heißt es in YENI ŞAFAK aus Istanbul.
Die palästinensische Zeitung AL AYYAM beobachtet einen Wandel bei der Wahrnehmung Israels in den USA: "In einer Gesellschaft voller Widersprüche, Rassismus und der Betonung ethnischer Zugehörigkeit wecken die Studentenproteste, an denen sich auch andere amerikanische Bürger beteiligen, unter den Politikern in Washington erhebliche Sorgen. Die Proteste beunruhigen auch den israelischen Premier Netanjahu. Er ist sich im Klaren, dass sich die Bewegung und ihre Kritik am israelischen Narrativ immer tiefer in das öffentliche Bewusstsein graben. Tatsächlich sollten alle israelischen Politiker die strategische Gefahr wahrnehmen, die von diesen Protesten ausgeht. Denn es sieht nicht so aus, als handele es sich bei der Bewegung um eine Art politischen Unfall, der nach Ende des Krieges rasch wieder behoben wäre", meint AL AYYAM aus Ramallah.
Die Kommentatorin der israelischen Zeitung HAARETZ hält es für bedenklich, dass an den Hochschulen in Israel weitgehend Schweigen zum Krieg in Gaza herrscht: "Solange israelische Akademiker nicht Stellung gegen den Krieg beziehen, aus gesundem Menschenverstand und dem Wunsch heraus, den langen, blutigen Konflikt in der Region zu beenden, solange sollten sie nicht allzu überrascht sein, wenn die internationale akademische Gemeinschaft die Beziehungen zu ihnen abbrechen will. Zugegeben, es ist zuweilen schwierig, zwischen der Forderung nach einem Ende des Konflikts und einer Rechtfertigung der Gräueltaten der Hamas zu differenzieren. Dennoch müssen israelische Akademiker eine klare Alternative nicht nur zu der Aggression und Rachsucht präsentieren, auf der die militärischen Entscheidungen der israelischen Regierung gründen, sondern auch eine Alternative zu der vielfach geforderten Befreiung Palästinas auf Kosten Israels und vielleicht sogar auf Kosten des gesamten Weltjudentums", verlangt HAARETZ aus Tel Aviv.
In Georgien sind gestern erneut Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen ein Gesetz zu demonstrieren, das eine verschärfte Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen ermöglichen soll. "Nach Europa sieht das nicht aus", findet der Schweizer TAGES-ANZEIGER: "Prügelnde Polizei und Wasserwerfer, Dutzende Festnahmen und vor allem: ein geplantes Gesetz, das auch jene Europäische Union so entsetzt, der Georgien ja eigentlich beitreten will. Seit vergangenem Dezember ist der Staat am Kaukasus ein EU-Beitrittskandidat, doch statt sich weiter anzunähern, entfernt er sich auch schon wieder. Zehntausende Menschen protestieren, weil sie ein geplantes Gesetz als Gefahr für den europäischen Kurs sehen. Die Regierung will mit diesem Gesetz den Einfluss ausländischer Staaten auf die georgischen Zivilorganisationen und Medien eindämmen. Sie tut so, als sei dies eine Gefahr für Georgien. Dabei geht es bei den georgischen Nichtregierungsorganisationen in der Regel um demokratiefördernde Projekte, für die es im Land selbst einfach nicht genug Geld gibt", hält der TAGES-ANZEIGER aus Zürich fest.
Die estnische Zeitung POSTIMEES ergänzt: "Die Gegner der Initiative sprechen von einem 'Russischen Gesetz' und verweisen auf entsprechende Parallelen. Tatsächlich dient die russische Version vor allem dazu, Regierungskritiker zum Schweigen zu bringen. Es ist daher nachvollziehbar, dass die Georgier das nicht auch in ihrem Land haben wollen. Bislang unterstützte die Regierung in Tiflis zwar die Ukraine, hielt jedoch auch die Handelsbeziehungen zu Russland aufrecht. Unter anderem das Schicksal Armeniens sollte den Georgiern verdeutlichen, wie wenig man sich auf Hilfe aus Russland verlassen kann. Russland war durch den Krieg in der Ukraine so weit geschwächt, dass Armenien keine Hilfe bekam, als Aserbaidschan die Region Nagorni-Karabach eroberte. Und ja, der Westen war mit seiner Hilfe für die Ukraine langsam und zögerlich, aber er hat sie geleistet. Russland hat dagegen gar nichts für Armenien getan", erinnert POSTIMEES aus Tallinn.
Die russische Staatszeitung KOMMERSANT verweist auf eine Kundgebung der georgischen Regierung zur Unterstützung des Gesetzes, die zeitgleich zu den Protesten dagegen stattfand: "Dabei verkündete der einstige Regierungschef Georgiens, Bidsina Iwanischwili, Milliardär und 'graue Eminenz' des Landes, tatsächlich den Verzicht Georgiens auf einen Kurs der europäischen Integration. Seiner Meinung nach versuche die 'Partei des globalen Krieges' – er meinte damit wohl den kollektiven Westen – die Souveränität Georgiens zu untergraben. Durch das Gesetz zu den ausländischen Agenten werde die georgische Regierung aber weiter in der Lage sein, das Recht des Landes auf Unabhängigkeit zu verteidigen und traditionelle Werte zu bewahren. Auch andere Redner versprachen, Georgien werde der Europäischen Union zu seinen eigenen Bedingungen beitreten. Experten vor Ort sind angesichts dieses Paradigmenwechsels etwas ratlos. Immerhin ist es Georgien, das die EU darum bittet, es als Mitglied aufzunehmen, und nicht umgekehrt", schreibt der KOMMERSANT aus Moskau.
Zum Schluss nach Großbritannien, wo heute Kommunalwahlen stattfinden. Die dänische Zeitung POLITIKEN prophezeit: "Die britischen Konservativen werden die Abstimmung aller Wahrscheinlichkeit nach verlieren. Die entscheidende Frage ist, wie eng es dann für Premierminister Sunak wird. Für ihn ist es nämlich ein gewaltiger Unterschied, ob die Niederlage groß oder klein ausfällt. Im Extremfall könnte eine Demütigung der Partei durch die Wähler einen Aufstand des rechten Tory-Flügels gegen seine Führung auslösen. Auch vor Ort geht es um allerhand. Viele Torys müssen Plätze und Bürgermeisterposten verteidigen, die sie 2021 gewannen. Heute liegt Labour in Umfragen deutlich vorn. Sunak hofft vermutlich, dass er mit seinem Versprechen zur Anhebung des Verteidigungshaushalts und dem sogenannten Ruanda-Gesetz Wähler vom rechten Rand zurückgewinnen kann. Aber wenn die Torys mehr als die Hälfte der Sitze und Posten verlieren, um die es heute geht, würde es tatsächlich eng." Das war POLITIKEN aus Kopenhagen, und damit endet die Internationale Presseschau.