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Die intime Tragödie einer lebenslangen Freundschaft

"Mein lieber Teddie, mein lieber Freund! Heute Mittag kam ich an, ganz zerrissen, verhüllt. Nun will ich gleich schreiben. Ich fühlte in diesen beiden Tagen wieder eine solche quälende Liebe zu Dir, dass es mir jetzt so vorkommt, als könne ich allein gar nicht bestehen. Das Dasein ist mir schal, so abgetrennt von Dir, ich weiß nicht, wie das weitergehen soll. Sagen muss ich Dir noch, dass Dein Bericht von Deinem Verhältnis zu Gretel mich doch tief schmerzte. Nicht dass Du es hattest, nur, dass Du so lange neben mir hergingst, ohne dass ich es wusste. Natürlich, dies soll kein Vorwurf sein, da Diskretion ja auch etwas gilt, aber die Tatsache, dass es so war ist doch schwer zu ertragen. Mein Zustand ist entsetzlich. Ich fürchte so sehr für die Vergänglichkeit dessen, was mir das Teuerste ist, was mir der Sinn oder die Erfüllung meines Daseins ist. Glaubst Du an die ewige Dauer unserer Freundschaft? Ich zittere um den Bestand, Du bist 19, ich 34, Du biegst ab, Du musst quer durch die Welt, mit 19 kann man nicht für sich garantieren, auch Du nicht. Kurzum, es geht entzwei und ich lieg' da."

Von Wolfram Schütte | 25.01.2009
    Das sind die Eingangszeilen eines verzweifelten Liebesbriefs, den der 34-jährige Siegfried Kracauer auf Redaktionspapier der "Frankfurter Zeitung", deren Redakteur er gerade geworden war, dem 19-jährigen Philosophie-Studenten Theodor Wiesengrund-Adorno am 5. April 1923 schrieb.

    Sie eröffnen den siebenhundert Seiten umfassenden Briefwechsel der beiden Frankfurter Säkulargenies. Aus ihnen entstehen aufs Intimste zwei Selbstporträts, wechselseitig gespiegelt in Zuneigung und Abweisung, Annäherung und Entfernung der beiden ungleichen Briefpartner. Der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Kulturphilosoph und Schriftsteller Kracauer lebte, bis auf seine Zeit als Feuilletonredakteur der "Frankfurter Zeitung von 1922/1933, in bedrängten und unsicheren ökonomischen Verhältnissen. Adorno hingegen, das früh erkannte und verhätschelte Wunderkind, stammte aus einem großbürgerlichen, musischen Haus und musste sich zeitlebens keine Sorgen um seine materielle Existenzbasis machen. Der ältere schrieb, um zu überleben, der jüngere lebte, um zu schreiben: beide aber waren radikale Kultur- und Gesellschaftskritiker des Bürgertums.

    268 Briefe und Postkarten sind von "Friedel", wie der ältere unterzeichnete, und seinem frühreifen geistigen Zögling "Teddie" erhalten, mit dem er seit 1918 regelmäßig samstags Nietzsche, Kant, Hegel und Kierkegaard las und gemeinsame Reisen in die nähere Umgebung Frankfurts unternahm. Der bis zu Kracauers Tod 1966 in New York mehr als vierzigjährige Briefwechsel trocknete während der Emigration durch Adornos Schuld zeitweilig fast aus. Erst nach "Teddies" Rückkehr auf einen Lehrstuhl in Frankfurt 1949 schwillt der Austausch von Briefen mit dem in New York verbliebenen "Friedel" zu einem kontinuierlichen, dichten und breiten gegenseitigen Informationsfluss wieder an.

    Als "der liebe Teddie" 1964 - dem fast Vergessenen ein einstündiges Porträt im Hessischen Rundfunk widmete, war der alte Freund in New York gerührt und begeistert. Aber nachdem er, erst ein dreiviertel Jahr später, den schon von Adorno zum Druck vorbereiteten Text vor Augen bekommen hatte, erkannte er darin nicht nur zahlreiche "faktische Unrichtigkeiten", sondern auch Adornos eigenwillige Porträtierung.

    Kracauer: "Du wirst nicht erwartet haben, dass ich Deiner Interpretation in allen Stücken zustimme. Im Großen und Ganzen, je mehr sie die lange Periode betrifft, in der wir uns ferner gerückt waren - die Periode also, die schon vor der Emigration begann -, umso mehr affiziert mich Deine Auffassung meiner Haltung und, teilweise, meiner Produkte als eine Konstruktion, die tatsächlich aus der Ferne kommt und eher von Deinen eigenen Denkprämissen herrührt als dass sie der gegebenen Materie gerecht würde. Auch hieraus glaube ich schließen zu sollen, dass zumindest ein Teil Deines Kommentars auf die alten ursprünglichen Bejahungen und Ablehnungen zurückzuführen ist."

    Womit er recht hatte. Aber obwohl Adornos spätes Danaergeschenk zum ultimativen der zahlreichen Streitfälle in der Korrespondenz der beiden und zu einem heftigen brieflichen Schlagabtausch führte, hat auch diese gegenseitige Verletzung nicht zum Ende einer persönlichen und geistigen Freundschaft geführt. Trotz ihrer harschen Konflikte, deren Opfer fast immer der ältere "Friedel" war, dürfte sie in dieser durchgehaltenen Form kritischen Umgangs miteinander einzigartig gewesen sein unter Intellektuellen. Frankfurt steckt voller Merkwürdigkeiten, wie schon Goethe behauptete.

    Die Überlieferungslage will es nun, dass Kracauers Liebesbrief vom 5. April
    1923 wie eine durchkomponierte Ouvertüre alle Themen zitiert, die in dem "Dramma Giocoso" von "Friedel & Teddies Freundschaft" sich danach voll entfaltet haben: Zuerst die Ambivalenz und Gefährdung ihrer emotionalen, "empirischen" und geistigen Beziehung. Dann Kracauers Selbsthass, mit dem er sich als "die Karikatur eines Menschen" und einen "aufgerissenen Schlund" empfindet, und an Teddie bewundert, dass er "vernünftiger", in "sich beruhend " sei und "mehr Halt" besitze. Auch steckt der leidenschaftliche Brief voller Zitate, Winke und Anspielungen, wie sie unter einander literarisch Vertrauten zur geheimen Kommunikation üblich sind, die der gewitzte Herausgeber Wolfgang Schopf nun Adalbert Stifter, Stefan George, Heinrich Heine und Gustav Mahler zuschreiben kann: - Autoren, die in Adornos späterem musikalischen und schriftstellerischem Oeuvre wiederkehren. Und schließlich taucht hier schon "Gretel" auf - Gretel Karplus, Adornos langjährige Freundin, die er erst 1937 in der Emigration heiraten wird.

    Kracauers erste Ahnung eines unausweichlichen Verlustes präludiert aber auch das Ende einer homoerotischen Nähe, die von seiner Seite wesentlich enger gemeint und erwünscht war, als von dem experimentierfreudigen Adorno, der sich fern der Heimat "ins richtige Leben" an der Seite eines "richtigen Menschen" begibt: seines Kompositionslehrers Alban Berg.

    Adorno: "Immerhin hatte ich die Freude, dass Berg meine Sachen sofort verstand, die Begabung und das Können anerkannte und eine ungemein ernste und intensive Entwicklung konstatierte. Ich habe also endlich für meine Musik Resonanz und Kritik."

    Das konnte dem jungen Frankfurter Komponisten der unmusikalische Kracauer nicht bieten; erst recht nicht die Bekanntschaft mit den Großen der Wiener Schule, mit denen der bezaubernde junge Mann bald ganz selbstverständlich verkehrt, komponiert und Aufsätze schreibt - vor allem aber, sich in einen Reigen von amourösen Abenteuern im Schnitzlerschen Wien stürzt, von deren Auf- & Abs und ihren sentimentalischen Ausgängen er dem frustrierten "Friedel" in verklausulierten Briefen berichtet. Wenn Teddie überhaupt schreibt und nicht öfters länger schweigt. Die Trennung mit ihren hochgestochenen Heimlichkeiten & Verschwiegenheiten, unausbleiblichen Missverständnissen, verfehlten Briefen und gegenseitigen verbalen Verletzungen treibt einer Krise zu, die Teddie, um die ihm teure Freundschaft zu retten, zu gewagten Behauptungen verführt, die jedoch bis in sein Alter gelten werden, nämlich,

    "dass meine Art zu lieben Frauen in Realität nicht trifft. (...) Ich glaube auch von mir selbst nun, dass die Spiritualität mich derart durchdringt, dass ich (...) in Relationen, wie sie zu Frauen bestehen, nicht aufgehe. (...) Ja heute scheint es mir fast, als sei die erotische Bewegtheit meiner letzten Jahre mehr aus der Angst gekommen, alle Natur zu verlieren, als aus Natur selbst."

    Er ist sogar bereit, sich von Gretel zu trennen; aber Kracauer, der mit seiner "Natur" und nicht nur, wie Teddie, mit platonischem Erotismus zu kämpfen hat, wehrt Adornos Drängen zu einer Versöhnungsreise ab:

    "Bei uns empfinde ich eine kürzere Trennung als Gelegenheit zur Selbstbesinnung. Jedenfalls erfahre ich jetzt immer, wenn ich an Dich denke (...), die Unzerstörbarkeit unserer Beziehung; ich erfahre sie sehr rein und bin darum gewillter als je, die Widerstände der Empirie zu überwinden, die für mich größer sind, als Du vielleicht auch nur ahnst. Ob es gelingt, ca dépend; los werden wir uns vermutlich leider nicht."

    Das sind sie dann auch nicht. Der "empirische" Teil ihrer Beziehung ist 1926 beendet. Im gleichen Jahr lernt Kracauer seine künftige Frau Lili Ehrenreich kennen und hat sich, wie Thomas Mann das nannte, von nun an "eine Verfassung" gegeben, die 1930 ehelich besiegelt wird. Teddie aber wird bald darauf mit Gretel im Urlaub, wie einst mit Friedel am Samstag, Kant lesen - und ihm von seiner gelehrigen Schülerin berichten.

    Während Kracauer, als einflussreicher Feuilletonredakteur der "Frankfurter Zeitung" nicht nur Ernst Bloch, Walter Benjamin & Adorno publiziert, sondern auch als kulturphilosophischer Autor und Alltagsoziologe in der Nachfolge Georg Simmels sich selbst dort unübersehbar profiliert, muss er dem als Komponist in Wien gescheiterten Teddie, der die Kunst in Bausch und Bogen verwirft, den radikalisierten Kopf brieflich waschen und zurechtrücken:

    "Du schreibst (...), Du seist traurig und leer aus Wien fortgegangen; es komme auf das richtige Leben an. (...) Dabei ist Dir de facto doch weder die Kunst noch der Künstler verächtlich und dass das "richtige Leben" die künstlerische Leistung ausschließe, glaubst Du selber nicht.(...) Aus Gründen der Revolution würde ich also an Deiner Stelle der Kunst als solcher keine Absage erteilen, und der Zerfall der Werke ist nur die eine Seite ihres Geschicks. Es hat (...) noch eine gute Weile, bis der Kehrichtmann kommt."

    Blitzhaft wird in dieser spitzen Kracauerschen Bemerkung aus dem Jahre 1927 das ganze spätere Konfliktfeld erleuchtet, auf dem sie sich von da an offen oder verdeckt brieflich bekämpfen werden. Dabei ist es höchst erstaunlich, dass Kracauer schon zwei Jahrzehnte vor dem vielzitierten Merksatz aus den "Minima Moralia", wonach es "kein richtiges Leben im falschen" gebe, die "adornitische" Entgegensetzung von Kunst & Leben als falsch zurückweisst; und dass sowohl der Zerfall der Werke - ein Topos des Hegelianers Adorno - nicht alles an ihnen sei, als auch die Revolution auf sich warten lasse, wird Kracauer seither den Vorwurf Teddies eintragen, nicht radikal genug zu sein und zu denken. Vor allem nachdem Adorno sich als orthodoxer Marxist eng mit Horkheimer und dem Frankfurter "Institut für Sozialforschung" liiert hat, wird er mit seinem Zauberfetisch, der Allzweckwaffe "Dialektik", gegen Kracauers angeblich versöhnlerischen Opportunismus auftrumpfen.

    Als der ältere Freund seine große Studie über "Die Angestellten" veröffentlicht und an seinem Roman "Ginster" arbeitet, sitzt Teddie im Frankfurt nahen Kronberg monatelang in feudaler Klausur an seiner Habilitation über Kierkegaard, womit der Siebenundzwanzigjährige auch sprachlich, literarisch & ästhetisch brillieren und mit Friedel konkurrieren will, dem er die Habilschrift widmet. Gönner- und schulmeisterhaft klingt das briefliche Resümee seiner Lektüre des Aufsehen erregenden Buches des 41-jährigen Freundes:

    "Die Angestellten habe ich mittlerweile gelesen mit großer Freude, es ist sehr substanziell und dabei von einer sehr guten realen Haltung, auch schriftstellerisch durchwegs sehr respektabel und in der Gruppierung zumal der Zitate erstaunlich. (...) Zu fragen wäre (...), ob zwischen der Form der prima vista Improvisation, der apriorischen Erfahrung von den Dingen, und dem dokumentarisch fundierten Verfahren immer die rechte Beziehung gefunden (sei)."

    In seiner Antwort geht Kracauer auf das ceterum censeo seines ehemaligen Mündels ein, das von nun an sein Vormund sein will und ihm mangelnde philosophische Systematik und fehlende Durcharbeit der gesellschaftlichen Dialektik bis zu seinem späten Geburtstagsartikel vorhalten wird. Kracauer aber fährt um der geistigen Selbstbehauptung willen schweres Geschütz mit Adornos & Lukacs´ "Hausheiligen" auf:

    "Ich halte die Arbeit methodologisch insofern für sehr wichtig, als sie eine neue Art der Aussage konstituiert (..). Wenn Du willst, ist sie ein Beispiel für materiale Dialektik. Analoge Fälle sind die Situationsanalysen von Marx und Lenin, die sich aber noch mehr auf den Marxismus verlassen, als wir es heute können (...). Dort ist die Dialektik noch der letzte Ausläufer der Totalitätsphilosophie, während ich sie von dieser Rückversicherung ablösen möchte und sie für ein Maschinengewehr von kleinsten Intuitionen halte.""

    Um wie viel früher und weitsichtiger Kracauer mit seinem "Maschinengewehr von kleinsten Intuitionen" die politische "Lage der Zeit" in Deutschland zu treffen vermochte als der in seine verdichtete Immanenzdialektik versponnene Adorno, offenbart nicht nur dessen Aufforderung am 15. April 1933, der nach dem Reichstagsbrand nach Paris geflüchtete Friedel solle

    "nach Deutschland zurückkommen. Es herrscht völlige Ruhe und Ordnung; ich glaube die Verhältnisse werden sich konsolidieren."

    Dabei hatte ihm Friedel bereits 1930 seine prophetische Einschätzung der deutschen Zukunft übermittelt, die 1933 unübersehbar begonnen hatte:

    "Die Lage in Deutschland ist mehr als ernst (...) Es waltet ein Verhängnis über diesem Land und ich weiß genau, dass es nicht nur der Kapitalismus ist. Dass dieser so bestialisch werden kann, hat keineswegs ökonomische Gründe allein. (Wie sollte ich sie formulieren können? Ich bemerke nur immer wieder in Frankreich, an dem es doch gewiss viel zu kritisieren gibt, was alles bei uns zerstört ist: der primitive Anstand, die ganze gute Natur und mit ihr jedes Vertrauen der Menschen ineinander). Da aber bei uns eine Revolution nicht, wie in Russland vielleicht, ein unverbrauchtes >Volk < ankurbeln würde, glaube ich auch nicht an die Heilkräfte des Umsturzes. Ich erkenne nur ein allgemeines Schlamassel und beinahe wäre mir am liebsten, es könnte noch so weitergewurstelt werden.""

    "Durchwursteln" in jeder Hinsicht mussten sich aber Friedel und Lili, nachdem die "Frankfurter Zeitung" ihrem kurzzeitigen Frankreich-Korrespondenten schon 1933 kündigte. Zwar bot ihm das von Horkheimer erst nach Genf und später in die USA transferierte Frankfurter "Institut für Sozialforschung", dessen Mitglied Adorno, der mit Gretel in die USA emigrierte, 1938 wurde, einen dotierten Forschungsauftrag zur "Faschistischen Propaganda" an. Aber das reichte nicht zum Lebensunterhalt.
    Zugleich arbeitete Kracauer deshalb fieberhaft für einen französischen Verlag an seiner "Gesellschaftsbiographie: Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit".
    Als Kracauer 1937 Teddie seinen "Offenbach" schickt, beginnt der Beschenkte seinen Dankesbrief mit der Versicherung, dass das Buch ihm "eine große Freude gewesen" sei. Was dem formellen Dank aber vielseitig dann folgt, entspricht eher der "Freude"
    eines "Kannibalen, der sich liebevoll einen Säugling zurüstet", wie Walter Benjamin das polemische Handwerk in ein Sprachbild fasste. Es ist ein triumphalistischer Verriss von A bis Z, in dem Kracauer mangelnde Dialektik, musikalische Ignoranz, Kritiklosigkeit, politischer Konformismus, Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut, Altherrenhumor und eine "furchtbare Menschenverachtung" vorgeworfen wird.

    Kracauer bleibt kühl, aber unmissverständlich souverän gegenüber seinem Schulmeister:

    ""Lieber Teddie, aus der Kenntnis Deiner Haltung heraus habe ich genau diese Kritik von Dir erwartet. Sie mag Dir vernichtend erscheinen; bestimmt ist sie töricht. (...) Ich nenne Deine Kritik töricht, weil sie auf Grund einer fixen, mir gewiss vertrauten Einstellung die materiellen Gehalte meines Buches teils verfälscht, teils übersieht. (...) Hast Du gründlich gelesen, so hat Dich offenbar eine noch gründlichere Befangenheit daran gehindert, das Gelesene zu erfassen." (...)
    In alter Herzlichkeit, quand meme, Dein Friedel "

    Der am längeren Hebel des "Instituts" sitzende "liebe Teddie" macht in dessen Zeitschrift - ohne dass es dafür eine zwingende Notwendigkeit gegeben hätte - seine Kritik an Kracauers "Offenbach" publik, anstatt es bei der brieflichen Kontroverse zu belassen.
    Zwar gelingt es im allerletzten Augenblick, Friedel und Lili 1941 die Flucht vor dem sicheren Tod nach New York zu ermöglichen, aber es waren Leo Löwenthal und seine Frau, die den Kracauers die dafür notwendigen Hilfen gaben - nicht Teddie, der noch im gleichen Jahr zu Horkheimer nach Los Angeles zieht.

    Danach bleiben die Frankfurter Freunde nur in spärlichem Brief-Kontakt.
    Erst mit Adornos Rückkehr nach Frankfurt am Main 1949 kommt der Briefwechsel wieder in Gang; und auf Kracauers erster Europareise 1956 sehen sie sich in Frankfurt gerührt wieder.

    Einmal treffen sie sich 1960 in einem Hotel in Graubünden zu der vielfach von Kracauer ersehnten "großen Aussprache". Kracauer hat dieses intime geistige Gipfelgespräch in einem mehrseitigen englisch geschriebenen Gedächtnis-Protokoll aus seiner Sicht dokumentiert, das der Briefausgabe als Erstpublikation beigegeben ist und in nuce den Kern aller ihrer brieflichen Konflikte enthält. Kracauer beschließt seinen "Talk with Teddie" (in meiner Übersetzung) mit folgenden Zeilen:

    ""Alles, was existiert, existiert nur, um in dem dialektischen Prozess verschlungen zu werden, den Teddie weiter & weitertreibt wegen seines Mangels an Substanz, an Weitblick. Für ihn ist die Dialektik ein Mittel, um seine Überlegenheit über alle vorstellbaren Meinungen, Gesichtspunkte, Entwicklungen, Ereignisse aufrechtzuerhalten, in dem er sie auflöst, verurteilt oder wieder errettet - wie es ihm passt. So etabliert er sich als Meister und Kontrolleur einer Welt, die er niemals in sich aufgenommen hat."

    Das vor allem von Adorno gnadenlos scharf, aber auch unfair geführte geistige Duell der beiden Frankfurter Intellektuellen, dessen Paukboden ihr Briefwechsel war, liest sich wie ein existenzialistischer Briefroman, in dem sich Naphta und Settembrini bekriegen, dessen ironische Parodie aber schon in seinem "Zauberberg" Thomas Mann vorweg geschrieben hat. Was dieser brieflichen Kriegsführung des "Begrenzten Konflikts" an humanisierender Ironie fehlte, hat die lebenslange Freundschaft, die höher als alle Vernunft war, wettgemacht. Es war Friedel, der bis zuletzt seinen Teddie liebte, bewunderte und stolz auf ihn war - wenn er auch immer häufiger über ihn den Kopf schütteln musste. Und Teddie, der geistig vaterlos aufgewachsen und zu sich selbst gekommen war, hat in dem 14 Jahre älteren Friedel, der ihn philosophisch "erweckt" hatte, wohl bis zuletzt seinen geistigen Vater erkannt, dem er mit jeder seiner Arbeiten beweisen wollte, dass man - nach einem Aphorismus von Nietzsche - es seinem Lehrer schlecht vergälte, wenn man immer nur sein Schüler bleiben würde. Wahrscheinlich war es solche väterliche Liebe zum genialen Sohn, die Kracauer die Kraft gab, die intime Tragödie ihrer Freundschaft, trotz seiner zahllosen Demütigungen, bis zum Ende durchzuhalten.