
Dazu führt die Zeitung HAARETZ aus Tel Aviv aus: "Die Freude über die Tötung Sinwars darf den Fokus nicht von den 101 Geiseln ablenken, die immer noch in der Gewalt der Hamas sind. Etwa die Hälfte von ihnen dürfte noch am Leben sein. Jetzt ist der Moment gekommen, alle Anstrengungen darauf zu richten, die Menschen zurückzuholen. Sie können noch gerettet werden. Nichts ist berechtigter als die Forderung der Geiselfamilien, die - Zitat - 'militärischen Errungenschaften für einen sofortigen Deal zu nutzen.' Jeder Israeli sollte sich ihr anschließen und von der Regierung unter Premierminister Netanjahu verlangen, eine Einigung zu erzielen, um die Geiseln unverzüglich nach Hause zu bringen. Ein Jahr nach dem Angriff vom 7. Oktober ist Israel in Kämpfe an mehreren Fronten verstrickt. Jetzt ist es an der Zeit, den Krieg zu beenden", meint HAARETZ aus Israel.
Das WALL STREET JOURNAL aus New York erläutert: "Die Tötung ist ein angemessenes Maß an Gerechtigkeit für Sinwars lebenslanges Morden. Mit etwas Glück ist sie ein Schritt hin zu einer Waffenruhe in Gaza und einem Ende der Terrorherrschaft der Hamas in dem Gebiet. Mit der Tötung des Hamas-Führers hat Israel eines seiner Hauptkriegsziele erreicht. Sinwar galt als Drahtzieher des Überraschungsangriffs und des Massakers an 1.200 Männern, Frauen und Kindern am 7. Oktober 2023. Es lohnt sich auch, daran zu erinnern, dass US-Präsident Biden Israels Premier Netanjahu und seine Regierung seit Monaten unter Druck setzt, den Krieg in Gaza zu beenden. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Sinwar, Nasrallah und der Rest der Hamas-Hisbollah-Führung noch am Leben wären, wenn Israel dem Druck nachgegeben hätte." So weit das WALL STREET JOURNAL.
Die arabischsprachige Zeitung SHARQ AL-AWSAT ist folgender Meinung: "Durch den Tod Sinwars könnte im Gaza-Krieg ein neues Kapitel beginnen, das weit über den Küstenstreifen hinausreicht. Denn Sinwar war dafür verantwortlich, dass sich dieser verheerende Krieg immer weiter ausbreitete und schließlich auch auf den Libanon übersprang. Israel kann nach den katastrophalen Zerstörungen stolz auf die Tötung seines wichtigsten Feindes in Gaza sein. Doch wie soll es nach dieser Leistung weitergehen? Letztlich braucht es eine politische Lösung, ansonsten wird es zu einer erneuten Explosion der Gewalt kommen", befürchtet SHARQ AL-AWSAT aus London.
"In Israel herrscht eine euphorische Stimmung", heißt es in der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio: "Die Tötung des Hamas-Anführers Sinwar ist für das Land ein denkwürdiger Erfolg im Gaza-Krieg und erscheint für manche Beobachter wohl als große Chance, die Militäroperationen nun erstmal ruhen zu lassen. Israels Angriffe auf Gaza waren begründet durch das 'Selbstverteidigungsrecht'. Weitere Zerstörungen ohne detaillierte Ziele wären nicht mehr zu rechtfertigen."
Die chinesische Zeitung XINJING BAO aus Peking merkt an: "Israels Strategie scheint zu funktionieren: Gezielt wird ein Feind des Landes nach dem anderen getötet. Netanjahu feiert die militärischen Erfolge und bezeichnet den Tod des Hamas-Anführers Sinwar als den 'Anfang vom Ende des Krieges' in Gaza. Ist die Lage wirklich so einfach und die Entwicklung so eindeutig? Sinwars Tod schwächt zweifellos die Hamas. Er bedeutet aber keinesfalls, dass die Hamas ihren Widerstand gegen Israel aufgibt."
Die norwegische Zeitung VERDENS GANG notiert: "Der Nahe Osten steht nach der Tötung von Sinwar an einem Scheideweg, denn Israel hat jetzt sowohl die Hisbollah als auch die Hamas 'enthauptet'. Für Premier Netanjahu bedeutet der Tod von Sinwar, dass er behaupten kann, den Krieg gegen die Hamas gewonnen zu haben. Mit Sinwar sind alle zentralen Anführer tot, die Israel für den schlimmsten Terrorangriff seiner Geschichte im vergangenen Jahr verantwortlich macht. Wenn nun die Waffen schweigen, bietet das auch die Chance für eine Freilassung der israelischen Geiseln, für mehr humanitäre Hilfe und vielleicht sogar für einen Frieden. Der Weg könnte aber auch in eine ganz andere Richtung führen. Nämlich zu einem blutigen Chaos, einer Verlängerung der Besatzung und einem noch schlechteren Verhältnis zur palästinensischen Zivilbevölkerung", gibt VERDENS GANG aus Oslo zu bedenken.
Nun zum EU-Gipfel, auf dem die Migrationspolitik ein wichtiges Thema war. "Stimmt es, dass der Umgang der Europäischen Union mit Migranten und Flüchtlingen der weltweit humanste und zivilisierteste ist?", fragt die Zeitung DIE PRESSE aus Österreich und schreibt: "Im Prinzip ja – wenn man davon absieht, dass Italien seine Neuankömmlinge nach Albanien und die Niederlande ihre nach Uganda verfrachten will; dass Finnland an seiner Grenze zu Russland das Recht auf Asyl suspendiert und Polen seinen Grenzschützern den Gebrauch von Schusswaffen erlaubt hat; dass die EU Milliarden an Warlords, Autokraten und andere Nachbarn überweist, damit sie Migranten von der Reise nach Europa abhalten. Abgesehen von diesen Kleinigkeiten hat die EU in der Tat das menschlichste und zivilisierteste Asylsystem, für das sie weltweit zu Recht beneidet wird." Sie hörten ein Auszug aus der Wiener Zeitung DIE PRESSE.
"Es gibt keine Migrationskrise. Es geht nur um Macht", ist in der polnischen Zeitung RZECZPOSPOLITA zu lesen: "Die Zahl der Menschen, die illegal die Grenzen der EU überqueren, sinkt rapide. Um 42 Prozent ist sie in den ersten neun Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen, berichtete die Grenzschutzagentur Frontex. Die Staats- und Regierungschefs beschäftigen sich auf dem EU-Gipfel ausschließlich aus politischen Gründen mit dem Migrationsthema. Die Europäische Union wurde einst als Organisation zur Verteidigung der Menschenrechte gegründet. Jetzt will sie Vereinbarungen mit brutalen Diktaturen zur De-facto-Inhaftierung von Migranten abschließen, um zu verhindern, dass Menschen vor Armut oder vor den Auswirkungen des Klimawandels fliehen. Mit europäischen Werten hat das wenig zu tun", beobachtet die Warschauer RZECZPOSPOLITA.
Auf dem EU-Gipfel hat der ukrainische Präsident Selenskyj ausgeführt, wie er den russischen Angriffskrieg gegen sein Land gewinnen will. Die dänische Zeitung POLITIKEN erklärt: "Gestern sagte Selenskyj in Brüssel, man könne den Krieg im nächsten Jahr beenden. Das vermittelt das Gefühl, dass es der Ukraine doch noch gelingen kann, Russland zurückzuschlagen und die internationale Rechtsordnung zu verteidigen. Das Problem ist nur, dass der Plan eher ein Wunschzettel ist. So möchte die Ukraine mehr Waffen und die Erlaubnis, den Krieg weiter nach Russland hineinzutragen. Außerdem möchte sie in die NATO aufgenommen werden. Aber zu den Tatsachen gehört, dass die ukrainischen Streitkräfte an der Ostfront auf dem Rückzug sind und es immer schwieriger wird, Männer für den blutigen Krieg zu mobilisieren. Außerdem beruht jede Hoffnung auf einen militärischen Sieg der Ukraine auf der Annahme, dass die USA ihre massive Unterstützung fortsetzen. Europas Sicherheit liegt also noch immer in den Händen amerikanischer Wähler", stellt POLITIKEN aus Kopenhagen fest.
Die estnische Zeitung POSTIMEES sieht es so: "Selenskyjs Plan bietet zum ersten Mal eine geopolitische Perspektive für eine Weltordnung nach dem Krieg. Das ist wichtig, denn trotz aller Rhetorik hat es der Westen bislang nicht geschafft, ein strategisches Ziel seiner Unterstützung der Ukraine zu formulieren. Vermutlich wird Kiew nicht in der Lage sein, alle besetzten Gebiete militärisch zu befreien. Damit droht der Ukraine de facto eine Abspaltung des Ostens, während ihr freier Westen Mitglied der NATO würde wie einst Westdeutschland. Der Plan liefe dann auf eine Art neuen Kalten Krieg hinaus." Das war zum Ende der internationalen Presseschau POSTIMEES aus Tallinn.