13. September 2025
Die internationale Presseschau

Die Meinungsspalten der Zeitungen beschäftigen sich mit dem Urteil gegen den früheren brasilianischen Präsidenten Bolsonaro, werden aber weiterhin von dem Attentat auf Charlie Kirk in den USA beherrscht.

Ein junger Mann steht auf einer Wiese und blickt auf eine improvisierte Gedenkstätte für Charlie Kirk, wo Menschen Blumen, Bilder und Botschaften niedergelegt haben.
Gedenken an den ermordeten Charlie Kirk (AP / Lindsey Wasson)
Der Kommentator der NEW YORK TIMES richtet einen Appell an Präsident Trump - und gesteht gleichzeitig zu, dass der geäußerte Wunsch wohl unrealistisch ist. "Schaffen Sie Frieden im eigenen Land. Schaffen Sie Frieden zwischen den Amerikanern. Das ist ein Friedenspreis, auf den Sie nicht warten müssen, bis ihn jemand verleiht. Dieser amerikanische Friedenspreis wird nicht von Skandinaviern vergeben, wie der Friedensnobelpreis, sondern von der Geschichte. Es könnte heißen: Als die USA so nahe am Bürgerkrieg standen wie vielleicht seit dem Sezessionskrieg nicht mehr, überraschte Präsident Trump auf ungeahnt positive Weise. Er lud politische Gegner ins Weiße Haus und sagte: 'Kommt. Lasst das Land sehen, wie wir gemeinsam gegen politische Gewalt auftreten. Lasst uns geloben, in unseren Reden wie auch online zivilisiert miteinander zu streiten.'" Das war ein Wunsch und ein Auszug aus dem Kommentar der NEW YORK TIMES.
Der GUARDIAN aus Großbritannien merkt an: "Früher folgte auf einen Akt politischer Gewalt eine standardisierte, beruhigend vorhersehbare Reaktion: Der Präsident verurteilte die Tat, trauerte um die Toten und ihre Familien, mahnte, nicht vorschnell zu urteilen, und rief zu Ruhe und Einheit auf. Er bestand darauf, den Tätern nicht das zu geben, was sie wollen – nämlich Spaltung –, sondern zusammenzustehen als Bürger einer Republik, die alle lieben. Versionen dieser Rede wurden gehalten von Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama. Donald Trump wählte einen anderen Weg. Zu einem Zeitpunkt, an dem noch niemand in Gewahrsam war und überhaupt nichts über Kirks Mörder bekannt war, machte er die 'radikale Linke' für dessen Tod verantwortlich", kritisiert der GUARDIAN.
Die türkische Zeitung EVRENSEL setzt der Behauptung des US-Präsidenten Folgendes entgegen: "Es gibt einige Anzeichen, die vermuten lassen, dass für diesen Mord nicht linke Gruppen verantwortlich gemacht werden können. Ein Grund ist, dass die US-amerikanische Linke seit fast hundert Jahren ein distanziertes Verhältnis zu Waffen pflegt. Die Zahl derjenigen unter ihnen, die wissen, wie man eine Waffe richtig benutzt, ist sehr begrenzt. Dennoch können wir die Möglichkeit nicht völlig ausschließen, dass ein 'linker' Verrückter eine Rolle gespielt hat. Ein solcher Mord, wie auch andere Morde dieser Art, wird jedoch vor allem der radikalen Rechten zugutekommen", ist EVRENSEL aus Istanbul überzeugt.
Die Zeitung DE VOLKSKRANT aus den Niederlanden blickt auf das gesellschaftliche Klima: "Die polarisierende politische Kultur, die in Washington erdacht und gefördert wurde, hat dank Fernsehen, Talkradio, sozialen Medien, Influencern und deren Geschäftsmodellen längst auch die einfachen Amerikaner erreicht. Eigentlich haben sie viel mehr gemeinsam, als sie glauben, aber Differenzen werden so übertrieben dargestellt, dass die jeweils andere Seite zunehmend als existenzielle Bedrohung angesehen wird. Es muss gesagt werden: Auch Kirk hat zu dieser Stimmung beigetragen. In seinen weit verbreiteten 'Debatten' propagierte er nicht nur radikale christliche Orthodoxie, sondern ließ auch regelmäßig Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie und Transphobie durchblicken", gibt DE VOLKSKRANT zu bedenken.
DER STANDARD aus Wien beschreibt Charlie Kirk wie folgt: "Ein glühender Trump-Verehrer mit extremsten politischen Standpunkten. Benennen darf man dies in dieser Form in den USA nicht mehr, dort gilt er höchstens als 'konservativer Influencer'. Der Nachrichtensender MSNBC entließ einen Kommentator, nachdem dieser auf Sendung lediglich darauf hingewiesen hatte, dass Kirk in der Vergangenheit Hassrede propagiert hatte." Das war die österreichische Zeitung DER STANDARD.
Nun zur chinesischen Zeitung JIEFANG RIBAO aus Schanghai: "Sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten gibt es extreme Denkweisen, die als Nährboden für Gewalt dienen können. Auch die zunehmende, konfrontative Mobilisierung der Wählerbasis könnte zur weiteren gesellschaftlichen Eskalation führen. Das ist besorgniserregend."
In der kolumbianischen Zeitung EL ESPECTADOR geht es um das Urteil gegen den früheren Präsidenten Brasiliens, Bolsonaro: "Die Richter widersetzten sich mehrheitlich dem nationalen und internationalen Druck und zeigten, dass niemand über dem Gesetz steht. Bolsonaro ist ein ultrarechter Populist, der während seiner Amtszeit gegen Minderheiten vorging und die Zerstörung der Umwelt vorantrieb. Als Lula da Silva gegen ihn kandidierte, schmiedete er einen Plan, um einen Wahlsieg Lulas oder dessen Amtseinführung zu verhindern. Ein Mob versuchte daraufhin, den Präsidentenpalast in Brasilia zu stürmen, aber der Putschversuch scheiterte. Der Oberste Gerichtshof verurteilte Bolsonaro deshalb nun zu 27 Jahren Haft. Die brasilianische Justiz ist damit ein Vorbild geworden", konstatiert EL ESPECTADOR aus Bogotá.
NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio schreibt: "Die Demokratie Brasiliens hat noch keine lange Geschichte. Von 1964 bis 1985, in der Zeit der Militärdiktatur, stand die Bevölkerung unter Repressionen, es gab zahlreiche Putschversuche, viele Menschen flohen ins Ausland. Der Prozess gegen Bolsonaro kann als Wendepunkt der Demokratie Brasiliens bezeichnet werden. Die Erklärungen der fünf Bundesrichter, die pro Richter zum Teil über zehn Stunden gedauert haben, waren starke Worte, auch mit viel Emotionen. Mit diesem Urteil haben sie ein Zeichen gesetzt." Sie hörten einen Kommentar aus der japanischen Zeitung NIHON KEIZAI SHIMBUN.
Ein "Musterbeispiel für den Umgang mit Putschversuchen" - so nennt die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG das Urteil: "Trotzdem wirft es auch Unwägbarkeiten auf. Brasilien hat sich damit mutig gegen die dreiste Einflussnahme von Präsident Trump gestellt, der das Land wegen des Prozesses mit Zöllen von 50 Prozent belegt hat. Es bleibt abzuwarten, ob das Land dem wirtschaftlichen Druck aus den USA standhalten kann. Auch zur Versöhnung in der gespaltenen brasilianischen Gesellschaft wird das Urteil nicht beitragen. Die Bolsonaro-Anhänger stellen es als politische Hexenjagd dar", führt das Schweizer Blatt NEUE ZÜRCHER ZEITUNG aus.
Die brasilianische Zeitung O GLOBO meint dazu: "Zu den Wählern, die sich teilweise immer noch von Bolsonaro vertreten fühlen, gehören keineswegs nur Extremisten, Putschisten oder Verschwörungsgläubige. Es sind auch Kleinunternehmer, die sich von den Skandalen der Arbeiterpartei abgestoßen fühlen. Oder Evangelikale, die gegen mehr Rechte für LGBTQ-Personen sind. Ebenso gehören dazu Farmer, die nicht als Umweltsünder, und Polizisten und Militärangehörige, die nicht als Faschisten bezeichnet werden wollen. Aber es sind auch ganz normale Bürger, denen es nicht gefällt, dass verurteilte Straftäter Weihnachten zu Hause verbringen dürfen. Bolsonaro hat die Ressentiments all dieser Menschen nicht erfunden, sondern er stieß wie andere Rechtspopulisten in die Lücken vor, die andere politische Vertreter hinterlassen hatten", stellt O GLOBO aus Rio de Janeiro fest.
Zum Schluss blickt noch die RZECZPOSPOLITA aus Warschau auf den UNO-Sicherheitsrat, in dem es um das Eindringen russischer Drohnen auf polnisches Gebiet ging: "Alle unterstützten Polens Position in der Frage der russischen Aggression. Selbst jene EU-Mitglieder, die normalerweise Kritik am Kreml vermeiden: das pro-russische Ungarn und die weniger aggressiv pro-russische Slowakei. Vor allem aber äußerten sich die USA deutlich. Sicherheitsratsmitglieder aus anderen Regionen der Welt halten sich in ihrer Kritik an Russland aber zurück. In den Erklärungen von China, Pakistan, Algerien oder Somalia war keine Verurteilung Russlands zu erkennen. Der Globale Süden betrachtet die Geschehnisse in unserem Teil der Welt anders."