Samstag, 18. Mai 2024

04. Mai 2024
Die internationale Presseschau

Kommentiert werden die pro-palästinensischen Proteste an Universitäten in den USA und die Demonstrationen in Georgien gegen ein von der Regierungspartei vorangetriebenes Gesetz über sogenannte Auslandsagenten. Zunächst geht es aber um die Kommunalwahlen in England und Wales, bei denen die Konservativen deutliche Verluste hinnehmen mussten.

04.05.2024
Rishi Sunak spricht während einer Pressekonferenz an seinem Amtssitz in London.
Die britischen Tories von Premierminister Rishi Sunak mussten bei den Kommunalwahlen in England und Wales deutliche Verluste hinnehmen. (picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Toby Melville)
Die britische Zeitung THE GUARDIAN analysiert: "Niemand sollte sich täuschen: Die Wahlergebnisse für die Tories sind eine weitere Bestätigung für die katastrophale Lage der Konservativen Partei. So laut und deutlich wie möglich sagen die Briten den Tories, dass ihre Zeit abgelaufen ist. Nirgendwo war diese Botschaft ohrenbetäubender als bei der Abstimmung in Blackpool South, wo die Konservativen 26 Prozent der Stimmen an die Labour-Partei abgeben mussten. Die Resultate bei den Kommunalwahlen können nicht als Ausrutscher oder einmalige Protestabstimmungen abgeschrieben werden. Das ist das Zittern des Seismographen, der anzeigt, dass ein gewaltiges Erdbeben bevorsteht", unterstreicht THE GUARDIAN aus London.
Die ebenfalls in London erscheinende Zeitung THE TIMES führt aus: "Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Konservativen bei den in wenigen Monaten anstehenden Parlamentswahlen auf ein weitaus schlechteres Ergebnis zusteuern als 1997. Damals führte Tony Blair die Labour-Partei zu einem Erdrutschsieg. Viele Tories hoffen nun instinktiv auf Rettung in der Not durch die Absetzung von Rishi Sunak und die Ernennung eines neuen Parteivorsitzenden. Das wäre jedoch eine Farce. Vier Premierminister innerhalb einer einzigen Legislaturperiode zu haben, würde vielmehr belegen, dass die Partei nicht regierungsfähig ist", bemerkt THE TIMES.
Die Gastkommentatorin der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN ist ähnlicher Meinung: "Obwohl bei den nächsten Parlamentswahlen ein Sieg für Labour und damit ein Regierungswechsel als ziemlich sicher angesehen werden kann, ist im Land kaum eine Euphorie zu spüren wie beim damaligen Wahlsieg von Toni Blair. Das liegt daran, dass die Wähler genau wissen, dass man von Labour keine grundsätzliche Verbesserung der Lage erwarten kann. Denn die Sozialdemokraten werden von den Konservativen die schwierige Haushaltslage sowie die mit dem Brexit zusammenhängenden Probleme vererbt bekommen", hebt NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio hervor.
Die spanische Zeitung LA VANGUARDIA hält fest: "Mit großer Wahrscheinlichkeit bricht jetzt innerhalb der Tories eine neue Revolte aus. Der besonders radikale Flügel der Partei dürfte die Führungsrolle von Sunak in Frage stellen oder sogar versuchen, ihn zu stürzen. Für den Premier mögen die Ergebnisse eine schlechte Nachricht sein, aber sie reichen voraussichtlich nicht, ihn zum Rücktritt zu zwingen. Labour rechnet in jedem Fall nach 14 Jahren Tory-Herrschaft mit einem klaren Sieg bei den Parlamentswahlen. In Umfragen liegt die Partei rund 20 Punkte vor den Konservativen. Nach den Skandalen unter Johnson und den Irrwegen von Liz Truss ist es Sunak nicht gelungen, das Image seiner Partei zu verbessern, während die Bevölkerung unter der hohen Inflation und den Mängeln im Gesundheitswesen leidet. Der politische Schock dieser Wahl dürfte noch eine Weile andauern und Sunak nicht eben das Leben erleichtern.“ So weit LA VANGUARDIA aus Barcelona.
Nun nach Georgien. Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz notiert: "Vordergründig geht es bei dem Vorhaben der Regierungspartei 'Georgischer Traum' um ein Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen und Medien mit mindestens 20 Prozent ausländischer Finanzierung dazu zwingen soll, sich als 'Agenten ausländischen Einflusses' zu registrieren und ihre Bücher offenzulegen. Im Grunde geht es aber um viel mehr: Es geht um die Frage, ob Georgien sich gerade vom lange erträumten europäischen Weg abwendet und sich der Achse der Autoritären annähert. Wie Russlands Präsident Putin beruft sich auch der Georgische Traum darauf, mit der Beschwörung 'traditioneller Werte' und dem Kreieren von Feindbildern die Souveränität des Landes zu schützen. Das Gesetz wird aber die Freiheitsrechte einschränken und ein stickiges gesellschaftliches Klima schaffen, das dem Machterhalt dient", stellt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG klar.
"Georgien ist nur noch einen Schritt vom Abgrund entfernt", titelt die polnische RZECZPOSPOLITA und erläutert: "Offenbar ist auf dem Weg Georgiens Richtung Integration des Landes in die EU und die NATO etwas schief gelaufen. Es scheint, dass die herrschenden Eliten in Tiflis das Vertrauen in das Nordatlantische Bündnis verloren haben. Alles begann 2008 beim NATO-Gipfel in Bukarest, als die Vertreter Georgiens und der Ukraine in ihre Hauptstädte zurückkehrten, ohne zu einem NATO-Beitritt eingeladen worden zu sein. Einige Monate später verlor Georgien nach einem mehrtägigen Krieg mit Russland Abchasien und Südossetien. Damals kam den Georgiern niemand zur Hilfe. Angesichts der seit über zwei Jahren andauernden russischen Aggression am Dnjepr und der zerstörten ukrainischen Städte fragen sich viele georgische Politiker nun: Was wäre geschehen, wenn Russland bei uns einmarschiert wäre? Wäre uns die NATO zu Hilfe gekommen? Die Antwort liegt auf der Hand. Daher der Versuch der Regierung, die Beziehungen zu Moskau nicht eskalieren zu lassen", beobachtet die Warschauer RZECZPOSPOLITA.
Die finnische Zeitung HELSINGIN SANOMAT sieht es so: "Die Regierung zog den Gesetzentwurf schon einmal wegen Protesten zurück, scheint aber dieses Mal bereit zu sein, das Projekt durchzuziehen und den Widerstand mit Gewalt niederknüppeln zu lassen. Allzu überraschend kommt das alles leider nicht. Die Regierungspartei 'Georgischer Traum', die von dem Oligarchen Ivanischwili gegründet wurde, ist in den vergangenen Jahren immer autoritärer geworden. Ihr Ziel ist es, mit diesem Gesetz liberale und EU-freundliche Akteure und die Zivilgesellschaft als Agenten zu brandmarken. Die Partei möchte um jeden Preis an der Macht bleiben, während Russland versucht, Einfluss auf Georgien zu nehmen. Die EU befindet sich folglich im Wettlauf mit Moskau um die Zukunft Georgiens", beobachtet HELSINGIN SANOMAT aus Helsinki.
Hören Sie nun noch Kommentare zu den pro-palästinensischen Protesten an Universitäten in den USA. Die brasilianische Zeitung O GLOBO merkt an: "Die US-Universitäten scheinen unfähig, mit der gegen Israel gerichteten Protestwelle fertig zu werden und einen Kompromiss zwischen zwei Werten zu finden, die für die akademische Welt essentiell sind: der Schutz von Minderheiten einerseits und die Meinungsfreiheit andererseits. Zu den Zielscheiben der Aktionen gehört inzwischen auch US-Präsident Biden wegen seiner Unterstützung für Israel. Proteste gegen das Vorgehen von Israel in Gaza sind von der Meinungsfreiheit gedeckt, nicht aber, wenn sie einen antisemitischen Charakter erhalten und Juden verfolgt oder eingeschüchtert werden", heißt es in O GLOBO aus Rio de Janeiro.
Die türkische Zeitung YENI ŞAFAK aus Istanbul wirft ein: "Diese Protestwelle ist vergleichbar mit den Vietnam-Demonstrationen. Dieses Aufbegehren der Studenten gegen den Druck der Universitätsverwaltungen ist eine hoffnungsvolle Entwicklung im Hinblick auf den universitären Auftrag. Es zeigt, dass die Einhaltung aller universalen, wissenschaftlichen und humanistischen Werte nicht so einfach beiseitegeschoben werden können."
Im Gastkommentar der taiwanesischen Zeitung LIANHE BAO aus Taipeh ist zu lesen: "Jetzt kann man nur hoffen, dass die Auseinandersetzungen der beiden Lager auf die Hochschulen beschränkt bleiben. Bei einem möglichen Ausufern könnten sie zu einem Stolperstein für die Biden-Regierung werden."
Die arabischsprachige Zeitung AL QUDS meint: "Angesichts des israelischen Vorgehens im Gazastreifen nehmen die Proteste nicht nur an amerikanischen, sondern auch an vielen Universitäten anderer westlicher Länder zu. Diese Entwicklung läuft darauf hinaus, dass Israel für die USA zu einer schweren Belastung werden wird." Das war zum Ende der internationalen Presseschau AL QUDS aus London.