24. Mai 2024
Die internationale Presseschau

Mit Stimmen zum Kriegsverlauf in der Ukraine sowie zu einem möglichen Rechtsruck bei den Europawahlen. Zunächst geht es aber um Chinas Militärübungen in unmittelbarer Nähe Taiwans.

Nahaufnahme einer Karte, auf der Taiwan vor dem chinesischen Festland abgebildet ist.
Mit einer großangelegten Militärübung um Taiwan herum warnt China den Inselstaat davor, eine formelle Unabhängigkeit anzustreben. (imago / YAY Images / mtkang)
Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN erläutert in einem Gastkommentar: "Das Militärmanöver ist eindeutig eine chinesische Antwort auf die Antrittsrede des neuen Präsidenten Taiwans, Lai. Aus Sicht der kommunistischen Führung in Peking war die Rede offenbar viel schlimmer als erwartet. Für das Manöver hatte das chinesische Militär verschiedene Optionen vorbereitet, von denen nun eine besonders bedrohliche ausgewählt wurde. Es ist zu befürchten, dass sich die Beziehungen zwischen China und Taiwan weiter verschlimmern", notiert ASAHI SHIMBUN aus Tokio.
In der chinesischen Staatszeitung CHINA DAILY ist zu lesen: "Als bekennender radikaler Sezessionist wird Taiwans neuer Präsident Lai gewusst haben, wie provokant seine Antrittsrede war. Er ist dafür verantwortlich, dass Peking Entschlossenheit signalisieren muss, die Souveränität und territoriale Integrität notfalls mit Gewalt zu schützen. Die Maßnahmen, die Peking ergreift, stehen im Einklang mit der internationalen Praxis und dem internationalen Recht. Peking hofft wie alle anderen, die Wiedervereinigung des Mutterlandes mit friedlichen Mitteln zu erreichen", behauptet die Zeitung CHINA DAILY, die in Peking erscheint.
Die Zeitung TAIPEI TIMES aus Taiwan kommt zu einer gänzlich anderen Bewertung: "Nach Lais Amtsantritt bezeichnete Peking ihn wenig überraschend als 'gefährlichen Separatisten' und nannte seine Rede 'ein Bekenntnis zur taiwanesischen Unabhängigkeit'. Dabei stellte der Präsident keine neue Forderungen an China. Als gewählter Anführer von 24 Millionen Taiwanern versprach er lediglich, 'weder nachzugeben noch zu provozieren', sondern den Frieden mit China und den Dialog zu suchen. Die Volksrepublik China sollte die Fakten und diesen guten Willen anerkennen und nicht einseitig den 'Status quo' ändern, um den Frieden in der Taiwanstraße und in der Welt zu gefährden", fordert die Zeitung TAIPEI TIMES.
LIANHE BAO - ebenfalls aus Taiwan - ist alarmiert: "Die Chinesen meinen es ernst mit ihrer Drohung, Taiwan militärisch zu erobern. Erstmals erstreckt sich das Militärmanöver auf die Gesamtfläche Taiwans. Nicht nur die Haupinsel ist im Visier, sondern auch die weit entfernten Inselgruppen. Taiwan befindet sich im Würgegriff der Chinesen. Die derzeit größte Gefahr besteht jedoch darin, dass den Taiwanern selbst dieses drohende Unheil nicht bewusst ist", meint LIANHE BAO aus Taipeh.
"Was bezweckt Xi Jinping mit dem Militärmanöver, das Taiwan einkreist?", fragt sich der italienische Zeitung CORRIERE DELLA SERA und analysiert: "In der Propaganda wird ein politisches Ziel genannt: die Bestrafung des neuen Präsidenten Lai, der als Verräter bezeichnet wird. In Wirklichkeit schwingt Xi derzeit vor allem den Säbel, um es den USA und ihren Verbündeten in Europa und im Pazifik zu zeigen. Im Grunde beschwört er das Schreckgespenst einer dritten Front neben der Ukraine und dem Nahen Osten herauf. Eine Aussicht, von der Xi hofft, dass sie das westliche Lager einschüchtern, spalten und lähmen wird", führt CORRIERE DELLA SERA aus Mailand aus.
"China umzingelt seine 'abtrünnige Provinz' mit massiven Militärkräften und stößt massive Drohungen aus. Man soll das ernst nehmen", mahnt DER STANDARD aus Wien. "Der chinesische Alleinherrscher Xi Jinping hat x-mal die 'Heimholung' des demokratisch regierten Taiwan angekündigt. Genauso wie der russische Alleinherrscher Wladimir Putin vor seinem Überfall auf die Ukraine deren 'Heimholung' angekündigt hatte. Xi Jinping will das unbedingt noch erreichen. Die Krise um Taiwan ist mindestens so gefährlich wie die um die Ukraine."
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz befasst sich mit dem aktuellen Kriegsverlauf in der Ukraine und bemerkt: "Endlich fließen seit einigen Wochen wieder amerikanische Waffen in die Ukraine. Doch die Lieferungen sind mit einer gravierenden Einschränkung verknüpft: Seit Kriegsbeginn verlangen die USA und Verbündete wie Frankreich und Deutschland, dass Kiew westliche Rüstungsgüter nur für Ziele innerhalb der Ukraine einsetzt. Mit anderen Worten, die Ukrainer dürfen die Invasoren an der Front und im besetzten Hinterland bekämpfen, nicht aber in den Aufmarschgebieten auf russischem Staatsgebiet. Diese politische 'Fessel' war immer fragwürdig, doch in der jetzigen Kriegsphase erweist sie sich als absurd. Sie sollte deshalb auch im westlichen Interesse gelockert werden", folgert die NZZ.
"Die roten Linien des Westens haben sich während des Krieges regelmäßig verschoben", erinnert die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT: "Das scheint sich jetzt zu wiederholen. Ukrainische Bitten, US-Waffen auch für Angriffe auf militärische Ziele jenseits der Grenze zuzulassen, waren bisher auf taube Ohren gestoßen. Doch nach seinem jüngsten Besuch in Kiew hat US-Außenminister Antony Blinken seine Meinung geändert. Auch im US-Kongress werden Stimmen laut, diese restriktive Maßnahme aufzuheben. Bewegung gibt es auch in anderen Bereichen. So liefern die USA jetzt Raketen, mit denen die gesamte Krim getroffen werden kann. Und seit der französische Präsident Emmanuel Macron öffentliche Erklärungen abgegeben hat, wonach er die Entsendung von Truppen in die Ukraine nicht ausschließt, gewinnt das Konzept der 'strategischen Ambiguität' auch in anderen europäischen Ländern an Boden", vermerkt DE VOLKSKRANT aus Amsterdam.
Themenwechsel. Zum 75. Jubiläum des deutschen Grundgesetzes schreibt die RZECZPOSPOLITA aus Polen: "Vor 75 Jahren, in der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 1949, wurde das demokratische Deutschland mit einer neuen liberalen Verfassung geboren. Nach dem Sturz des Sowjetimperiums absorbierte sie den undemokratischen Teil Deutschlands. Ein geeintes Land ohne Großmacht- oder Militärambitionen steuerte das EU-Integrationsprojekt von der hinteren Bank aus. Heute ist die vierte Generation der in der Demokratie aufgewachsenen Deutschen mit einem neuen Populismus konfrontiert. Selbst ein Verbot der AfD würde deren Wähler nicht verschwinden lassen, die Angst vor sozialem Abstieg, Krieg und unkontrollierter Migration haben. Nur wenn diese Ängste reduziert werden, kann die deutsche Demokratie vor einer inneren Erosion bewahrt werden", befindet die Zeitung RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN blickt mit Sorge auf das Erstarken rechtsextremer Parteien in Deutschland und anderen europäischen Ländern: "Schon jetzt ist zu erkennen, dass sich die europäische Gesellschaft verändert. Rassistische Meinungen werden nicht mehr versteckt, sondern offen und ohne zu Zögern ausgesprochen. Europa hat sich lange als moralische Führungsmacht in der Welt gesehen und von autoritären Staaten die Einhaltung von Menschenrechten und Demokratie eingefordert. Sollte das Europa der Vielfalt und Toleranz ins Wanken geraten, würde ein Vereintes Europa von Grund auf gefährdet. Jetzt ist die Moral der europäischen Wähler gefragt", betont NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
In einem Gastkommentar unterstreicht die US-amerikanische Zeitung NEW YORK TIMES mit Blick auf bevorstehende Wahlen: "In Europa erzielen die Populisten große Zugewinne, nicht nur bei den alten und desillusionierten, sondern auch bei den jungen Menschen. Dem EU-Parlament steht ein Rechtsruck bevor, der die derzeitige Politik in Sachen Klimawandel und Ukraine gefährden könnte. Und dann ist da natürlich noch der leichte, aber stetige Vorsprung von Donald Trump in den Umfragen zur US-Präsidentschaftswahl. Vieles deutet daraufhin, dass wir uns in einem dieser bedeutenden Jahre der Weltgeschichte befinden wie 1848 oder 1989. Nur das diese Jahre für die weltweite Ausbreitung von Freiheit und Demokratie stehen. 2024 werden wir wahrscheinlich das Gegenteil erleben", befürchtet die NEW YORK TIMES zum Ende der internationalen Presseschau.