13. September 2024
Die internationale Presseschau

Heute mit Stimmen zur Entscheidung der Europäischen Zentralbank, den Leitzins um weitere 0,25 Prozent zu senken, sowie zur Verschärfung der Asyl- und Sicherheitspolitik in Deutschland.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde steht auf einer Bühne und spricht.
Die EZB hat unter Präsidentin Christine Lagarde eine weitere Zinssenkung beschlossen (Archivbild). (picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt)
Die Ankündigung der EZB zum Leitzins bezeichnet der österreichische STANDARD als eine "gute Nachricht": "Auch wenn es rund ein Jahr dauert, bis sich Änderungen im Zinsniveau auf das Wachstum niederschlagen, sollte der Zinsschritt als Signal an Unternehmen dienen, dass sich neue Investitionen wieder lohnen. Vor allem die marode Baubranche kann von günstigeren Krediten profitieren. Es wird auch nicht die letzte Senkung gewesen sein. Da sich die Inflation allmählich der Zielmarke von zwei Prozent nähert, ist ein Leitzinssatz von 3,5 Prozent weiterhin recht hoch. Da ist noch Luft nach unten. Mit der Entwicklung des Preisniveaus kann die EZB ganz zufrieden sein. Zwar soll es nach ihren Prognosen noch mehr als ein Jahr dauern, bis die Zweiprozentmarke tatsächlich erreicht wird, aber die Inflation hat sich weniger tief in die Erwartungen der Unternehmer und Verbraucherinnen hineingefressen als befürchtet – und konnte dadurch relativ rasch wieder eingedämmt werden", betont der STANDARD aus Wien.
Die spanische Zeitung EL PAIS notiert: "Dass die EZB schon zum zweiten Mal in diesem Jahr den Leitzins gesenkt hat, zeigt nur, dass sie den Geldpreis zu lange zu hoch gehalten hat. Angesichts einer steigenden Inflationsrate und sinkenden Wachstums will die EZB erst einmal keine Prognosen machen, wie sie in den kommenden Monaten vorgehen will. Es könnte sein, dass sie sich auch von der US-Notenbank FED beeinflussen lassen wird, die vermutlich in Kürze eine Leitzinssenkung plant. Doch die wirtschaftliche Lage auf beiden Seiten des Atlantiks unterscheidet sich erheblich voneinander, denn in den USA liegt das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts deutlich höher als in der Eurozone. Das spricht gegen ähnliche Entscheidungen der beiden Zentralbanken", schlussfolgert EL PAIS aus Madrid.
"Die unruhigen Zeiten, in denen die Inflation über zehn Prozent lag, sind vorbei", stellt der Schweizer TAGES-ANZEIGER fest: "Dennoch haben die Ereignisse der vergangenen Jahre das öffentliche Bild und auch das Selbstverständnis der Notenbank verändert. Menschen mit geringen Einkommen haben am stärksten unter den seit 2021 steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen gelitten. Auch wenn die Inflation nun sinkt, bleiben diese Preiserhöhungen für Brot, Käse und Benzin bestehen. Man merkt es jeden Tag beim Einkauf. Längst nicht alle Erwerbstätigen erhielten als Ausgleich entsprechende Lohnerhöhungen", unterstreicht der TAGES-ANZEIGER aus Zürich.
Nun noch ein Blick in die japanische Tageszeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN. Darin heißt es: "Die Märkte interessieren sich nun dafür, ob die EZB im Oktober erneut ihre Leitzinsen senken wird. Im Vergleich zur Euro-Schuldenkrise, bei der die Zentralbank mit der Lockerung ihrer Geldpolitik lediglich für die Konjunktur-Belebung oder die Stabilisierung der Märkte sorgen musste, haben diesjährige Zinssenkungen besondere Schwierigkeiten: Die Eindämmung der Inflation hat zwar höchste Priorität, aber danach wird die Phase kommen, in der auf eine stabile Konjunktur Rücksicht genommen werden muss", ist NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio überzeugt.
Zum nächsten Thema. Die dänische Zeitung POLITIKEN befasst sich mit der Verschärfung der Asylpolitik in Deutschland, insbesondere der Ankündigung neuer Grenzkontrollen: "Deutschland will ab Montag wieder Kontrollen an den Grenzen zu allen Nachbarstaaten durchführen und hat mit dieser Entscheidung Schockwellen in der ganzen EU ausgelöst. Eine solche Maßnahme wird als heftiges politisches Signal aufgefasst, erst recht, wenn sie von Deutschland kommt und viele Grenzpendler betrifft. Während Polen und Österreich toben, spenden rechtsnationale Regierungen in den Niederlanden, Ungarn und Italien Beifall. Bundesinnenministerin Faeser prahlt damit, dass man bei Stichprobenkontrollen zehntausende Migranten an der deutschen Ostgrenze aufgehalten habe, und diese Zahl dürfte ab Montag weiter steigen", erwartetet POLITIKEN aus Kopenhagen.
Die niederländische Zeitung TROUW erinnert daran, dass bereits seit dem Bürgerkrieg in Syrien entlang nationaler Grenzen Zäune errichtet und vor allem in Mitteleuropa Passkontrollen wieder alltäglich wurden: "Doch der Schritt, den die Bundesregierung nun unternimmt - Kontrollen auf der gesamten Grenzlänge von immerhin 3.700 Kilometern - geht viel weiter. Zudem widerspricht er der europäischen Idee, die seit Jahrzehnten von niemandem mit so viel Enthusiasmus propagiert wurde wie von der Regierung in Berlin. Die Begründung für generelle Grenzkontrollen gibt zu denken. Sie seien notwendig, um illegale Einwanderung, den radikal-islamischen Terrorismus und die internationale Kriminalität zu bekämpfen, heißt es in Berlin. Oder handelt es sich hier nur um politische Panik?", fragt TROUW aus Amsterdam.
Der britische GUARDIAN kritisiert: "Der Glaube der deutschen Regierung, dass sie durch verstärkte Grenzkontrollen die Migration in den Griff bekommen und ihre Wählerstimmen zurückgewinnen kann, ist ein Irrglaube. Die deutsche Regierung schürt nicht nur rassistische Ressentiments in der Gesellschaft und untergräbt die Rechte gefährdeter Gruppen, sondern gefährdet auch die EU selbst. Die Idee einer politischen Gemeinschaft, in der das Recht auf Freizügigkeit über die Grenzen hinweg verankert ist, zerbröckelt vor unseren Augen. Und daran sind nicht die Migranten schuld." Sie hörten einen Kommentar des GUARDIAN aus London.
"Der deutsche Bescheid riskiert, die gesamte Schengen-Zusammenarbeit auf die Probe zu stellen", warnt die schwedische Tageszeitung SYDSVENSKAN: "Kontrollen sollten nicht die Regel, sondern eine Ausnahme sein. EU-Mitgliedsländer scheinen das aber auf die leichte Schulter zu nehmen. Hier sollte die EU-Kommission ein Machtwort sprechen, damit die Zusammenarbeit nicht richtig ins Wanken gerät", verlangt SYDSVENSKANus Malmö.
Die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA blickt auf die Reaktionen in den Nachbarländern: "Die Christdemokraten schlagen vor, Flüchtlinge überhaupt nicht mehr nach Deutschland zu lassen, sondern sie in die Länder zurückzuschicken, in denen sie ursprünglich angekommen sind - was den EU-Staaten rund um Deutschland natürlich überhaupt nicht gefällt. So hat Österreich bereits angekündigt, keine Flüchtlinge aufzunehmen, denen die Einreise nach Deutschland verweigert wird. Und der polnische Premierminister Donald Tusk bezeichnete die deutschen Migrationsinnovationen als 'völlig inakzeptabel'", erinnert NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau.
Die türkische Zeitung EVRENSEL schreibt von einem "Wettlauf der Flüchtlingsfeindlichkeit" und geht konkret auf CDU-Chef Merz ein: "Sein Vorschlag einer sofortigen Abschiebung an der Grenze entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Es ist ein eklatanter Verstoß gegen geltendes Recht. Merz dreht das Ruder immer weiter in Richtung Flüchtlingsfeindlichkeit. Er will der AfD und dem BSW Stimmen wegnehmen. Man muss kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass diese harte Oppositionspolitik der AfD mehr nützen wird als der CDU. Denn die Wähler ziehen bekanntlich das Original der Fälschung vor", prophezeit EVRENSEL aus Istanbul.
Zum Schluss ein Gastkommentar aus der französischen Zeitung LE MONDE. Darin ist zu lesen: "Die Reihe von Ankündigungen beendet das Gleichgewicht, das Bundeskanzler Scholz zuvor zu fördern versucht hatte, indem er einerseits die Einbürgerung erleichterte und den Aufenthalt vereinfachte, andererseits aber mehr Abschiebungen forderte. Sie verschiebt das Pendel in Richtung eines stärkeren Rückzugs Deutschlands nach innen. Wäre eine offenere Debatte über den Erfolg der Einwanderung unter Einbindung der Gesellschaft geführt worden, würden wir heute vielleicht nicht einen abrupten Kurswechsel erleben, der weder völlig glaubwürdig noch realistisch erscheint und zudem dazu führt, dass die extreme Rechte gestärkt wird", meint LE MONDE aus Paris. Und damit endet die internationale Presseschau.