
Nach Ansicht des britischen GUARDIAN steht die neue Koalition aus Union und SPD vor einer Vielzahl von Herausforderungen: "Das Nachkriegsversprechen 'Wohlstand für Alle' entgleitet, die Ungleichheit nimmt zu und ein Fünftel der Deutschen ist von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen. Straßen und Eisenbahnen sind marode, die digitale Infrastruktur ist veraltet, und das Bildungssystem hat Mühe, eine schrumpfende Erwerbsbevölkerung für die Anforderungen einer sich entwickelnden Wirtschaft zu rüsten. Die industrielle Basis des Landes leidet unter hohen Energiekosten, veralteter Technologie und erstickender Bürokratie. Die einstmals dominierenden Automobilhersteller taumeln, gefangen zwischen ihrer eigenen Hybris und der wachsenden Konkurrenz aus China. Donald Trumps Handelskriege haben die Exportabhängigkeit der Wirtschaft in eine eklatante Schwachstelle verwandelt, während Wladimir Putins Aggression Deutschland zwingt, sich mit der Gefahr eines Krieges auseinanderzusetzen", führt der GUARDIAN aus London aus.
Die IRISH TIMES beobachtet: "Die meisten der europäischen Verbündeten hoffen, dass Deutschland die wirtschaftliche Flaute und das politische Auseinanderdriften überwinden wird. Schon jetzt gibt es Anzeichen dafür, dass die vitale, einst dynamische deutsch-französische Führungsrolle erneuert wird. Zumindest ist das die Verheißung: Eine wiederbelebte Wirtschaft, verbunden mit dem Vorhaben, viel Geld für Infrastruktur und Verteidigung auszugeben, was auch Europa insgesamt zugutekommen wird", ist die IRISH Times aus Dublin überzeugt.
Die polnische Zeitung RZECZPOSPOLITA aus Warschau geht auf CDU-Chef Merz ein, der die neue Koalition anführen soll: "Merz ist nicht mehr der Politiker, der in der Opposition seine langjährige christdemokratische Vorgängerin Angela Merkel für linke Abweichungen und Bundeskanzler Scholz für seine mangelnde Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine kritisierte. Er selbst tendiert nach links, auch in den von Merkel vertretenen Fragen. Zum Beispiel hat er die christdemokratische Schulden-Aversion aufgegeben. In einer Zeit globaler Umstrukturierungen wird von Deutschland nun erwartet, dass es investiert und aufrüstet. Und sich von dem unberechenbaren Partner auf der anderen Seite des Atlantiks distanziert", meint RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
Die französische Tageszeitung LES DERNIÈRES NOUVELLES D'ALSACE aus Straßburg vermerkt: "Frankreich erwartet viel von Friedrich Merz. Zu viel? Unter seinem Vorgänger Olaf Scholz war die Beziehung ins Stocken geraten. In Merz' Büro hängt ein Foto von Adenauer und De Gaulle, die 1963 den Élysée-Vertrag unterzeichneten. Ein großes Versprechen." DNA
Die chinesische Zeitung HUANQIU SHIBAO befasst sich mit der Diskussion um ein Verbotsverfahren gegen die AfD, nachdem diese vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft worden ist: "Bereits jetzt wird deutlich, dass es sowohl bei der CDU/CSU als auch bei der SPD unterschiedliche Auffassungen gibt, was ein mögliches Verbot der AfD beziehungsweise den künftigen Umgang mit dieser populistischen Oppositionspartei betrifft. Für Merz ist es eine Wahl zwischen Pest und Cholera, denn einerseits hilft eine fortgesetzte Stigmatisierung der AfD, sich weiter als Opfer zu inszenieren. Aber andererseits will man den Fehler von 1933 nicht wiederholen, als nach Beendigung der Ausgrenzung der NSDAP Hitler das ganze System im Handumdrehen ausgehebelt hat. Für die AfD wird es indes immer schwerer, sich als stinknormale Partei zu präsentieren, je mehr rechtsextremes Gedankengut sie übernimmt", urteilt HUANQIU SHIBAO aus Peking.
"Die Debatte über ein Verbot der AfD erwacht zu neuem Leben", ist in der schwedische Zeitung AFTONBLADET zu lesen: "Die AfD hat Beschwerde gegen die Entscheidung des Verfassungsschutzes eingelegt, aber tatsächlich ist es in Deutschland möglich, Parteien zu verbieten. Bedroht die AfD die demokratische Ordnung? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht - diese Entscheidung läge dann beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, aber die Hürden sind extrem hoch. Adolf Hitler schaffte es auf demokratischem Weg, an die Macht zu gelangen und die Demokratie zu zerstören. Dieser Teil der Geschichte ist ständig präsent, besonders jetzt zum 80. Jahrestag des Weltkriegsendes. Aber ein Parteienverbot ist der falsche Weg in einer westlichen Demokratie. Die Antwort ist vielmehr eine Bewältigung der Krisen, von denen sich Parteien wie die AfD nähren", fordert AFTONBLADET aus Stockholm.
Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT warnt: "Ein Verbot verstärkt das Opfer-Narrativ der extremen Rechten, wonach 'die Elite' ihre Macht mit allen Mitteln verteidigt, wenn sie den Kampf an den Wahlurnen zu verlieren droht. Das könnte den Rechtsradikalen in die Hände spielen. Ein Verbot der AfD ist besonders schwierig, weil sie nicht nur die größte Oppositionspartei ist, sondern auch eine starke Präsenz in Ostdeutschland hat, das sich ohnehin schon benachteiligt fühlt. Ein Verbot würde die Ressentiments gegen den Westen und die Machthaber in Berlin weiter verstärken. Parteien können verboten werden, aber rechtsextremes oder rechtsradikales Gedankengut nicht. Deshalb ist es wichtig, dass die politische Mitte der extremen Rechten den Wind aus den Segeln nimmt." Das war die Meinung von DE VOLKSKRANT aus Amsterdam.
Wir blicken nach Rumänien, wo der ultrarechte Kandidat Simion die erste Runde der Präsidentschaftswahl gewonnen hat. Dies ist weiter ein Thema der Kommentarspalten. Die rumänische Zeitung JURNALUL NAŢIONAL resümiert: "Rumänien ist an einen kritischen Punkt gelangt, denn die Präsidentschaftswahlen könnten die Zukunft der Nation neu bestimmen. Diese Wahl ist das grausame Spiegelbild einer tief gespaltenen Gesellschaft mit einer politischen Klasse, die es weitgehend versäumt hat, auf die Bedürfnisse und Hoffnungen der Bevölkerung einzugehen. Seit vergangenem Herbst sind die unzufriedenen Stimmen immer lauter geworden, und die Botschaft ist klar: Es braucht Reformen, Veränderungen und Erneuerung. Jahrzehntelang haben die Parteien PSD und PNL die rumänische Politik geprägt, aber sie waren unfähig zu einer kohärenten Regierungsarbeit, und sie sind zum Synonym für Korruption, Vetternwirtschaft und Inkompetenz geworden", beleuchtet JURNALUL NAŢIONAL aus Bukarest.
Der österreichische STANDARD analysiert: "Vielen Rumänen und Rumäninnen gibt Simion das Gefühl von Wiedergutmachung für die Demütigungen des Alltags, sodass sie gar nicht bemerken, wem das alles vor allem dient: dem Kreml. Rumänien ist ein anschauliches Beispiel dafür, wie Russlands Regierung mit hybrider Kriegsführung – vor allem in sozialen Medien – in nur ein paar Jahren ein zentrales EU- und Nato-Land destabilisieren konnte. Dabei ist das Motiv des Kreml offenkundig: Durch Rumänien werden Rüstungsgüter für die Ukraine geliefert. Dabei ist Rumänien für die Verteidigung ganz Europas zentral", erinnert der STANDARD aus Wien.
Für die ungarische Zeitung NEPSZAVA kommt der Wahlausgang einer Roten Karte gleich für alles, "wofür die hergebrachten politischen Parteien in dem Land stehen": "Simion steht nun dank der elite-feindlichen Stimmung vor einem ähnlichen historischen Sieg wie Donald Trump im November 2024 in den USA. Der rechtsextreme Kandidat verspricht Wort für Wort dasselbe, was Trump und den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban an die Macht brachte und sie dort hält. Simion ist ein Klon von Orban, der trotz seiner offenen Ungarnfeindlichkeit nach dem Vorbild des ungarischen Regierungschefs zum führenden Politiker heranwuchs. Der Trump-Hype gab ihm offensichtlich Rückenwind", ist sich NEPSZAVA aus Budapest sicher. Und damit endet die Internationale Presseschau.