30. Mai 2024
Die internationale Presseschau

Kommentiert wird die Lage in Georgien nach der Verabschiedung eines Gesetzes, mit dem die Behörden gegen regierungskritische Medien und Organisationen vorgehen können. Zudem ist die israelische Militäroffensive im Gazastreifen weiter ein Thema. Doch zunächst geht es um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine.

30.05.2024
Ukraine, Bachmut: Ukrainische Soldaten bereiten einen Mehrfachraketenwerfer vor, um Raketen auf die russischen Stellungen an der Frontlinie in der Nähe von Bachmut abzufeuern.
Ein Thema in den Kommentaren der ausländischen Zeitungen ist die Debatte darüber, ob ukrainische Truppen auch Ziele in Russland angreifen dürfen (Symbolbild). (Roman Chop/AP/dpa)
Die polnische Zeitung GAZETA WYBORCZA erläutert: "Immer mehr NATO-Staaten geben zu: Damit die Ukraine sich wirksam gegen die Angriffe Russlands verteidigen kann, muss sie in der Lage sein, mit westlichen Waffen dort anzugreifen, von wo die Aggression ausgeht – also auf russischem Territorium. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg begann in den letzten Tagen damit, die Verbündeten dazu zu ermutigen, Angriffe tief im russischen Territorium zuzulassen. Frankreichs Präsident Macron zeigte während seines Deutschland-Besuchs Verständnis für größere Verteidigungs-Freiheiten der Ukrainer. Und US-Außenminister Antony Blinken begann nach seinem Besuch in Kiew, Joe Biden davon zu überzeugen, die Beschränkungen für die Verwendung von Langstreckenraketen aufzuheben, was jedoch bisher nicht geschehen ist. Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt weiter zurückhaltend", notiert die GAZETA WYBORCZA aus Warschau.
"Wahrscheinlich hätte Russland den Krieg längst verloren, wenn sich die westlichen Verbündeten der Ukraine nicht selbst allerlei rote Linien verordnet hätten", betont die estnische Zeitung POSTIMEES: "Erst wurden keine Panzer geliefert, dann keine Flugzeuge und keine Langstreckenraketen, und jetzt ist es das Verbot, diese Waffen auch gegen russisches Territorium einzusetzen. Nacheinander wurden diese Beschränkungen alle auch wieder aufgehoben, aber damit ging Zeit verloren. Putin konnte so lange seinen Krieg weiterführen, und die Ukraine zahlt dafür einen hohen Preis. Begründet wurden die Beschränkungen damit, dass der Konflikt nicht eskalieren solle, und aus der Angst vor russischen Atomwaffen. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Lage gar nicht weiter eskalieren kann, weil sich Russland ohnehin keinerlei Grenzen gesetzt hat und ein Atomschlag dem Kreml überhaupt nichts nützen würde", argumentiert POSTIMEES aus Tallinn.
Die aserbaidschanische Zeitung MÜSAVAT aus Baku mahnt: "Sollte Kiew tatsächlich von dieser Erlaubnis Gebrauch machen, wird der Kreml zu dem Schluss kommen, dass die NATO Russland inoffiziell den Krieg erklärt hat. Wenn intensive Militärschläge der ukrainischen Armee mit der Zerstörung russischer Infrastruktur und massiven Opfern unter der lokalen Bevölkerung einhergehen, wäre eine aggressive Reaktion des Kremls unvermeidlich. Das heißt, dass Russland in diesem Fall zweifellos Raketenangriffe auf die Länder starten wird, die die Ukraine unterstützen. Das bedeutet, dass der Krieg in der Ukraine nicht nur auf Russland, sondern auch auf Europa übergreifen kann. In jedem Fall ist dann ein globaler Krieg zwischen Russland und der NATO unvermeidlich", vermutet MÜSAVAT.
Die kroatische Zeitung JUTARNJI LIST aus Zagreb gibt zu bedenken: "In dem Gebiet, das westliche Waffen in Russland erreichen könnten, befinden sich Treibstofflager, Waffendepots, Kasernen, Flughorste und andere wichtige militärische Infrastruktur. Die Erlaubnis, dass die Ukraine westliche Waffen in Russland nutzen darf, würde wahrscheinlich die Effektivität der russischen Militäroperation in der Ukraine vermindern. Es darf aber bezweifelt werden, dass sich dadurch das Kräfteverhältnis verändert, solange die Ukraine nicht Probleme wie den Mangel an Munition und Soldaten löst", ist sich JUTARNJI LIST sicher.
Die italienische Zeitung LA STAMPA aus Turin kritisiert, Russland habe eine Strategie, der Westen dagegen nicht: "Die EU und die NATO verteidigen sich oder helfen den Ukrainern, sich selbst zu verteidigen. Aber sie wissen nicht, wie sie den Krieg beenden können. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder mit einem militärischen Sieg und der Rückeroberung der ukrainischen Gebiete - ein heute unrealistisches Szenario. Oder durch diplomatisches Handeln - ein Szenario, das es heute auch nicht gibt. Dennoch ist es unerlässlich, darüber nachzudenken und Kiew weiterhin bei der Verteidigung zu unterstützen", betont LA STAMPA.
Die japanische Zeitung YOMIURI SHIMBUN spricht sich dafür aus, russische Gelder für die Ukraine-Hilfe zu nutzen: "Moskau muss für den völkerrechtswidrigen Invasionskrieg in der Ukraine haften. Ein Weg könnte sein, eingefrorenes russisches Vermögen für die Ukraine-Hilfe zu verwenden. Zwei Drittel davon liegt in den EU-Staaten. Als Gewinn aus Zinsen werden gut 3 Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt. Aber dies ist nicht genug. Daher ist es richtig, dass die G7-Staaten nun eine Initiative ergreifen, um einen Rahmen zu schaffen, diesen Betrag zu erhöhen", schreibt YOMIURI SHIMBUN aus Tokio.
Themenwechsel. Die schwedische Zeitung SVENSKA DAGBLADET geht ein auf die Stimmung in Georgien: "Das Parlament in Tiflis hat gerade abschließend über das sogenannte russische Gesetz abgestimmt, das dem Staat weitreichende Befugnisse bei der Kontrolle der Zivilgesellschaft einräumt. Die gleiche Methode nutzte bereits Putin, um die russische Opposition zum Schweigen zu bringen. Zehntausende Georgier protestierten wochenlang gegen dieses Gesetz, weil sie dadurch ihren Weg in die EU und in die NATO bedroht sehen. Die letzte Chance für eine Umkehr dieser Entwicklung könnten die Wahlen im Oktober sein, aber dafür müssen sie frei sein - und das hängt nicht zuletzt von der übrigen Welt ab", hebt SVENSKA DAGBLADET aus Stockholm hervor.
Die finnische Zeitung HELSINGIN SANOMAT aus Helsinki meint, der Parlamentsbeschluss bedeute einen "Rückschritt für Georgiens Westintegration, die von einer klaren Mehrheit der Bürger unterstützt wird. Der offensichtliche Zweck des Gesetzes besteht darin, liberale Akteure der Zivilgesellschaft als ausländische Agenten zu diffamieren, denn sie sind in der Regel auf Unterstützung aus dem Westen angewiesen. Vermutlich versucht die Regierung, ihre Position weiter zu festigen, damit sich bei den Wahlen im Herbst die Machtverhältnisse nicht ändern. Die EU muss darauf jetzt streng reagieren. Sie hat Georgien den Status eines Beitrittskandidaten verliehen, und das lässt sich mit einer solchen Entwicklung nicht in Einklang bringen. Aber man sollte dabei auch nicht vergessen, dass es die Georgier auch schon früher geschafft haben, autoritäre Führer wieder loszuwerden", unterstreicht HELSINGIN SANOMAT.
Nun noch Stimmen zur andauernden israelischen Militäroffensive im Gazastreifen. Die portugiesische Zeitung PÚBLICO aus Lissabon führt aus: "Es gab eine Zeit, in der es noch Sinn machte, die Grenzen der Ethik zu erweitern, um den Vergeltungsschlag gegen ein Gebiet zu rechtfertigen, das von Hamas-Terroristen kontrolliert wurde. Es gab einen Moment des Zweifels. All das ist nun vorbei. Was heute in Gaza geschieht, gibt uns die gleiche Gewissheit, die wir etwa in Srebrenica, Butscha oder bei den Schrecken von ethnischen Säuberungen in Ruanda oder Birma hatten: Israel ist zu einem terroristischen Staat geworden, der den Weltfrieden, die Menschenrechte und die Werte der Demokratie bedroht. Der Westen hat sich stets dazu veranlasst gesehen, den Barbaren Grenzen zu setzen. Diesmal ist das nicht der Fall. Die westlichen Demokratien sind somit zu Komplizen geworden", urteilt PÚBLICO.
Die arabischsprachige Zeitung SHARQ AL-AWSAT aus London bewertet die Politik des israelischen Premiers. Diese erweise sich zunehmend als "irrealer Tagtraum, der immer stärker mit der politischen Realität kollidiert. Trotz aller Zerstörung ist es nicht gelungen, die Geiseln zu befreien, ein Umstand, der in Israel für steigenden Unmut sorgt. Der Traum vom 'absoluten Sieg' zerrinnt Netanjahu politisch und militärisch unter den Händen. So muss man feststellen, dass dieser Krieg nicht nur das Leid der Palästinenser, sondern auch das der Israelis vergrößert." Das war zum Ende der internationalen Presseschau SHARQ AL-AWSAT.