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Die Internetkultur sampeln

Ein guter Autor mache so was nicht, sagt Ines Dettmann vom Kölner Literaturhaus, Expertin für Blogs und literarisches Schreiben im Netz, über Helene Hegemanns Buch "Axolotl Roadkill". Sie schreibe aus dem Internet ab und eigne sich damit etwas an, was ihr nicht gehöre. Dabei bilde sie allerdings den Alltag der Netzkultur gut ab.

Ines Dettmann im Gespräch mit Karin Fischer | 17.02.2010
    Karin Fischer: Authentizität ist etwas, das literarische Blogs gern für sich in Anspruch nehmen, auch wenn die Sprache als Medium immer zwischen dem Erlebten und dem Erschriebenen steht. Echtheit soll ein Qualitätsmerkmal der Bloggerszene sein. Der Autor Airen, aus seinem Blog hatte Helene Hegemann für "Axolotl Roadkill" abgeschrieben, bekennt freimütig, dass er irgendwann nicht mehr wusste, ob er die Exzesse im Techno-Club Berghain nur gelebt hat, um sie hinterher aufschreiben zu können. Wir sehen, Literarizität und Leben, das ist ein weites Feld, den Überblick darüber hat Ines Dettmann vom Kölner Literaturhaus, die Expertin ist für Blogs und literarisches Schreiben im Netz. Ines Dettmann, gibt es für Sie diese Kriterien auch, Authentizität und Echtheit?

    Ines Dettmann: Texte sind immer echt und literarisch, weil sie einfach, wenn sie in Blogs geschrieben werden, eine literarische Realität schaffen so wie eben auch Texte, die in Büchern erscheinen, literarische Realitäten erschaffen. Ob diese Realität dann wirklich der Realität entspricht, ist eine Frage, die im Endeffekt nur der Blogger selbst beantworten kann.

    Fischer: Das stimmt, aber genau auf diese Authentizität und Echtheit berufen sich ja viele Blogger: Wir berichten aus dem eigenen Leben. Sie würden also einen Unterschied machen natürlich zwischen den normalen Blogs und literarischen Bogs?

    Dettmann: Die Blogger selber sagen ja auch, dass die Literaturwelt im Internet – genannt literarischer Blog, für die es interessanterweise überhaupt keine andere Bezeichnung gibt als eben diesen sperrigen Begriff – nach ihren eigenen Regeln spielt und viele schmücken sich damit, dass es ihrem Leben entspringt, aber das Leben doch so optimiert, wie es dann eben der Leser, der User irgendwie haben möchte und vielleicht auch das Leben in den Extremformen, wie man es selber ab und zu gerne leben würde.

    Fischer: Spontaneität, sich etwas von der Seele schreiben, Müll abladen, das sind auch so Klischees, die übers Bloggen überhaupt existieren. Welche Maßstäbe legen Menschen wie Sie aus dem Literaturbetrieb an literarische Blogs an?

    Dettmann: Wenn ich einen literarischen Blog lese, dann möchte ich gut unterhalten werden, dann möchte ich das, was ich eben an jeden Text eigentlich als Maßstab anlege – nämlich sprachliche Vollkommenheit oder wenigstens so viel sprachlichen Anspruch, dass ich mich für die Zeit, die ich den Text lese, gut unterhalten fühle und das Gefühl habe, auch vielleicht in eine Welt abtauchen zu können, die mir ansonsten verschlossen bleibt, eben das, was den Reiz dieser Texte ausmacht, nämlich irgendwo, ja, andere Welten kennenzulernen, eben einen Techno Club in Berlin oder irgendwie einen totalen In-Club in Hamburg, irgendwo mithin abzutauchen für ein paar Minuten und das Gefühl zu haben, eben einen richtig guten Text einfach zu lesen.

    Fischer: Der "Spiegel" hat die sogenannte Netzliteratur schon im Jahr 2002 beerdigt. Wer tummelt sich da heute noch und welche literarische Qualität hat das?

    Dettmann: Es tummeln sich immer noch unglaublich viele im Netz. Also ob es da ein Kitty Atomics Diary ist, die aus unterschiedlichen Bereichen ihres Lebens immer wieder schreibt und natürlich auch aktuelle Fälle wie den Fall "Axolotl Roadkill" dann kommentiert, oder andere junge User, scheinbar junge User, von denen man davon ausgehen kann, dass ihr Internet-Ich vielleicht mit ihrem wirklichen Ich übereinstimmt, sind scheinbar alles junge Szenegänger, die sich da irgendwo verwirklichen und die vielleicht und glücklicherweise zu dem Punkt gekommen sind, dass nicht jeder ein Buch schreiben muss in dem Sinne, sondern die einfach im Internet ihren Spaß haben und die im Internet den Vorteil haben, den vielleicht kein Autor dieser Welt hat, nämlich ein Publikum, was auch kommentieren kann, was mit ihnen lebt, was sie selber auch nicht kennen, aber was direkten Bezug eben auch über Kommentare im Internet aufnehmen kann.

    Fischer: Also wenn Literatur dadurch definiert ist, dass sie heute noch zumeist zwischen Buchdeckeln existiert, dann wäre das genau genommen keine, aber so, wie Sie sie schildern, sehe ich auch die Grenzen zur Literatur tatsächlich verschwimmen.

    Dettmann: Ja, es sind Grenzfälle, auch wenn wir natürlich immer wieder sagen müssen, Literatur hat immer bestimmte Maßstäbe, das heißt, es geht um Verlegbarkeit, es geht um Leserschaft, es geht darum, auch einen Lektor an meinen Text heranzulassen. Die Barrieren müssen die Blogger im Internet nicht überwinden, sie können eigentlich sich frei erst einmal von der Seele weg schreiben, was sie bewegt und spielen ein bisschen Blindekuh. Sie wissen, es könnte theoretisch sein, dass Abermillionen Leute jeden Tag ihre Sachen lesen, es kann aber genauso sein, dass es überhaupt niemand liest oder nur der eine, der es kommentiert. Das ist eigentlich so ein bisschen Blindekuh-Spielen.

    Fischer: Ist Helene Hegemanns Buch, in dem sie die Netzkultur indirekt abbildet, indem sie sampelt, für Sie gute Literatur, ein gutes Buch?

    Dettmann: Ich habe das Buch angefangen zu lesen und muss ehrlich sagen, dass es die Internetkultur zu sampeln – sie gehört ja auch selber nicht zu der Gruppe, etwas übrigens wirklich in diesen ganzen aktuellen Literaturblogs den Bloggern sehr aufstößt. Sie gehört nicht zu dieser Community, die sich gegenseitig verlinken, die irgendwie zueinander gehören, die ein Netzwerk bilden und sich gegenseitig lesen, sondern sie hat eigentlich etwas gemacht, was ein guter Autor sowieso nicht macht, nämlich aus dem Internet abgeschrieben und sich etwas angeeignet, was jemand anderem gehört. Literarisch gesehen muss ich halt sagen, dass ich fände, wenn mir das einer unserer Jugendlichen, mit denen ich arbeite, abgegeben hätte, hätte ich gesagt: Vielleicht sollten wir über einige Textpassagen noch mal reden, du kannst mehr. Dieses Netzkultur-Abbilden, diese Alltagsrealität abbilden, das gelingt ihr auf jeden Fall in einer Art und Weise, wie es das bisher nicht gegeben hat. Die ganze Derbheit, dieses ganze Sprachgemenge, das ist unglaublich intensiv, und darum hat sie einfach es geschafft, noch dazu mit ihrem Namen, Aufmerksamkeit zu erregen.

    Fischer: Herzlichen Dank! Ines Dettmann vom Kölner Literaturhaus war das zu literarischen Blogs und zum Schreiben im Netz. Helene Hegemanns Buch, inzwischen in der vierten Auflage im Druck befindlich, listet dort jetzt übrigens auf sechs Seiten die Quellen für Zitate oder Inspirationen auf, das teilt der Ullstein-Verlag mit.