24. Februar 2025
Die internationale Presseschau

Im Mittelpunkt auch der internationalen Kommentare steht die Bundestagswahl in Deutschland. Beachtung findet zudem der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der heute vor drei Jahren begann.

Wahllokal in Frankfurt am Main
Wahllokal in Frankfurt am Main (AFP / KIRILL KUDRYAVTSEV)
Doch zunächst ins Inland. Das WALL STREET JOURNAL aus den USA geht von schwierigen Koalitionsverhandlungen aus: "Für eine Regierung muss CDU-Chef Merz eine Koalition mit mindestens einem der Wahlverlierer bilden. Partner könnten die Sozialdemokraten des scheidenden Bundeskanzlers Scholz sein. Es wird eine Herausforderung sein, den künftigen Koalitionspartner davon zu überzeugen, die von den Wählern geforderten Reformen in der Wirtschafts- und Migrationspolitik mitzutragen", prognostiziert das WALL STREET JOURNAL, das in New York herausgegeben wird.
Auf die Wahlsieger CDU und CSU warte nicht nur Champagner, notiert die chinesische Zeitung JIEFANG RIBAO und verweist auf die anstehenden Herausforderungen: "Zu den ersten Hindernissen gehört die Regierungsbildung. Die Prüfsteine sind wirtschaftliche Themen wie die Schuldenbremse und Steuersenkung. Gegenüber dem neuen US-Präsidenten Trump ist der künftige Bundeskanzler Merz für seine härtere Haltung bekannt. Ob er es schafft, Deutschland und Europa aus der Abhängigkeit von den USA in der Sicherheitspolitik zu mehr Selbständigkeit zu führen, bleibt abzuwarten. Im Vergleich zu seinem Amtsvorgänger Scholz wirkt Merz selbstbewusster und entscheidungsfreudiger. Die Rückkehr der Konservativen auf die politische Bühne in Deutschland könnte zur Stabilisierung der Europäischen Union beitragen", glaubt JIEFANG RIBAO aus Shanghai.
Ähnlicher Meinung ist die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG: "Auf den ersten Blick ist diese Parlamentswahl in Deutschland ein Triumph für die Union. Dem Kanzlerkandidaten Friedrich Merz ist es gelungen, die zerrüttete Partei nach der Bundestagswahl 2021 wieder zu einen und ein respektables Ergebnis zu holen. Doch die Ernüchterung dürfte bald folgen. Denn das einzige verbliebene Schwergewicht der Volksparteien hat es nicht einmal geschafft, mehr als 30 Prozent der Wählerstimmen auf sich zu vereinen. Das aber war das erklärte Ziel. Von früheren Ergebnissen wie etwa unter Angela Merkel mit 41 Prozent kann es heute nur noch träumen. Zudem ist die AfD der Union dicht auf den Fersen. Sie ist der heimliche Gewinner dieser Wahl und konnte ihr Ergebnis der letzten Wahl 2021 verdoppeln", erläutert die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG.
Durch den Wahlsieg von CDU und CSU gewinne die niederländische Regierung einen Verbündeten in der EU, ist DE TELEGRAAF aus Amsterdam überzeugt: "Ebenso wie die Regierung in Den Haag will der CDU-Vorsitzende Merz in der Migrationsfrage eine harte Linie fahren. Die EU-Kommission hat einen gemeinsamen Plan für strengere Regeln für die Rückführung von Migranten vorgelegt, die keinen Anspruch auf Asyl haben. Deutschland wird bald als Mitentscheider in Brüssel am Tisch sitzen und eine gewichtige Stimme haben."
Die australische Zeitung THE SYDNEY MORNING HERALD sieht den voraussichtlich neuen Bundeskanzler Merz vor schwierigen Aufgaben: "Deutschlands bislang pro-amerikanischster Politiker wird die Regierung zu einem Zeitpunkt übernehmen, an dem er vor drei Herausforderungen steht: die Einheit der Nation zu bewahren, Europas Verteidigung zu stärken und zu verhindern, dass das Bündnis mit den Vereinigten Staaten weiter zerbröckelt. Auf den ersten Blick ist jede dieser Aufgaben schon monumental. Alle drei zu bewältigen, scheint unmöglich."
In der österreichischen Zeitung DER STANDARD heißt es: "Olaf Scholz, der seine SPD ins katastrophalste Wahlergebnis der Geschichte schlittern ließ, wird für Deutschlands weitere Entwicklung genauso wenig eine Rolle spielen wie Christian Lindner, der die FDP halbierte. Zu den Entzauberten gehört auch Sahra Wagenknecht, eine Bundestagswahl ist eben keine Talkshow: Die Linke hat sie klar abserviert. Den größten Auftrag zur Veränderung zieht aus diesem Wahlsonntag die SPD. An ihr wird es liegen, welche Alternativen zu rechtsextremer Politik Deutschland zukünftig hat. Vor dem beliebten Verteidigungsminister Boris Pistorius von der SPD liegt viel Arbeit – zur Verteidigung der Demokratie in Deutschland und damit ganz Europa", unterstreicht der Wiener STANDARD.
Die japanische Zeitung ASAHI SHIMBUN ist entsetzt über das Abschneiden der AfD in Deutschland, das als letzte Festung Europas gegen den Rechtsruck in Europa galt: "Die AfD hat ihre Stimmen verdoppelt und ist zum ersten Mal die zweitstärkste Partei des Bundestags geworden. Einer der Gründe dafür sind zweifellos Angst und Unzufriedenheit der Bürger mit der bisherigen Migrationspolitik, die durch die seit dem vergangenen Jahr gehäuften Attentate durch Migranten noch verstärkt wurden. Aber der Erfolg der AfD bringt die deutsche Gesellschaft der Nachkriegsgeschichte von Grund auf ins Wanken. Die etablierten Parteien haben ihre migrationspolitischen Programme deutlich nach rechts korrigiert. Das zeigt die Realität: Deutschland, das einst in der Ära von Angela Merkel als Anführer Europas galt, verliert Durchhaltevermögen und Toleranz", bedauert ASAHI SHIMBUN aus Tokio.
Die AfD bleibe zunächst isoliert, hält die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA fest. "Die rechtsextreme Partei bleibt in der Opposition, umgeben von einer Brandmauer. Sollten jedoch die Probleme, die zum Stimmenzuwachs der AfD und zum Rückgang der Popularität der etablierten Linken geführt haben, nicht gelöst werden, dann wird nach der nächsten Bundestagswahl eine Regierung ohne die AfD nicht mehr möglich sein. Zu diesen Problemen zählen die illegale Einwanderung und Schwierigkeiten bei der Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern in ihre Heimatländer, aber auch die Wirtschaftskrise. Dass die Brandmauer in Gefahr ist, hat die CDU im Januar bewiesen", erinnert die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
In der türkischen Zeitung ARTI GERÇEK ist zu lesen: "Die gestrige Wahl sollte nicht nur als eine deutsche, sondern auch als eine europäische Wahl betrachtet werden. Das Ergebnis ist die Antwort der deutschen Bevölkerung auf die Unterstützung der rechtsextremen AfD durch die US-Regierung, auf den Ausschluss der Europäer von den Friedensverhandlungen mit Russland in der Ukraine und auf Berichte, wonach die USA den Abzug zehntausender Soldaten aus Europa vorbereiten. Vielleicht hat die Welt deshalb mit großem Interesse darauf gewartet, ob eine stabile Regierung gebildet werden kann und wie viele Stimmen die rechtsextreme AfD erhalten würde. Sollte es zu einer stabilen Regierungsbildung kommen, wäre dies auch ein Sieg der Demokraten in Europa", hofft ARTI GERÇEK aus Istanbul.
Die schwedische Zeitung SYDSVENSKAN merkt an: "Am dritten Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine ist die Lage düster, und das Ergebnis der Bundestagswahlen in Deutschland trägt nicht eben dazu bei, die Stimmung zu heben. Die Unionsparteien haben gewonnen, aber die AfD hat ihren Stimmenanteil beinahe verdoppelt. Die Botschaft von Wahlsieger Merz ist, dass die Regierungsverhandlungen schnell gehen müssen, weil die übrige Welt nicht wartet. Tatsächlich muss Deutschland schnell auf die Beine kommen, denn Europa braucht seine besonnene Großmacht. Der letzte Monat mit Donald Trump als Präsident hat gezeigt, wie schnell eine regelgesteuerte Weltordnung demontiert werden kann", betont die Zeitung SYDSVENSKAN aus Malmö.
Die kolumbianische Zeitung EL PAIS ist pessimistisch: "Die UNO wirkt wie gelähmt, denn der Sicherheitsrat kann wegen des Drucks aus Moskau keine effektiven Lösungen bieten. US-Präsident Trump scheint gewillt, einen Friedensschluss zu erzwingen, aber mit der Forderung nach einem raschen Ende des Kriegs wird der Wille der betroffenen Bevölkerung ignoriert. Wer einen echten Frieden will, muss den Rückzug der russischen Truppen und die Wiederherstellung der grundlegenden Rechte der Ukraine fordern. Dazu müssen die diplomatischen Anstrengungen verdoppelt werden, denn der Krieg hat schon zu viele Leben zerstört", mahnt EL PAIS aus Cali.