15. Mai 2025
Die internationale Presseschau

Kommentiert werden unter anderem die Gespräche zur Beendigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine in Istanbul. Zunächst geht es aber um das Treffen zwischen US-Präsident Trump und dem syrischen Übergangspräsidenten al-Scharaa, bei dem Trump erneut die Aufhebung der amerikanischen Sanktionen gegen Syrien in Aussicht stellte.

US-Präsident Donald Trump (M) trifft sich mit dem syrischen Interimspräsidenten Ahmad al-Scharaa (l) und dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman (r) in Riad.
US-Präsident Trump hat sich sich in Riad mit dem syrischen Interimspräsidenten al-Scharaa getroffen, das ist eines der Kommentarthemen in den internationalen Zeitungen. (Bandar Aljaloud / Saudi Royal Palace/dpa)
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG meint, das gebe Anlass zu vorsichtigem Optimismus: "Seit dem Sturz des Diktators Bashar al-Assad Anfang Dezember hofft die syrische Bevölkerung darauf, das verarmte und in grossen Teilen zerstörte Land wieder aufzubauen. Doch die harten amerikanischen Sanktionen, die einst gegen das Assad-Regime verhängt wurden, standen dem bislang im Weg. Sollten die Sanktionen tatsächlich aufgehoben werden, hat das Land die Aussicht auf Investitionen und Finanztransaktionen aus aller Welt. Der Handschlag mit Trump gibt Sharaa ausserdem einen Vertrauensvorschuss. Das ist viel wert in einer Zeit, in der noch nicht klar ist, in welche Richtung sich das Land entwickeln wird. Die Wahrscheinlichkeit eines Minimums an Stabilität und politischer Inklusion steigt, wenn die Syrer für sich und ihr Land eine Perspektive sehen", stellt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus der Schweiz klar.
Ein Gastkommentator der japanischen Zeitung ASAHI SHIMBUN erwartet: "Es dürfte für die syrische Übergangsregierung leichter werden, Anerkennung in der internationalen Gemeinschaft zu finden. Völlig unklar ist allerdings, ob ein Wiederaufbau Syriens nun problemlos verlaufen wird. Zu befürchten ist zudem, dass ein Teil der syrischen Bevölkerung und die radikalen Mitglieder von Scharaas inzwischen aufgelöster islamistischer HTS-Miliz gegen den aktuellen Kurs der Übergangsregierung protestieren, die jetzt mehr auf die Wirtschaft und die Bewahrung der Macht setzt als auf Ideologie", ist in ASAHI SHIMBUN zu lesen, das Blatt erscheint in Tokio.
Ähnliche Vorbehalte äußert die panarabische Zeitung AL ARABY AL-JADEED: "So verständlich die Freude der Syrer über die angekündigte Aufhebung der Sanktionen ist, so viele Fragen wirft die Nachricht zugleich auf. Denn die neue syrische Regierung hat ein kollabiertes Land, eine gespaltene und erschöpfte Gesellschaft und damit ungeheure Verantwortung übernommen. Wenn es ihr nicht gelingt, den inneren Frieden zu gewährleisten und jener habhaft zu werden, die ihn gefährden, wird sie nicht für die innere Sicherheit sorgen können, die für wirtschaftliche Aktivitäten und Investitionen doch so wichtig ist", warnt AL ARABY AL-JADEED mit Sitz in London.
Die russische Zeitung NESAWISSIMAJA GASETA wundert sich über die Annäherung zwischen Washington und Damaskus, angesichts der Vita des syrischen Interims-Präsidenten: "Als damaliger Anführer der HTS-Miliz war al-Scharaa 2006 im Irak vom amerikanischen Militär festgenommen worden. Er verbrachte mehrere Jahre im berüchtigten Bagdader Gefängnis Abu Ghraib. Und nun wird al-Scharaa zunehmend beschuldigt, eine eigene Diktatur errichten zu wollen und religiöse Minderheiten – die Alawiten und die Drusen – zu verfolgen. All dies scheint Trump jedoch nicht davon abzuhalten, zu versuchen, eine Einigung mit der neuen syrischen Regierung zu erzielen. Der US-Präsident hat offenbar große Pläne für al-Scharaa", stellt NESAWISSIMAJA GASETA aus Moskau fest.
DER STANDARD aus Österreich meint, Trump gehe mit seiner Nahost-Diplomatie zunehmend auf Distanz zu Israels Ministerpräsident Netanjahu: "Was Trump tut, läuft dem, was die israelische Regierung von ihm erwartet, diametral entgegen. Ein starkes Syrien mit Islamisten an der Macht ist nicht im Interesse Israels, sondern eventuell sogar ein zerfallendes. Die Araber, in seltener Harmonie mit der Türkei, haben Trump vom Gegenteil überzeugt. Dass Trump Sharaa auffordert, den Abraham-Abkommen – den Normalisierungsverträgen einiger arabischer Staaten mit Israel – beizutreten, ist sozusagen Folklore. Sharaa, der ein extremistisches Lager zu bedienen hat, würde das nicht überleben. Trumps Aufforderung geht genauso an Netanjahu, Syrien als potenziellen Partner zu betrachten. Schwierig", hält DER STANDARD aus Wien fest.
Die niederländische Zeitung DE VOLKSKRANT ergänzt: "Israel hält al-Scharaa für einen unverbesserlichen Dschihadisten und versucht, ihn durch Bombardierungen und das Schüren sektiererischer Spannungen zu schwächen. Nun sieht Netanjahu zähneknirschend zu, wie dieser Mann durch Trump rehabilitiert wird - ein Anzeichen für eine Entfremdung zwischen ihm und dem israelischen Regierungschef. Bei einigen wichtigen regionalen Themen (Iran, Syrien, die Huthi im Jemen) sind Trump und Netanjahu inzwischen auf unterschiedlichen Wegen unterwegs; auch in Bezug auf Gaza gibt es Hinweise, dass Trump von Netanjahus Kurs die Nase voll hat", bemerkt DE VOLKSKRANT aus Amsterdam.
Ähnliches beobachtet die türkische Zeitung TAKVIM aus Istanbul: "Die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien hat neue Hoffnungen für den Gazastreifen geweckt. Es ist höchste Zeit, der humanitären Tragödie dort ein Ende zu setzen."
In Istanbul beginnen heute die Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland über ein mögliches Ende des russischen Angriffskriegs. Die estnische Zeitung POSTIMEES vermutet, dass Moskau daran nur deshalb teilnimmt, weil sich seine internationale Position verschlechtert habe: "Obwohl Russland noch immer die Unterstützung Chinas hat, scheint Putin allmählich zu begreifen, dass weltweit das Verständnis gesunken ist. Und auch in der US-Regierung scheint sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass nicht der ukrainische Präsident Selenskyj das Hindernis auf dem Weg zu einem Frieden ist, sondern Putin. Für die zunehmende internationale Isolation Russlands sorgt auch der neue Papst Leo XIV, der sich ausdrücklich zugunsten der Ukraine geäußert hat. Das ist deshalb von Bedeutung, weil der Papst großen Einfluss auf den sogenannten globalen Süden hat, der sich bislang überwiegend neutral positioniert hatte, was eher Moskau genützt hat", bemerkt POSTIMEES aus Tallinn.
Vor Beginn der Friedensgespräche in Istanbul hatten sich die EU-Länder auf ein weiteres Sanktionspaket gegen Russland geeinigt. Die dänische Zeitung POLITIKEN hält das für ein Signal an Putin und Trump "dass die EU nicht im Mindesten an den russischen Friedenswillen oder an Putins Bereitschaft zu einer Waffenruhe glaubt - und dass man bis zum Beweis des Gegenteils den Druck aufrechterhalten oder sogar noch steigern will. Die europäischen Staatsführer haben gemeinsam mit Selenskyj beschlossen, Putins Bluff vorzuführen. Sie haben eine bedingungslose 30-tägige Waffenruhe vorgeschlagen, und nachdem Putin wieder nur mit einem zögerlichen Angebot eines Treffens reagierte, schlug Selenskyj zu und lud Putin für heute zu einem Treffen in die Türkei ein. Dass er nicht persönlich dabei sein wird bedeutet nur eines: Russland ist nicht bereit zu Verhandlungen". Das war die Meinung von POLITIKEN aus Kopenhagen, und so viel zu diesem Thema.
Zum Schluss blickt die chinesische JIEFANG RIBAO auf die Zukunft der chinesisch-europäischen Beziehungen: "Eine umfassende strategische Zusammenarbeit zwischen China und der EU wird es in den nächsten Jahren eher nicht geben. Die jüngsten wirtschaftlichen und geopolitischen Konflikte haben Spuren hinterlassen. Dennoch bestehen gute Chancen, dass die beiden wichtigen Wirtschaftsmächte zumindest in einigen Bereichen die Kooperationen erweitern und vertiefen. Europa hat erkannt, dass unter Trumps Präsidentschaft auf seinen transatlantischen Verbündeten Amerika kein Verlass mehr ist. Auch angesichts der immensen internen Probleme wie dem Erstarken der rechten Parteien und einer schwächelnden Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen wird die EU pragmatischer werden müssen und die Beziehungen zu China verbessern wollen. So könnten China und Europa gemeinsam die grüne Wirtschaft vorantreiben. China und Europa könnten sich da einbringen, wo Trump zerstört." Das war die Ansicht der JIEFANG RIBAO aus Schanghai, mit der die Internationale Presseschau endet.