05. August 2024
Die internationale Presseschau

Themen sind die teils rechtsextremen Krawalle in Großbritannien sowie die Proteste gegen die extrem hohen Lebenshaltungskosten in Nigeria. Zunächst aber zur Lage im Nahen Osten, wo der Iran Israel nach der Tötung von Hamas-Chef Hanija mit Vergeltung droht.

Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, gibt im Bundeskanzleramt eine Pressekonferenz.
Israels Premier Netanjahu (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
"Teheran abzuschrecken scheint gescheitert", konstatiert die türkische Zeitung DUVAR. "Damit gewinnen die militärischen, politischen und diplomatischen Bemühungen an Gewicht, die Vergeltungsschläge zu kalibrieren, ohne einen Krieg auszulösen. Netanjahu ordnete den Anschlag auf Hanija nach seiner Rückkehr aus Washington an. Wenn es ihm gelingt, die USA in einen Krieg mit dem Iran zu verwickeln, hat er sein ultimatives Ziel erreicht. Die Amerikaner versuchen, den Iran von einer Vergeltung abzubringen. Selbst iranische Regierungsbeamte raten, nicht in Netanjahus Falle zu tappen. Ein schneller Waffenstillstand in Gaza könnte die Spirale stoppen. Können die USA dies erreichen? Im Moment warten alle auf die Raketen, an deren Ende ein Weltkrieg stehen könnte", prognostiziert DUVAR aus Istanbul.
Die LIANHE BAO aus Taipeh hat ähnliche Befürchtungen: "Mit dem Näherrücken der Kampfschiffe des US-Militärs erscheint ein Krieg unvermeidbar. Einer der möglichen Gründe für das scharfe Vorgehen Israels könnte der Zusammenschluss der bisher verfeindeten Kräften der Palästinenser sein, den Peking kürzlich vermittelt hat. Außerdem sind die militärischen Schlagkräfte des Irans wohl nicht furchterregend genug für Tel Aviv. Russland und China werden sich da nicht einmischen. Doch die möglichen terroristischen Aktionen seiner arabischen Feinde darf Israel nicht unterschätzen", warnt LIANHE BAO aus Taipeh.
In der chinesischen Zeitung JIEFANG RIBAO aus Schanghai sieht man die iranische Führung in einem "Dilemma zwischen Vergeltung und Zurückhaltung. Denn Teheran will eher keine direkte Konfrontation mit Washington riskieren, geschweige denn sich einen Krieg ins Land holen. Daher ist wohl vom Iran und seinen Verbündeten nicht mehr als eine militärische Aktion in größerem Umfang als im April zu erwarten."
Die panarabische Zeitung SHARQ AL-AWSAT schreibt: "Es scheint, als wolle Netanjahu die internationale Aufmerksamkeit auf den Iran, dessen Rolle in der Region und dessen Atomprogramm lenken, um von der Frage eines Waffenstillstands in Gaza, der Siedlungspolitik und dem palästinensischen Anspruch auf einen eigenen Staat abzulenken. Nun lebt der Nahe Osten in Erwartung eines Angriffs. Die Situation ist furchtbar: Regierungen sind verunsichert, Armeen sind nervös und in Alarmbereitschaft, ebenso auch amerikanische Stützpunkte und Kriegsschiffe. Die Region hat unendlich schwierige Tage vor sich", mahnt die Zeitung SHARQ AL-AWSAT, die in London erscheint.
Die spanische Zeitung EL PERIODICO DE CATALUNYA zeigt sich ernüchtert: "Die internationale Gemeinschaft scheint unfähig, die Verhandlungen über eine Waffenruhe in Gaza zum Erfolg zu führen. Der Krieg dort dauert nun schon fast zehn Monate, und nun droht eine Ausweitung des Konflikts auf die ganze Region. Die Schläge gegen Hanija und gegen einen Hisbollah-Führer haben die radikalen Vertreter von Hamas und Hisbollah eher gestärkt, und in Israel fordern Netanjahus ultrarechte Regierungspartner unablässig, an dem Ziel einer Vernichtung der Hamas festzuhalten. Bislang hat sich dieses Ziel allerdings als unerreichbar herausgestellt, und die Hamas erhält durch den Krieg ständig neue Märtyrer und weiteren Zulauf. Es ist wirklich paradox, dass bislang ausgerechnet die Hamas von dem Krieg profitiert. So kann sie ihren Anspruch aufrechterhalten, bei der Beendigung des Konflikts eine zentrale Rolle einzunehmen - statt für ihren Terrorangriff auf Israel zur Rechenschaft gezogen zu werden", vermerkt EL PERIODICO DE CATALUNYA aus Barcelona.
Themenwechsel. In Großbritannien hat es nach dem gewaltsamen Tod dreier Kinder teils rechtsextreme Krawalle gegeben. Hintergrund sind Falschnachrichten, wonach der Täter Asylbewerber sei. Der österreichische STANDARD schreibt: "Gerade in Großbritannien haben die abgewählten Tories mit ihren Plänen für Auslagerungen nach Ruanda oder mit der Unterbringung von Asylwerbern auf Schiffen eine menschenrechtlich besonders fragwürdige Politik verfolgt, die sie mit abschätziger Rhetorik gegenüber Migranten immer wieder propagierten. Experten machen schon länger darauf aufmerksam, wie sehr sich solche Maßnahmen auf das Klima im Inneren auswirken. Nur wenig deutet derzeit darauf hin, dass Europa zeitnah eine umfassende, funktionierende Asyl- und Migrationspolitik auf die Beine stellt. Umso wichtiger ist, dass die neue Labour-Regierung den Randalierern klare Grenzen setzt. Und in Sachen Migration eine neue Rhetorik nutzt, die weniger auf Hass und mehr auf Humanität setzt", unterstreicht DER STANDARD aus Wien.
Die belgische Zeitung DE STANDAARD aus Brüssel merkt an: "Soziale Medien spielen in solchen Fällen eine üble Rolle, aber X und Telegram sind nicht die einzigen Schuldigen an der zunehmenden Gewalt. Das Vereinigte Königreich befindet sich in einem miserablen Zustand: lange Wartelisten im Gesundheitswesen, hohe Arbeitslosigkeit, Hunderte von Schulen, die wegen Einsturzgefahr geschlossen werden mussten. Zudem bedeuteten 14 Jahre Regierung der Konservativen Partei vor allem 14 Jahre Politik gegen Migranten."
Die japanische Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN beobachtet: "Auch in Großbritannien ist der gefährliche Trend längst verbreitet, Schuld für die schwache Wirtschaft den Einwanderern in die Schuhe zu schieben. Die gegenüber Einwanderung eher tolerante Labour-Partei hat nach ihrem Wahlsieg die Abschiebepläne nach Ruanda gestoppt und stattdessen versprochen, hart gegen die Schleuserbanden des Ärmelkanals vorzugehen. Allerdings konnte Premier Starmer bisher keine konkreten Maßnahmen vorweisen. Für jene Bevölkerung, die Einwanderung skeptisch sieht, reicht das nicht - und ihre Unzufriedenheit wächst. Die Flitterwochen, in denen der neue Premier gefeiert wurde, scheinen vorbei zu sein", vermerkt NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio.
Der britische GUARDIAN ist zuversichtlicher und meint: "Einer der dümmsten Spitznamen, den die Tories dem Labour-Chef anzuhängen versuchten, war 'Sir Softie'. Jedem, der Starmers Bilanz als Leiter der Staatsanwaltschaft kennt, war klar, dass er eine extrem harte Linie gegenüber gewalttätigen Unruhen verfolgen würde. So rief er hochrangige Polizeiführer in die Downing Street, um ihnen mitzuteilen, dass er die volle Härte des Gesetzes erwarte. Unter anderem wird nun die Bewegungsfreiheit von Rädelsführern und Straftätern eingeschränkt - ein ähnliches Vorgehen wie beim organisierten Fußball-Hooliganismus. Es hat ein Problem verringert, das früher in Großbritannien ein großes war", notiert der GUARDIAN aus London.
Zum Schluss ein Blick nach Nigeria, wo Hunderte Menschen bei Protesten gegen hohe Lebenshaltungskosten festgenommen worden sind. Die nigerianische Zeitung VANGUARD schreibt zu Dialogapellen seitens der politischen Führung: "Wenn man die Erklärungen nigerianischer Politiker hört, könnte man fast meinen, sie sprächen für das Volk. In Wirklichkeit kann keiner der wohlgenährten Führer behaupten, für Millionen von Menschen zu sprechen, die jeden Tag fast verhungern. Eines ist sicher: Der allgegenwärtige Hunger, die Unsicherheit, der Mangel an fast allem und die steigende Inflation werden die nigerianische Wirtschaft für mehr als zwei Jahre dominieren. Die geringe Erdölförderung und -exporte schränken die wirtschaftliche Entwicklung ein und zwingen die Regierung, mehr Kredite aufzunehmen. Auch die Korruption ist nach wie vor hoch. So wird der Hunger ein Problem bleiben. Im Moment sind die Demonstranten und die Regierungen wie zwei Gruppen Gehörloser, die sich anschreien. Die einzige Lösung ist, die Zeit zu verkürzen, bis arme Nigerianer wieder zwei Mahlzeiten am Tag haben."