09. September 2025
Die internationale Presseschau

Die verlorene Vertrauensabstimmung von Frankreichs Premierminister Bayrou wird in fast allen Teilen der Welt kommentiert. Außerdem geht es um die Regierungskrise in Argentinien.

François Bayrou verlässt, eine Aktenmappe unter seinem Arm, ein Regierungsgebäude.
Der französische Premierminister François Bayrou trat nach einer verlorenen Vertrauensfrage zurück. (picture alliance / MAXPPP / Julien Mattia / Le Pictorium)
Die französische Zeitung LE MONDE übt scharfe Kritik am ehemaligen Regierungschef Bayrou: "Monatelang stellten Minister die Methoden des Premierministers in Frage. Er schrieb seine Reden selbst, regierte allein - umgeben nur von einer Handvoll langjähriger Verbündeter, und kümmerte sich persönlich um seine Kommunikation. Es kam zu immer mehr Fehlern, Entscheidungen wurden verzögert, Projekte verschoben und eine gewisse Trägheit wurde deutlich. Seine Äußerungen waren oft unpräzise, und die Beziehung zum Präsidenten angespannt", analysiert LE MONDE aus Paris.
Die italienische Zeitung IL FOGLIO lobt dagegen die Rede Bayrous vor der verlorenen Vertrauensabstimmung im Parlament. "Bayrou nannte die Dinge beim Namen: ein Land, das seit 51 Jahren keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorweisen kann, eine Verschuldung von über 3,4 Billionen Euro, eine Generation, die dazu verdammt ist, die Rechnungen ihrer Väter für laufende Ausgaben und nicht für Investitionen zu bezahlen. Bayrou ist gestürzt, aber die Lektion bleibt: Politik ist nutzlos, wenn sie sich nicht traut, das Wesentliche anzugehen. Die Versuchung, über seine Verhältnisse zu leben und die Rechnung auf die Nachkommen zu verschieben, ist keine ausschließlich französische Krankheit: Sie ist weit verbreitet in allen Demokratien, die Angst vor der Gegenwart haben und sich in Zukunftsillusionen flüchten", urteilt IL FOGLIO aus Rom.
Die polnische RZECZPOSPOLITA vermutet: "Macron wird sich höchstwahrscheinlich für eine sogenannte harte Kohabitation entscheiden. Das heißt: die Ernennung eines Regierungschefs, der nicht aus seinem eigenen politischen Lager stammt. Dies wird jedoch zu ständigen politischen Konflikten führen. Doch auch, wenn Macron bereits eine rasche Lösung vorbereitet haben sollte, ändert dies nichts an der Tatsache, dass Frankreich sich in einer tiefen politischen, sozialen und finanziellen Krise befindet. Diese Krise könnte sich am deutlichsten in den für morgen angekündigten Demonstrationen und erwarteten Zusammenstößen mit der Polizei manifestieren. Einigen Beobachtern zufolge steht Frankreich am Rande einer wahren Revolution", warnt die RZECZPOSPOLITA aus Warschau.
In der türkischen Zeitung MILLIYET heißt es: "Keine der politischen Parteien, die den Präsidenten unterstützen – insbesondere Macrons eigene politische Bewegung – will, dass er Neuwahlen ausruft. Meinungsumfragen zeigen, dass Marine Le Pens Partei aus Neuwahlen als stärkste Partei hervorgehen würde. Allerdings ist keine politische Organisation in der Lage, das Land allein zu regieren. Macron, dessen Amtszeit 2027 ausläuft, wird daher wohl einen neuen Regierungschef ernennen. Die aktuelle Unsicherheit im Land schwächt ihn jedoch politisch und schadet Frankreichs Position in Europa und der Welt", konstatiert MILLIYET aus Istanbul.
Die in Schanghai erscheinende Tageszeitung XINMIN WANBAO rechnet mit zwei möglichen Konsequenzen des Misstrauensvotums: "Auf diplomatischer Ebene wird die Glaubwürdigkeit Macrons leiden. Und es wird seine Fähigkeit in Frage gestellt werden, ob er angesichts innenpolitischer Machtbeschränkungen außenpolitische Versprechen einhalten kann. Das schadet dem Ansehen und der Handlungsfähigkeit des Landes. Aber auch auf innenpolitischer Ebene ist die Umsetzung von Reformen nun äußerst schwierig geworden. Sollte das Parlament bis zu den Präsidentschaftswahlen 2027 zersplittert bleiben und auch danach Präsident und Parlament weiterhin zwischen verschiedenen politischen Lagern aufgeteilt bleiben, wird Frankreich in dieser außen- und innenpolitischen Bredouille verharren", befürchtet die chinesische XINMIN WANBAO.
DAGENS NYHETER aus Stockholm blickt auf die Auswirkungen der französischen Krise auf das Schicksal der Ukraine: "Präsident Macron ist der europäische Staatsführer, der in den letzten beiden Jahren besonders deutlich in Bezug auf die Ukraine war und die Idee vertritt, dass Europa Soldaten entsenden muss, um einen Frieden zu sichern. Schafft er das jetzt noch, wenn er nicht einmal einen Haushalt zustande bringt? Und was passiert nach Macron? Die EU-feindlichen Ultrarechten, die früher von Putin finanziert wurden, stehen an der Schwelle zur Macht. Donald Trump randaliert bereits im Weißen Haus und Nigel Farage könnte in 10 Downing Street einziehen. Großbritannien, Frankreich und die USA - die drei Länder, die mehr als 100 Jahre den Kern des Westens bildeten und die bereit waren, für Freiheit und Demokratie zu kämpfen: Winston Churchill würde sich im Grab umdrehen", klagt die schwedische DAGENS NYHETER.
Für die WASHINGTON POST ist klar: "Obwohl der Haushalt der nominelle Grund für das Misstrauensvotum war, löste vor allem der Vorschlag des Premierministers die Wut der Öffentlichkeit aus, den Feiertag am Montag nach Ostern und den 8. Mai, an dem der Sieg der Alliierten in Europa am Ende des Zweiten Weltkriegs gefeiert wird, abzuschaffen. Wenn die Franzosen nicht einmal bereit sind, auf zwei ihrer Feiertage zu verzichten, werden sie sicherlich nicht so schnell in Kriegsbereitschaft versetzt werden. Das sind schlechte Nachrichten für die Ukraine, die ihre Hilfe braucht", findet die WASHINGTON POST.
Themenwechsel. In Argentinien musste Präsident Milei bei einer wichtigen Provinzwahl in Buenos Aires eine deutliche Niederlage einstecken. Seine Partei La Libertad Avanza landete mit 34 Prozent abgeschlagen hinter der oppositionellen Mitte-links-Partei Fuerza Patria, die 46 Prozent der Stimmen erhielt. Die in Buenos Aires erscheinende Zeitung LA NACION schreibt, das schmerzhafte Ergebnis könne für Milei eine Chance sein... "... wenn er die Botschaft der Wähler richtig interpretiert und in der Lage ist, seinen unnötig feindlichen Stil zu korrigieren und konstruktive Kritik zu akzeptieren. Der Präsident muss begreifen, dass ihm seine Wähler nicht das Mandat erteilt haben, sie zu beschimpfen oder zu verspotten. Es hängt jetzt von ihm und seinen Beratern ab, ob sie die Wahl als Warnung interpretieren. Sonst könnte sie einen heftigeren Schlag bei den landesweiten Wahlen am 26. Oktober vorwegnehmen", prophezeit LA NACION.
O GLOBO aus dem Nachbarland Brasilien betont ebenfalls die Wichtigkeit der bevorstehenden landesweiten Wahlen Ende Oktober: "Milei braucht eine breite parlamentarische Basis, um die Reformen zu verabschieden, die Argentinien benötigt. Die bisherigen Erfolge sind unstreitig: Die Ausgaben wurden um rund 30 Prozent gekürzt, die jährliche Inflation sank von über 200 auf 36 Prozent und wird laut Einschätzung von Analysten weiter sinken. Die Wirtschaft wächst wieder und für dieses Jahr wird ein Anstieg des Bruttoinlandprodukts um mehr als 5 Prozent erwartet. Aber die Regierung wurde auch durch Korruptionsskandale erschüttert, in die unter anderem Mileis Schwester Karina verwickelt sein soll. Statt sich in den guten Wirtschaftszahlen sonnen zu können, muss Milei nun hart daran arbeiten, das Stigma der Korruption zu beseitigen. Weder Brasilien noch die übrige Welt können daran interessiert sein, dass Argentinien erneut ins Chaos stürzt", unterstreicht O GLOBO aus Rio de Janeiro.
Die japanische NIHON KEIZAI SHIMBUN hält die Korruptionsaffäre um Mileis Schwester in mehrfacher Hinsicht für gefährlich: "Karina Milei, die von ihrem Bruder "Boss" genannt wird und großes Vertrauen genießt, kämpfte stets gemeinsam mit ihm im Wahlkampf und gewann mit ihrem sauberen Image viele Unterstützer. Die Affäre seiner wichtigsten rechten Hand ist deshalb ein herber Schlag für Präsident Milei und seinen Reformkurs, dessen Fortsetzung nun schwierig sein dürfte. Die Finanzmärkte reagierten bereits mit einem Dreifach-Rückgang: Die Aktien, die Währung und die Staatsanleihen Argentiniens wurden gleichzeitig verkauft." Mit dieser Stimme von NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio endet die internationale Presseschau.