
SYDSVENSKAN aus Malmö hebt hervor: "Die Familie war anwesend, bereit um zu feiern und gefeiert zu werden. Aber dann kam der Knall. Das ist historisch, denn noch nie ist ein nominierter Kanzler im ersten Wahlgang gescheitert. Vielmehr gelten die Abstimmungen als Formalität. Das Ganze war ebenso unerhört wie unerwartet. Es war eine Erniedrigung für Merz, bevor er sein Amt angetreten hatte. Sein Mandat steht nun vom ersten Tag an in Frage. Für Merz hätte es kaum schlechter laufen können", folgert die schwedische SYDSVENSKAN.
VERDENS GANG aus Oslo analysiert: "Politische Unsicherheit in Berlin ist schlecht für Europa. Eine starke und liberale Demokratie in Deutschland ist ein entscheidendes Gegengewicht zu Putins Aggression und Trumps politischem Alleingang. Die deutschen Wähler sind nicht überzeugt, dass Merz der richtige Mann für diese großen Aufgaben ist. Er muss den gestrigen Schaden wiedergutmachen, er genießt wenig Zustimmung in Umfragen. Sein erster Tag als Kanzler war alles andere als überzeugend - dabei hat er sehr viel zu beweisen", urteilt die norwegische VERDENS GANG.
LIDOVE NOVINY aus Tschechien bemängelt: "Damit ist Merz nicht abgeschrieben. Bereits am Nachmittag siegte er in der zweiten Runde. Doch dieses symbolische Schlamassel gleich zu Beginn wirft mit Sicherheit einen Schatten auf ihn, seine Koalition und die neue Regierung in Deutschland."
Der Schweizer TAGES-ANZEIGER hält fest: "Die Merz-Gegnerinnen und -Gegner aus den eigenen Reihen spielten im ersten Wahlgang in verantwortungsloser Weise mit der Stabilität der deutschen Demokratie. Ein halbes Jahr ist seit dem Bruch der vorherigen Koalition schon vergangen, nicht nur Deutschland wartete seither auf eine handlungsfähige Regierung. Ganz Europa wartete. Aber auch in Deutschland steht enorm viel auf dem Spiel", betont der TAGES-ANZEIGER aus Zürich.
DIE PRESSE aus Wien notiert zum verlorenen ersten Wahlgang: "Das gab es noch nie in der Bundesrepublik. Aber zumindest die Reaktion war bekannt. Denn die Abstimmungspleite zur 'Staatskrise' und zur 'Katastrophe für Deutschland' hochzujazzen ist typisch deutsch. Ein Akt der kollektiven Hyperventilation. Sechs Stunden dauerte diese angebliche deutsche 'Staatskrise' letztlich, bevor Merz im zweiten Anlauf doch noch gewählt wurde", bemerkt DIE PRESSE aus Österreich.
Die russische Zeitung KOMMERSANT erinnert: "Erst im dritten Anlauf war es Merz gelungen, den Vorsitz der CDU zu erringen. Merz' persönliche Popularität stieg nur langsam. Ihm wurden altmodischer Konservatismus, mangelnde Erfahrung in der öffentlichen Verwaltung, Sturheit und nicht immer kontrollierte Emotionen vorgeworfen. Eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD über Initiativen zur Verschärfung der Einwanderungsgesetze führte zu Vorwürfen, man wolle damit die 'Brandmauer' um die Rechtspopulisten durchbrechen. Der letzte Akkord des Widerstands gegen Merz war nun das gestrige Scheitern im ersten Wahlgang. Auch wenn am Ende alles gut ausging und Merz die lang ersehnte Kanzlerschaft erhielt, ist ein triumphaler Einzug ins Kanzleramt ausgeblieben. Die parlamentarische Mehrheit der 'kleinen' Koalition ist offenbar fragil", stellt KOMMERSANT aus Moskau fest.
NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio mahnt: "Der Vorgang zeigt, dass die schwarz-rote Koalition de facto eine Minderheitsregierung ist, die mit einem großen Fragezeichen versehen und wohl künftig eine Hilfe der oppositionellen Grünen brauchen wird."
Der GUARDIAN aus London kommentiert: "Das Bündnis zwischen den Konservativen von Herrn Merz und den Sozialdemokraten mag als große Koalition bekannt sein, aber es ist in der Praxis eine sehr bescheidene – und es gibt keine realistischen Alternativen, sollte sie auseinanderfallen. Es besteht die Sorge vor einer toxischen Spirale: Da die Unterstützung für die Parteien im Zentrum abnimmt, sind sie gezwungen, sich zusammenzuschließen - das stärkt die Wahrnehmung, dass sie einen einzigen Block bilden, der jedes Unterfangen abwehrt, das die wirklichen Bedürfnisse der normalen Wähler anspricht, und stattdessen einen Weg zu unbefriedigenden Kompromissen einschlägt. Das wiederum könnte die Unterstützung für diese Parteien weiter verringern, und die Wähler zu dem Schluss kommen lassen, dass der Rechtsextremismus die einzige wirkliche Aussicht auf Veränderung bietet. Das passiert nicht nur in Deutschland. Aber die Geschichte Deutschlands macht es besonders erschreckend", heißt es im GUARDIAN.
LE MONDE aus Paris stellt mit Blick auf das deutsche Verhältnis zu Frankreich fest: "Mehr als drei Jahre nach Beginn der russischen Invasion in der Ukraine ist Europa der doppelten Bedrohung eines Krieges an seiner Ostflanke und einer Abwendung der USA ausgesetzt. Gleichzeitig steht der Freihandel, auf dem das europäische Projekt aufbaut, in Frage. Die Zukunft des Alten Kontinents liegt nun zum Teil in den Händen des deutsch-französischen Gespanns aus Macron und Merz. 'Beide wollen Geschichte schreiben', bemerkte ein Diplomat. Die Erwartungen an das heutige Treffen sind daher hoch. In Paris und Berlin arbeiten Teams seit mehreren Wochen an Ankündigungen, die die Bedeutung des Ereignisses hervorheben", schreibt LE MONDE aus Frankreich.
Die chinesische Staatszeitung XINJINGBAO erklärt: "Dies ist zwar ein herber Rückschlag gleich zu Beginn, aber wenn die neue Regierung noch vor dem Herbst eine erfolgreiche Arbeit unter Beweis stellen kann, wird Merz diesen Makel wieder abstreifen können. Der neue Amtsinhaber gilt als wirtschaftsfreundlich, und er wird wohl eine härtere Gangart in der Einwanderungspolitik einschlagen, da nach seiner Ansicht nur so der Höhenflug der Rechtsextremen gestoppt werden kann. Er hat zudem dafür plädiert, sich aus der Abhängigkeit von Washington zu befreien und die Autonomie Europas voranzutreiben. An erster Stelle muss es dem neuen Kabinettschef aber gelingen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, indem die Energiepreise und andere hohe Belastungen für das produzierende Gewerbe gesenkt werden. Dann wird die deutsche Öffentlichkeit wieder Vertrauen in ihre Regierung fassen", glaubt XINJINGBAO aus Peking.
Der Beschluss Israels, den Gazastreifens zu besetzen, ist Thema in HAARETZ aus Tel Aviv: "Die Entscheidung, die Kämpfe im Gazastreifen auszuweiten, hat eine klare Bedeutung: es ist eine bewusste Entscheidung, die Geiseln aufzugeben und die humanitäre Katastrophe zu verschärfen, die Israel über zwei Millionen schutzlose Zivilisten gebracht hat - in der falschen Hoffnung, sie könnten 'umgesiedelt' werden und den israelisch-palästinensischen Konflikt von der Bildfläche verschwinden lassen. Hochrangige Verteidigungsbeamte haben den Mitgliedern des Sicherheitskabinetts klargemacht, dass die Terroristen, die die Geiseln festhalten, durchaus aus den Kampfgebieten fliehen und die Geiseln ohne Nahrung und Wasser in den Tunneln zurücklassen könnten, wo sie allein verhungern.Die israelische Regierung weiß das und hat dennoch diesen Weg gewählt. Und wofür? Für das politische Überleben einer weltfremden Regierung, die den Krieg zu einem Rezept für den Erhalt der Regierungskoalition gemacht hat", beklagt israelische Zeitung HAARETZ.
EL PAIS aus Madrid erklärt: "Netanjahu kann auch deshalb so handeln, weil er nicht dem geringsten Druck ausgesetzt wird, seine tödliche Strategie im Gazastreifen zu beenden. Auch kann er im Inland immer autoritärer auftreten. Die noch in der Hand der Hamas befindlichen Geiseln interessieren ihn wenig, ebenso die Massendemonstrationen oder die schweren juristischen Vorwürfe gegen ihn. Der internationale Haftbefehl gegen Netanjahu ist nicht mehr als reine Symbolik, solange Trump die Politik Israels unterstützt und Netanjahu lukrative Rüstungsgeschäfte mit westlichen Ländern abschließen kann", bemängelt die spanische Zeitung EL PAIS.